Sie lassen alle den Kopf hängen. Die beiden Mädchen und ebenso der Junge. Daneben der Vater mit Hornbrille – auch er erschlafft. Ein Anblick so melancholisch wie skurril, und auch etwas gespenstisch. Denn die vier lebensgrossen Personen sind keine Menschen, sondern Puppen aus dem neuen Figurentheater des Ensembles Dakar, wo es um Familie und die Vergangenheit von drei erwachsenen Geschwistern geht. Unbelebt, unbespielt baumeln sie an einer Stange. Bis Delia Dahinden mit ihrer rechten Hand in den Kopf von einer schlüpft und mit ihrer Linken deren Hand zu führen beginnt. Augenblicklich beginnt sich die Figur zu bewegen, füllt sich mit Leben. «Von Puppen und Masken geht eine besondere Magie aus», sagt sie: «In vielen Naturreligionen stellen sie die Verbindung dar zu einer magischen Welt.»
Ihre eigene Verzauberung habe sie in den 1980er-Jahren erfahren, als sie ein Figurentheater von Neville Tranter sah: «Ich war erschüttert. Kein Schauspieler reichte für mich an seine Puppen heran.» Ihre erste eigene Puppe war ausgerechnet eine Leiche: Für eine humorvolle Groteske über eine Frau, die sich so erfolgreich gegen ihren Vergewaltiger wehrt, sodass der unversehens tot bei ihr auf dem Boden liegt, brauchte sie einen Leichnam. «Also dachte ich, ich bastle mir einen.»
Das Stück wurde ein Erfolg, die Figur auch. Es folgten mehr und mehr Projekte, bei denen die Puppen immer grössere Rollen einnahmen: «Hin ist hin» nach Ödön von Horváth oder «Matto regiert» nach Friedrich Glauser. Da hatte sich Delia Dahinden längst mit Anna Karger und Lukas Roth zum Figurentheater-Ensemble Dakar zusammengeschlossen.
Schnitt um Schnitt zum neuen Gesicht
Figurenkünstlerin ist Delia Dahinden gleich im doppelten Sinn. Sie spielt nicht nur Puppen, sie baut diese auch selber. Im Werkstatt-Zimmer ihrer Wohnung stapeln sich Perücken, Teddybärenaugen und graue Schaumstoffblöcke ordentlich in Klarsichtboxen verpackt.
Aus den weichen Schaumstoffblöcken schnitzt sie die Köpfe. Schnitt um Schnitt trägt sie Material ab, bis ihr die gewünschten Gesichtszüge entgegensehen. Schon im unbespielten Zustand haben Dahindens Figuren Charakter. Die grossen Augen erinnern an Gemälde von Marc Chagall, manchmal auch an Tiere.
Von Max Frisch und Hermann Hesse inspiriert
Inspirieren lässt sich Dahinden durchaus von realen Personen. So stand Hermann Hesse schon Pate für eine Puppe, und wer im Stück «Mit der Zeit muss man gehen», das am BAFF! Premiere feiert, beim Vater an Max Frisch denken muss, liegt nicht falsch. Doch diesmal war die Herausforderung ungleich höher. Schliesslich galt es, die drei Kinderpuppen so zu gestalten, dass sie auf Anhieb erkennbare, kindliche Versionen von ihr und ihren zwei Mitspielern wurden. «Sie sollten die Essenz von uns dreien enthalten», erklärt Dahinden. «Ich habe sehr lange gebraucht, um mich überhaupt an die Arbeit zu wagen. Erst drei Tage vor der ersten Probe schnitzte ich los.»
«Figurentheater ist eine Demutsübung»
Als Delia Dahinden die Rohformen mit Stoff überzog, stand sie vor einem neuen Hindernis: «Jeder Millimeter veränderte unsere Gesichtszüge, sodass ich die meisten Nähte wieder auftrennen musste», erzählt sie und fügt lachend an: «Aber Figurentheater ist sowieso eine Demutsübung.» Als Schauspieler stünde man dabei nicht mehr im Zentrum, sondern gebe seine Energie an ein totes Material ab. «Aber gerade das macht es so spannend», sagt sie, greift sich ihr kindliches Puppen-Pendant und lässt es einmal durch das Zimmer laufen. Wer die beiden sieht, merkt augenblicklich: Die Magie ist da.
Mit der Zeit muss man gehen
Sa, 28.9., 19.00 & So, 29.9., 19.30
Vorstadttheater Basel, ab 12 Jahre
Sieben Fragen an Kathrin Doppler, Co-Leiterin BAFF! Basel
«Das Staunen steckt schon im Namen»
kulturtipp: Kathrin Doppler, das Figurentheater-Festival BAFF! feiert seine 10. Ausgabe. Gibt es zum Jubiläum eine Extraportion Spektakel?
Kathrin Doppler: «Baff sein» steckt bei uns ja im Namen. Staunen dürfen wird man schon beim Eröffnungspektakel. Beginnend beim Museum Tinguely geht es zu Fuss den Rhein runter, während die Gruppe Barolosolo mit Flossen und Fahrrädern auf dem Wasser überrascht.
Programme wie dieses und andere eignen sich für Kinder. Trotzdem ist das Festival kein Kindertheaterfestival.
Es ist ein Festival für alle! Die Stücke am Vormittag sind für Kinder gedacht. Es gibt aber auch ein Abend- und Late-Night-Programm mit Musik oder Animationsfilmen vom «Luststreifen Film Festival», das sich explizit an Erwachsene richtet.
Steckt Figurentheater unter dem Generalverdacht, Kindertheater zu sein?
Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Mit unserem breiten, generationenübergreifenden Angebot oder Diskussionen zum Thema «Mit Figurentheater die Welt verändern» wollen wir das Genre einem grösseren Publikum zugängig machen.
Was braucht es für wirklich gutes Figurentheater?
Dass es auf verschiedenen Ebenen funktioniert. Wobei eine grosse Stärke von Figurentheater seine Transdisziplinarität ist, mit Schauspiel, Objektanimation, bis hin zu einer Art bildender Kunst – eine unglaubliche Bandbreite innerhalb eines Genres.
Dafür wird die Mimik, der menschliche Ausdruck im Vergleich zum Sprechtheater unwichtiger.
Das würde ich so nicht sagen. Die Mimik der Spieler verleiht der Figur erst jene Mimik, welche sie selber nicht hat. Der Charakter fügt sich beim Zuschauer also aus verschiedenen Elementen zusammen.
Kommt man durch diese Verfremdung besser an heikle Themen heran? Das BAFF! dreht sich dieses Jahr ums Thema Migration.
Es bringt Distanz in ein Thema, was bei heiklen Stoffen positiv wirken kann. Eine israelische Puppenspielerin zeigt mit «We Blush» ein Stück über Scham. Da bieten die Puppen tatsächlich Freiraum.
Sie setzen auf eine Mischung aus Bewährtem und Experiment. Was ist dieses Jahr an Bewährtem dabei, was an Experiment?
«We Blush» ist ein Experiment, da das Stück noch im Prozess ist. Zu Bewährtem könnte man Dakar zählen, deren bisherige Produktionen sehr überzeugt haben. Viele Festivals zeigen nur Neuproduktionen. Wir laden Stücke ein, die uns voll überzeugen. Zum Beispiel «Mein Kind – The Dictator’s Mom», das sich mit Diktatoren auseinandersetzt. Das ist keine Neuproduktion, hat aber bis heute nichts an Relevanz verloren.
10. Figurentheater-Festival BAFF! Basel
Mi, 25.9.–So, 29.9.
BAFF! Eröffnungsspektakel
Balad O – Companie Barolosolo
Mi, 25.9., 18.00
Ufer Tinguely Museum
Mein Kind – The Dictator’s Mom
Do, 26.9., 19.30 Münsterplatz
We Blush – Goni Paz
Kurzstückspaziergang, ab 12 J.
Fr, 27.9., Start: 18.30 & 19.30 Klara Basel
Weitere Veranstaltungen: www.figurentheaterfestival.ch