«Alle Probleme waren gelöst. Es war warm und die Hügel wieder grün», erinnert sich Genet zurück. Sie und drei weitere Figuren erzählen, wie auf 2020 düstere Jahre und eine kurze Eiszeit folgten, und dann war plötzlich alles gut. Im November 2045 begann die Utopie: «ES» brachte Glück in die Welt, «Jugojugoslavija» war geboren. Im gleichnamigen Theaterstück von Autor Bonn Park steht dieses Hochgefühl – das himmelhoch jauchzende Miteinander – im Zentrum. Genet, Stefan, Isabelle und Kilian erinnern sich in herrlich absurden Anekdoten an die «gute alte Zeit». Regisseurin Anita Vulesica hat sich Parks Text angenommen und bringt diesen nun im Schauspiel Bern auf die Bühne.
Jugoslawien und Utopie? Nicht wenige sollten bei diesem Wortpaar ein kapitales Déjà-vu erleben. Tatsächlich entstand unter Partisanenkämpfer und Kommunist Josip Broz – bekannter unter seinem Kampfnamen «Tito» – nach dem Zweiten Weltkrieg ein sozialistischer Vielvölkerstaat. Kroatien, Serbien, Slowenien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina waren plötzlich vereint. Juden, Muslime, Katholiken und Serbisch-Orthodoxe lebten mit- und nebeneinander. Regisseurin Vulesica (*1974), die Teile ihrer Kindheit in Kroatien verbracht hat, erinnert sich lebhaft, wie Menschen mit unterschiedlichsten kulturellen und religiösen Hintergründen in Frieden miteinander lebten. Erst nach Titos Tod 1980 begann es zu brodeln. Brutales Kriegstreiben folgte und zerriss den Balkan.
«Ich liefere keine vorgefertigten Bilder»
Titos Traum und sein Versprechen von Frieden und Stabilität aber werden im Stück erneut Realität. Wie ein Geist mäandert der Heilsbringer durch Bonn Parks Stoff. Ohne beim Namen genannt zu werden, wie Vulesica betont: «Ich mache kein historisches Erklärtheater, liefere keine vorgefertigten Bilder, sondern lasse vieles offen.» Das Publikum soll Raum für Interpretation haben, denn die erinnerte Utopie – und die programmierten Abstürze danach – seien keinesfalls nur aufs ehemalige Jugoslawien zu beziehen, sondern universell. In der Tat wiederholt sich die Geschichte ständig: «In jeder Utopie kam irgendwann der Moment, in dem jemand die Macht an sich riss und es ins Negative kippte», sagt Vulesica. So besuchte sie mit ihrem Team die Berner Ausstellung über Nordkorea (siehe Box rechts).
In «Jugojugoslavija» fläzen sich die Protagonisten derweil in einer Bade-Erholungs-Welt, in einem geschlossenen System. «Mich interessieren solche in sich selbst funktionierenden Systeme», sagt Vulesica und zieht den Vergleich zu Wes Andersons Film «The Life Aquatic With Steve Zissou». Darin sind die Forscher in einem U-Boot «eingesperrt». Auf der Theaterbühne hingegen entfliehen die bunte Badekappen tragenden Figuren ihrem schwer greifbaren «Gefängnis» träumend, springen in der Geschichte vor und zurück, ohne einem linearen Zeitstrahl zu folgen.
Und immer wieder ploppen glückselige Erinnerungsbilder auf, die Historisches spiegeln. Etwa wie die Schauspieler kollektiv in die Figur einer Eiskunstläuferin schlüpfen und grossmäulig erzählen, wie sie als 84-Jährige zu den Olympischen Spielen 2072 in Ulan Bator eingeladen wurden. Und das, obwohl sie gar nicht Schlittschuhlaufen können. Die Parallele zu Olympia 1984 in Sarajevo drängt sich auf. Trotz solcher Hinweise macht Vulesica einen weiten Bogen um Folklore. Im Gegenteil: Sie versucht, das Geschehen bewusst vom ehemaligen Jugoslawien zu lösen.
Vulesica, die oft selbst auf der Bühne und vor der Kamera steht, ist fasziniert von Bonn Parks Schreibstil: «Mich packt diese infantile Sprache; Theater ist an sich etwas Kindliches, dieses ‹Spielen› und Aktiv-in-Rollen schlüpfen.» Auch Chöre haben es der Berlinerin angetan: In Bern wird ein Kinderchor – coronabedingt nur als Videoprojektion – das Stück begleiten. Wenn dazu nebulös über das Zentrum für angenehme Umstände, Avocadokerne oder Nuklearkalender geplaudert wird, ist Fantasie gefragt. Wer gradlinige Geschichten erwartet, ist hier fehl am Platz. Vulesica, viel beschäftigt und mit einem Bein bereits in der nächsten Produktion am Wiener Burgtheater, weiss, was sie will, und doch – oder gerade deshalb – lässt sie vieles im Dunkeln. Ihr kurzweiliger Abend pendelt zwischen Melancholie und Komik, die für sie ein untrennbares Gespann bilden.
Jugojugoslavija
Premiere: Fr, 18.3., 19.30 Schauspiel Bern
www.buehnenbern.ch