«Mit Rechten reden» und «Mit Linken leben»: Diese beiden Bücher sorgten an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse für viel Gesprächsstoff. Diese beiden verhärteten Fronten bringt auch der österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer in seinem neuen Stück «Vor Sonnenaufgang» zur Sprache. Darin besucht der politisch links engagierte Journalist Alfred Loth seinen Freund Thomas Hoffmann, mit dem er in Studienzeiten die gleichen Ansichten teilte: Inzwischen ist aus Hoffmann ein Unternehmer geworden, der mit rechter Propaganda und populistischen Methoden weit gekommen ist.
Der Freund ist zum Feind geworden
Die beiden haben sich 15 Jahre nicht gesehen und geraten nun bei Loths unangekündigtem Besuch in Hoffmanns Zuhause aneinander. «Ich bin zu einem Freund gekommen, der ein Feind geworden ist», stellt Loth fest. In ihrem Schlagabtausch bezichtigt Loth seinen einstigen Kollegen der Lüge: Er schimpfe gegen die Eliten, gegen «die da oben», obwohl er selbst aus ebendiesen Kreisen stammt. Hoffmann wiederum stellt Loth als Moralapostel und «elitär überheblich» hin: «Die Märchen deiner linken Oberschicht, die ihr andauernd eure Nasen rümpft. Wie Trüffelschweine grabt ihr rum und sucht, was euch nicht passt …»
Geschichte einer mittelständischen Familie
Doch was hat dieser aktuelle Konflikt zwischen Linken und Rechten mit Gerhart Hauptmanns gleichnamigem Sozialdrama von 1889 zu tun, in dem eine durch Kohlefunde reich gewordene Bauernfamilie am Alkoholismus zugrunde geht? Auch beim deutschen Dramatiker Hauptmann, der mit sozialkritischen Stücken wie «Die Weber» berühmt wurde, ist Loth politisch engagiert: Er besucht Hoffmann, um für eine Milieu-Studie über die prekären Bedingungen der Bergarbeiter zu recherchieren.
Die 34-jährige österreichische Regisseurin Nora Schlocker sieht nebst der ähnlichen Figurenkonstellation einige Parallelen zwischen den beiden Texten, wie sie bei einem Treffen in der Basler Theaterkantine ausführt. «Palmetshofer versetzt die Geschichte zwar ins Heute und erzählt von einer mittelständischen Familie. Beide Stücke spielen aber an der Schwelle zu einer neuen Epoche – es liegt etwas in der Luft.» Während bei Hauptmann die Industrialisierung und bevorstehende Kriegswirren für eine angespannte Atmosphäre sorgen, sind es in heutigen Zeiten fundamentalistische und populistische Tendenzen, welche die Gesellschaft polarisieren. Palmetshofer will diese «Ahnung eines kommenden Wandels» in seiner Überschreibung des Hauptmann-Stücks einfangen.
Reibungsflächen sichtbar machen
Nebst der politischen und gesellschaftskritischen Ebene kommen bei beiden Autoren familiäre Konflikte zum Tragen. Hoffmanns Frau Martha ist schwanger und hormonell arg gebeutelt, die Ehe zwischen dem Vater Egon und seiner zweiten Frau am Ende. Marthas Schwester Helene ist zur Unterstützung in ihr altes Zuhause zurückgekehrt – und findet es zerrüttet vor. Als sich Loth und Helene verlieben, scheint ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Doch er lässt sie sitzen, als er von der Krankheit ihrer Familie erfährt – bei Hauptmann leidet die Familie an Alkoholismus, bei Palmetshofer ist es die Depression.
Während bei Hauptmann arg die Moralkeule durchdrückt, zieht Palmetshofer aus der familiären Konstellation anfänglich eine grosse Komik. «Das Publikum wird sich in dieser Familie wiedererkennen», ist Nora Schlocker überzeugt. Da der geplante Hausausbau noch nicht fertig ist, leben sie auf engstem Raum zusammen. Die Privatsphäre, die gerade für die anstehende Hausgeburt dringend nötig wäre, fehlt. Kein Wunder, dass sich Emotionen anstauen, die sich in spitzen Bemerkungen äussern, bis sie sich schliesslich entladen. Die Komik kippt immer mehr in Tragik – am Ende des Stücks geht zwar die Sonne auf, aber für die Familie scheint die Zukunft verdunkelt. In diesem düsteren Schlussbild folgt Palmetshofer Hauptmanns Vorlage.
In ihrer Inszenierung will die junge Regisseurin Reibungsflächen sichtbar machen. Etwa das menschliche Versagen von Loth, der sich zwar sozial engagiert, aber im Privaten kein Rückgrat beweist. Die innere Verrohung äussert sich schliesslich auf beiden Seiten des politischen Spektrums, egal, ob links oder rechts. «Wie bei einem Zwiebelsystem wollen wir immer weiter ins Innere der Figuren vordringen, ihre Wünsche und Schwächen aufdecken», sagt Schlocker.
Karge Szenerie und filmische Mittel
Bühnenbildnerin Marie Roth wählt für diese Tragödie eine karge Szenerie, einen «minimalistischen Realismus». Auf der Bühne werden die beengenden Räumlichkeiten der Familie zu sehen sein. «Viele Szenen spielen an ‹Unorten› wie etwa im Flur», sagt Schlocker. Dazu arbeitet sie mit filmischen Mitteln, die verschiedene Perspektiven ermöglichen. Mit Palmetshofer hat sie bereits in der Inszenierung von «Edward II.» gearbeitet und ist begeistert von seinen Texten. Nun gelte es, eine eigene Interpretation zu finden – und den Figuren auf der Bühne Leben einzuhauchen.
Vor Sonnenaufgang
Premiere: Fr, 24.11., 19.30 Theater Basel
www.theaterbasel.ch