Vielstimmiges Vogelgezwitscher aus dem Regenwald: Die vier Schauspieler in der künstlichen Landschaft auf der Bühne tauchen aus dem Nebel auf. «Tschüss, Schneehase», ruft einer. «Tschüss, Alpenlaufkäfer», ertönt es von der anderen Seite. «Gelber Hermelin, tschüss; Wildbiene, tschüss; smaragdgrüner Uferläufer, tschüss!» In immer schnellerem Wechsel verabschieden die vier alle möglichen Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind – die Rote Liste ist lang. Ihre Stimmen überschlagen sich zunehmend, Resignation geht in Wut und Trauer über. Nach den Tieren folgt die Liste der schmelzenden Gletscher – alle tschüss. Venedig, ciao ciao!, die Regenwälder, tschüss! Ein regelrechter Abgesang auf Tiere, Gletscher, Wälder, Städte.
Ein Forschungsprojekt
Die Theatergruppe Klara arbeitet in ihrem musiktheatralischen Forschungsprojekt «Naturzwei» mit dokumentarischem Material, um sich mit dem Verhältnis des Menschen zur Natur auseinanderzusetzen: Mit Floskeln gespickte Reden von Politikern an Klimakonferenzen sind ebenso zu hören wie Meinungen von Wissenschaftlern und Ethikern. Dazu kommt eine persönliche Ebene, in der sich die Schauspieler mit ihrem eigenen ökologischen Verhalten auseinandersetzen, das von Widersprüchen, Halbwissen und Verdrängung geprägt ist: Plastik- oder Papierbeutel? Flugzeug oder Zug? Im Alltag hat der Mensch ständig zu entscheiden – das schlechte Gewissen im Nacken, die Verantwortung für kommende Generationen vor Augen. «Wenn es nicht um so viel gehen würde, hätte es komische Aspekte», sagt Christoph Frick, künstlerischer Leiter von Klara. «Seit 1972 wird gesagt, es sei fünf vor zwölf. Alle betonen, man müsse jetzt handeln – aber das ‹jetzt› trifft nie ein.»
Zu Beginn des im Theater Freiburg uraufgeführten Stücks «Naturzwei» sind die Schauspieler in Kostümen aus dem 19. Jahrhundert zu sehen. Eine Anspielung auf die Romantik, als im Laufe der Industrialisierung Naturbegeisterung in Natur-Verlustangst kippte – musikalisch untermalt durch eine Bearbeitung von Verdis Requiem «Lacrimosa». Je länger der Theaterabend dauert, desto näher rückt die Zukunft, was sich sowohl in Kleidung, Musik als auch in der Thematik zeigt.
Fragen zur Ethik
Im zweiten Teil rückt die Synthetische Biologie ins Zentrum des Geschehens. Damit wird die Fortführung der Genetik bezeichnet. Und plötzlich ist das Problem des Artensterbens gelöst: Denn mit DNA-Schnipseln lassen sich ausgestorbene Tiere zum Leben erwecken. Auch die Erderwärmung soll damit aufgehalten werden: «Forscher arbeiten daran, Zellen so zu designen, dass sie das CO₂-Problem lösen können», sagt Regisseur Frick, der zur Vorbereitung des komplexen Theaterprojekts mit Experten gesprochen hat. «Unter den Wissenschaftlern herrscht eine unglaubliche Aufbruchstimmung – als ob ein neuer Kontinent entdeckt würde.»
Doch zu welchem Preis lassen sich solche Fortschritte erzielen? Welche Auswirkungen hat die Synthetische Biologie auf unser tägliches Leben? Wer entscheidet darüber, wie weit man künstlich in das Leben eingreifen darf? Solch ethischen und philosophischen Fragen geht die Theatertruppe Klara nach, die sich bereits in anderen Produktionen mit der Klimafrage und mit der Genetik beschäftigt hat. «Bei Eingriffen in das Erbgut gehen die Wogen hoch», sagt Frick. «Für das Theater ist es interessant, Fragen zu verhandeln, die uns emotional berühren.» Von der Thematik betroffen ist jeder Mensch: Der Bergbauer, der weiss, dass bei fehlendem Permafrost der Hang wegrutscht. Genauso wie das Paar, das auf künstliche Befruchtung setzt und Erbschäden ausschliessen will.
Sinnlicher Zugang
Für die theatrale Umsetzung wählt Frick nebst dem dokumentarisch-wissenschaftlichen auch einen lustvoll-sinnlichen Zugang. Die Musik von Martin Schütz und Bo Wiget spielt eine wichtige Rolle. Die beiden Cellisten spannen einen Bogen von der Romantik bis zur digitalisierten Moderne. Sie lassen sich musikalisch von gentechnischen Verfahren inspirieren und kombinieren populäre Partituren wie Verdis Requiem neu.
Das Theaterteam macht die unterschiedlichen Perspektiven und Emotionen zum Klimawandel und zur Synthetischen Biologie erfahrbar – ohne die Moralkeule zu schwingen. «Kapitalismus-Kritik haben wir weggelassen, diese wurde im Theater schon oft genug verhandelt», sagt Frick. Unterschwellig schwingt sie trotzdem mit, ebenso wie die Karriere- und Finanzinteressen der Forschenden. Die Schweizer Erstaufführung von «Naturzwei» findet in Basel statt – in der Stadt, wo sich die Pharmakonzerne und das Forschungslabor für die Synthetische Biologie befinden.
Neues Leben designen
In der Synthetischen Biologie arbeiten Biologen, Chemiker und Ingenieure zusammen, um biologische Systeme zu erzeugen, die in der Natur nicht vorkommen. Die Wissenschaftler erhoffen sich damit neue Lösungen in der Medizin, der Energiegewinnung oder der Nahrungsmittelproduktion. Dazu gehören etwa Algen, die Treibstoff produzieren, oder synthetische Fleischbausteine, die mit dem 3D-Drucker produziert werden können. Oder die Züchtung von Mücken, die fähig sind, ein neues Gen in eine bestehende Mückenpopulation einzubringen, das die Übertragung von Malaria auf den Menschen verhindert. Während sich die Forscher über diese Möglichkeiten euphorisch zeigen, stellen Kritiker ethische Fragen zu Risiken und Sicherheit der neuen Technologie.
Aufführungen
Naturzwei
Sa, 12.3.–Do, 17.3. Kaserne Basel
www.klara-theater.ch
Diskussion
Publikumsgespräch im Anschluss an die Vorstellung vom Di, 15.3., mit Regisseur Christoph Frick, Sven Panke, Professor für Bioverfahrenstechnik, und Christoph Küffer, Professor für Siedlungsökologie
Zum Nachhören am Radio
«Kontext»: Regisseur Christoph Frick im Gespräch mit Dagmar Walser in der Sendung «Künste im Gespräch: Kunst, Kultur und Klimaerwärmung» vom Do, 12.11.15, Radio SRF 2 Kultur
www.srf.ch/sendungen/kontext/kuenste-im-gespraech-kunst-kultur-und-klimaerwaermung