Heidi ist wohl das berühmteste Mädchen der Schweiz. Eine Tourismusmarke, ein Pop-Phänomen, aber vor allem ist «Heidi» eine aussergewöhnliche Geschichte der Schweizer Autorin Johanna Spyri. Auf den 1880 erschienenen Roman folgte eine Karriere wie aus dem Bilderbuch.
Spyris Geschichte wurde in über 50 Sprachen übersetzt und immer wieder neu verfilmt. Besonders die Hollywood-Version von 1937 mit dem Kinderstar Shirley Temple und die Serie aus den 1970er-Jahren mit Katia Polletin prägten das Heidi-Bild. Und natürlich die japanische Anime-Version, an der auch Hayao Miyazaki («Chihiros Reise ins Zauberland», «Totoro») beteiligt war und die den Stil anderer Anime-Serien entscheidend prägte.
Geissenpeter als «Justin Bieber von den Alpen»
Heute inspiriert Heidi die Theater- und Filmschaffenden noch immer. Im Sommer erscheint ein neuer animierter Heidi-Film, eine realverfilmte Miniserie ist für 2027 geplant. Dieses Frühjahr steht Heidi beim Theater Kanton Zürich und im Zürcher Theater Neumarkt auf dem Spielplan. Derweil sucht das Heidi Heritage Project nach einem Ort für ihr Heidiseum.
Warum bewegt Heidi die Menschen so? Wie Gespräche mit Heidi-Vermittlerinnen und -Vermittlern zeigen, faszinieren ganz unterschiedliche Aspekte am Alpenmädchen.
Sophia Bodamer inszeniert es als Kinderstück für das Theater Kanton Zürich. «Heidi ist ein gutes Vorbild für Kinder», sagt sie. «Sie ist extrem unerschrocken, freiheitsliebend und unvoreingenommen. Obwohl sie nicht nach Frankfurt gehen will, ist sie offen für neue Freundschaften.» Markus Steinwenders Theaterfassung, die Bodamer verwendet, ist etwas modernisiert. So will der Geissenpeter der «Justin Bieber von den Alpen» werden.
Auch die Religion spielt keine Rolle mehr. «Das fanden wir nicht mehr zeitgemäss.» Die Rollenzuteilung ist halbmodern. Eine fixe Rolle hat nur Annina Walt, die aus der SRF-Serie «Frieden» bekannt ist und nun Heidi spielt. Die beiden anderen Darsteller Jonas Götzinger und Nils Torpus verkörpern alle anderen Figuren. Das verspielte Bühnenbild kommt mit aufklappbaren Seitenfenstern daher, die an ein Buch erinnern und das Eintauchen in die gemütliche Berghütte erleichtern.
Im Neumarkt wird Heidi auch kritisch beleuchtet
Im Theater Neumarkt wird Heidi von Co-Direktorin und Dramaturgin Hayat Erdogan und Regisseurin Lena Reissner inszeniert. Erdogan erzählt: «Ich wollte schon immer mit dem Heidi-Stoff arbeiten. Mit der Anime-Serie bin ich aufgewachsen, und die Szene, als Heidi aus Frankfurt zurück zu ihrem Alpöhi geht und ihn umarmt, hat mich als Kind enorm berührt.»
Heute beschäftige sie diese Rührung, diese ambivalente Sehnsucht nach dem Nichtvorhandenen. Das Schauspielteam besteht aus vier Personen, die libanesischer, simbabwischer,schweiz-palästinensischer und deutscher Herkunft sind. Sie alle verkörpern Heidi, mit der sie Schönheit, Aufrichtigkeit und Offenheit verbinden.
Doch da gibt es noch etwas anderes: «Heidis einfache, ursprüngliche, heile Bergwelt schliesst Einflüsse von aussen, Fortschritt und Unbekanntes aus», sagt Erdogan. Auch den multikulturellen Cast bringe man auf den ersten Blick nicht unbedingt mit Heidi zusammen. «Der Heimatbegriff in Heidi, die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und Authentischen wird gerade von rechten Bewegungen instrumentalisiert und kann deshalb ausschliessend wirken.»
Diese Ambivalenz sei auch in dem Internetphänomen «Cottage Core» zu finden. In der Inszenierung nähert sich Erdogan Heidi mit diesem popkulturellen Element auch musikalisch. Der Begriff «Core» bezeichnet eine Gemeinschaft, die auf ästhetischen Merkmalen basiert und gerade auf Social Media temporär identitätsstiftend genutzt wird. Unter der Bezeichnung «Cottage Core» werden etwa Fotos von idyllischen Gärten, gemütlichen Hütten oder Picknickkörben im Blumenmeer hochgeladen. Neben dem Theater Neumarkt untermalt auch das Theater Kanton Zürich seine Heidi-Version mit traditioneller und moderner Musik.
Zwei absolute «Heidi-Ultras» sind die Deutschen Peter Otto Büttner und Peter Polzin. Ihr gemeinsamer Vorname ist Programm, die beiden Freunde leiten das Heidi Heritage Project. In diesem sollen literaturwissenschaftliche Forschung, Bildungsangebote und internationale Ausstellungsplanung zusammenlaufen. In Japan, Deutschland, in der Schweiz und aktuell in den USA realisierten Büttner und Polzin bereits verschiedene Heidi-Ausstellungen, etwa zur Rezeption in Israel, Lateinamerika oder zum Thema «Heidi und KI».
«Wir wollen Heidi auf ein neues Level bringen»
«Heidi ist eine kulturelle Brückenbauerin», sagt Büttner, dessen Urgrossvater 1880 die ersten Illustrationen für Johanna Spyris «Heidi»-Ausgabe schuf. «Sie kennt keine politischen Grenzen, die transportierten Werte wie Empathie, Naturverbundenheit und Mut sind universell und werden weltweit geschätzt.» Büttner und Polzin wollen nun in Zürich einen festen Ort schaffen, der nur Heidi gewidmet ist. «Wir wollen Heidi auf ein ganz neues Level bringen», so Polzin. Die Raumsuche gestaltet sich bisher aber als schwierig.
Theater
Heidi
Premiere: Mi, 19.2., 17.00
Ab 6 Jahren
Theater Winterthur ZH
Heidi
Premiere: Do, 10.4.
Theater Neumarkt Zürich
Animationsfilm
Heidi – D’Legände vom Luchs
Regie: Tobias Schwarz
Schweizer Kinostart: Do, 26.6.
Geplantes Heidiseum
www.heidiheritage.com