Mit Trauermienen gucken die beiden Jungs in den Theatersaal und wippen auf ihren überdimensionierten Schaukeln: Tom untermalt Hucks klagende Rede mit einer schwermütigen Melodie auf der Mundharmonika – und schluchzt herzzerreissend. Plötzlich brechen die beiden in lautes Gelächter aus. Soeben haben sie ihrer eigenen Beerdigung beigewohnt – bevor sie sich quicklebendig zu erkennen geben. Der spitzbübische Waisenjunge Tom, der bei seiner Tante Polly lebt, und sein ebenso frecher Freund Huck, dem nur ein trinkender und raufender Vater geblieben ist, haben es faustdick hinter den Ohren.
In Mark Twains Schelmenroman «Die Abenteuer des Tom Sawyer» machen die beiden das Südstaaten-Städtchen St. Petersburg am Mississippi unsicher: Schule schwänzen, Pfeife rauchen, vom Piratenleben träumen und Streiche aushecken, gehören zu ihren liebsten Beschäftigungen.
Flucht auf eine Pirateninsel
Eines Nachts schleichen die zwei auf den Friedhof, um einen Heilzauber für Warzen auszuprobieren. Doch stattdessen beobachten sie dort, wie Indianer-Joe den jungen Dorfarzt Robinson im Streit niedersticht. Die Schuld schiebt Joe dem einfältigen Landstreicher Muff Potter zu, der vom Alkohol so beduselt ist, dass er ihm die Lüge glaubt. Am nächsten Tag wird Muff verhaftet – und Tom und Huck flüchten aus Furcht vor Indianer-Joe auf eine Insel, um dort als Piraten zu leben. Die Bewohner im Städtchen glauben, sie seien ertrunken. An ebendieser Stelle setzt die Probenszene in Bern ein, in der die vorlauten Jungs ihre eigene Trauerfeier aufmischen.
Mit sichtlichem Spass sind die jungen Schauspieler Tobias Krüger und David Berger alias Tom Sawyer und Huckleberry Finn bei der Sache: Übermütig balgen sie sich auf der Bühne und üben den lockeren Handschlag unter Freunden.
Rasante Figuren- und Kostümwechsel
Für Heiterkeit sorgt auch Sophie Melbinger, die spielerisch zwischen zwei Rollen wechselt: Als Toms Freundin Becky mimt sie das starke Mädchen, und in der Rolle des verwahrlosten Landstreichers Muff Potter kommt ihre komödiantische Seite zum Zug. Mit tiefer Schnaps-Stimme und beschränktem Gesichtsausdruck torkelt sie von einem Fettnäpfchen ins nächste. Den blitzschnellen Figurenwechsel beherrschen auch Jonas Alexander Rhonheimer und Lilian Naef. Eben noch flatterte die Schauspielerin in der Rolle der besorgten Tante Polly im weissen Tutu über die Bühne – und lehnt im nächsten Moment schon lässig als gefürchteter Indianer-Joe am Türrahmen.
«Die rasanten Figuren- und Kostümwechsel auf der Bühne sind ein Spielvergnügen», sagt Regisseurin Patricia Benecke in einer Probenpause. Trotz eingedampfter Fassung, die sich auf ausgewählte Episoden aus Mark Twains Roman beschränkt, kommen die wichtigsten Motive im Stück zum Zug: Freundschaft, erste Liebe und Lausbubenstreiche. Mit diesen zeitlosen Themen fesselt die Geschichte aus dem Jahr 1876 auch die Kinder von heute. Zudem kann sich das junge Publikum am Abenteuer beteiligen: Die Zuschauer dürfen etwa mit Huck ein Lied singen und werden zu Komplizen, wenn Tom sie verschwörerisch um Rat fragt, ob es jetzt wohl an der Zeit sei für den Versöhnungskuss mit der angehimmelten Becky.
Das Gute siegt, die Helden feiern
Videoprojektionen von Fabian Chiquet lassen die Weite der Südstaaten erahnen: Die grossen Felder, das getrocknete Gras und der ruhig dahinziehende Mississippi flimmern über die Leinwand. Und nicht zuletzt trägt die von Patrik Zeller kreierte Musik zur Atmosphäre bei. Mit Banjo, Gitarre, Geige und Posaune liefert das Trio mit Simon Heggendorn, Matthias Urech und Maro Widmer die muntere Musik zu den Liedern und die passende Geräuschkulisse.
«Wir erzählen aus Toms Kinderperspektive», sagt Benecke. «Daher ist alles überdimensioniert: Die Schaukeln, der Gartenzaun oder die Gerte des Lehrers.» Letztere kommt in einer Probenszene zum Einsatz. Weil Tom in der Schule nur Unfug im Kopf hat und dem Lehrer einen Schwamm an den Kopf wirft, zieht dieser die Rute, um den Schlingel zu verkloppen. In Zeitlupe von den Schauspielern dargestellt, wirken selbst die Schläge des Lehrers komisch, ins comichafte verzerrt. Schliesslich sollen sich auch die Kleinsten nicht fürchten. Dafür sorgt das Schauspielteam, das mit Leichtigkeit und Humor durch die Abenteuerreise führt. Wie im Märchen siegt das Gute, der tölpelhafte Muff Potter wird dank Tom und Huck freigesprochen, und alle können ein grosses Heldenfest feiern.
Die Abenteuer des Tom Sawyer
Ab 6 Jahren
Premiere: Sa, 10.12., 14.00 Stadttheater Bern (ausverkauft)
Weitere Daten bis Mi, 1.2.: www.konzerttheaterbern.ch
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