Bei Pınar Karabulut geht alles schnell. Sie spricht schnell, denkt schnell, und vor allem: Sie arbeitet schnell. Die 34-jährige Regisseurin bringt aktuell am Theater Basel Fjodor Dostojewskis Roman «Der Spieler» auf die Bühne. Sie hat den Klassiker modernisiert und ins Heute versetzt, stark gekürzt und mit Anglizismen gespickt. Farbig, spielfreudig, dynamisch – Karabulut bringt Leben und Tempo rein. Damit spiegelt sie den Zustand des Autors, in dem er seinen vergleichsweise kurzen Roman verfasste. «Mich interessierte der Rausch, in dem Dostojewski geschrieben hat», erklärt Pınar Karabulut im Gespräch mit dem kulturtipp.
Gerade mal 26 Tage benötigte Dostojewski, um «Der Spieler» zu schreiben. Oder genauer: zu diktieren. Zum Schreiben reichte die Zeit nicht, der russische Schriftsteller (1821–1881) hatte das Messer am Hals. Im Sommer 1867 erhielt er von seinem Verleger Stellowski einen Vorschuss unter der Bedingung, bis zum 1. November 1867 einen Roman zu liefern. Bei Nichteinhalten würden über neun Jahre hinweg alle Rechte an bereits existierenden und noch zu schreibenden Werken an den Verleger übergehen, ohne dass Dostojewski auch nur einen Rubel sähe. Am Ende reichte es – haarscharf.
Dostojewski war pleite bis aufs letzte Hemd
Wie konnte es so weit kommen? Ganz simpel: Dostojewski war hochgradig spielsüchtig. Er verzockte alles, was er in die Finger kriegte. Mit Vorliebe in den deutschen Kurorten Baden-Baden und Wiesbaden, wo Casinos – anders als in Russland – legal waren. 1865 verzockte er sich in Wiesbaden brutal und schrieb: «Ich bin pleite bis aufs letzte Hemd – sogar meine Uhr habe ich verspielt, und im Hotel schulde ich Geld.» Ein Freund half aus, doch das reichte nur für die Reise, um zu überleben ging Dostojewski den Pakt mit dem Teufel – oder eben seinem Verleger – ein.
Anders als Lebemann Dostojewski mussten sich das Basler Schauspielensemble und die Regisseurin in die Materie Glück-sspiel reinfuchsen. Gemeinsam besuchten sie auf den Spuren des Autors das Casino in Baden-Baden. «Wir beobachteten, spielten selber, versuchten uns in die Leute einzufühlen», erzählt Karabulut. «Annika Meier (Polina) gab Elmira Bahrami (Aleksej) sogar von ihrem eigenen Geld, damit diese spürte, wie es ist, mit dem Geld anderer zu spielen.» Genau wie im Roman: Der junge Hauslehrer Alexej Iwanowitsch verspielt im fiktiven deutschen Kurort Roulettenburg ordentlich Kohle, seine eigene und die von anderen. Dazu hat er eine unglückliche Affäre mit der Generalstochter Polina. Und dann taucht plötzlich die reiche Erbtante auf, deren Tod die Lösung aller Probleme gewesen wäre.
Das starre Weltbild im Klassiker wirft die Regisseurin gnadenlos über den Haufen. Wie bereits bei «Endstation Sehnsucht» in Wien, «Mamma Medea» in Berlin oder der Webserie «Edward II» (siehe Box) lässt Pınar Karabulut die Geschlechterrollen verfliessen: «Wir haben alle querbeet besetzt und das Konzept von Frau und Mann aufgehoben», sagt sie und fügt an: «Alexej und auch Polina werden von Frauen gespielt, die beide Kleider und Hosen tragen – das ist einfach egal!» Für ihren radikal erfrischenden, feministischen Stil wurde Karabulut 2021 mit dem Förderpreis für Darstellende Kunst des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.
Extravagant und expressiv ist auch die Musik
Als Kind der 1990er webt sie spielerisch popkulturelle Referenzen ein und zelebriert dabei oft die Queer- und Black-Kultur. Extravagante Kostüme, die von ihr geliebte Tanzform «Voguing» oder sich aus Liebe küssende Männer auf der Bühne gehören zu ihrer Kunst einfach dazu – «ein politischer Akt», wie sie sagt. In Basel spielt sich alles auf einer mit Glitzerstoff bezogenen Drehbühne ab. Über dem darauf kreisenden Roulettetisch thront gar eine Poledancestange. Verschiedene Ebenen laufen ineinander, arbeiten mit optischer Täuschung, sodass das Publikum leicht die Orientierung verliert.
Zum extravaganten, expressiven und lauten Stil gehört auch die Musik, die Daniel Murena beisteuert. Elektronisch aufgeladen, druckvoll und dramatisch klingt sie. Murena und Dramaturgin Sarah Lorenz sind bei fast allen Projekten von Karabulut dabei; in Berlin, München, Köln, aktuell in Basel und bald wieder in Bremen. Scheinbar ohne Pause ist die Regisseurin unterwegs, lässt sich kaum bremsen. Schon gar nicht von Corona, wie sie trocken sagt: «Theater gibts seit 2000 Jahren, es hat so viele Pandemien überlebt, es wird auch diese überleben.»
Wie schafft sie dieses Pensum? Die quirlige Regisseurin antwortet lachend: «Es macht mir einfach Spass, ich mag meinen Beruf unglaublich gerne.» Sicher liegt es auch an ihrer Arbeitsweise. Bei einer Probe witzelte sie, dass sie Dostojewskis Stoff in 26 Tagen inszenieren wolle, genau so schnell, wie dieser den Roman fertigstellte. Die Probenzeit dauerte selbstverständlich länger, und doch ist ein rauschhafter Abend entstanden.
Der Spieler
Premiere: Fr, 28.1., 19.30 Theater Basel
www.theater-basel.ch