«Meine Beine rennen durch den Raum, aufs bunte Buffet, wo ich Kristallgläser wegkicke.» Florentine Krafft spricht eindringlich ins Mikrofon. Hinter ihr steht Chantal Dubs in einem Reifrock auf einem Stuhl und singt «Haaaaalt, haltet sie aaaauf», während die auf der Bühne verteilten Räuberinnen ihre mit Oliven bespiessten Zahnstocher wie Miniaturdegen zum Duell zücken.
Die Spielerinnen des Aargauer Tourneetheaters Marie stecken in den ersten Proben zu «This is a robbery». Ein Stück, das Friedrich Schillers «Räuber» in die Gegenwart holt, geschrieben von der Schweizer-Buchpreis- Trägerin Martina Clava- detscher.
Gerechtigkeitsfragen sind brandaktuell
Bei Schillers Drama «Die Räuber » verbringt der reiche Erbe Karl Moor viel Zeit in fernen Gasthäusern. Sein jüngerer Bruder Franz erzählt dem Vater, Karl sei kriminell, woraufhin der Vater seinen erstgeborenen Lieblingssohn Karl vermeintlich verstösst.
Der verletzte Karl gründet dann tatsächlich eine Räu- berbande, die gesellschaftliches Unrecht rächen soll. Für Martina Clavadetscher sind die «Räuber» und ihre Gerechtigkeitsfragen brandaktuell, doch waren ihr die Motive von Schillers Figuren zu schwach. «Ich dachte mir: Warum sind die Räuber nicht eine Bewegung, die sich gegen die herrschende Elite wehrt?» In ihrem Stück «This is a robbery» sind alle Figuren weiblich: Aus Karl Moor wird Ka Moor, aus dem Vater eine Mutter. «Frauen haben in einem patriarchalen System einfach mehr Grund zur Revolution», findet Clavadetscher.
Mit dem Geschlecht verändern sich die Rollen. So bekommt vor allem die Mutter, gespielt von Rachel Braunschweig («Die göttliche Ordnung»), mehr Tiefe. Als die Mutter jünger war, bekämpfte sie selbst das System. Nun hat sie sich damit abgefunden und redet lieber über Eichhörnchen als über den Kapitalismus: «Wenn die Tiere vergessen, wie viel sie gesammelt haben, macht das nichts. Denn die Verstecke werden im Frühling gedeihen, aus Nüssen und Samen entsteht Neues.»
Heiligt der Zweck wirklich alle Mittel?
Auf die sonst eher karge Bühne bringt die Mutter mit einem Tulpenstrauss etwas Farbe. Sie versucht, die Blumen in eines der dünnen Wassergläser auf den Kanzeln zu stecken. Doch die Gläser fallen sofort um, sobald sie sie loslässt. Die Natur, die ihr Halt gibt, will nicht so recht in die politische Szenerie passen. Clavadetschers Räuberinnen prangern nicht nur die Ungleichheit, sondern auch deren Folgen an.
So sagt die Räuberin Spiegelberg: «Schliesst man Menschen vom Wohlstand aus, schliesst man diese Menschen auch von der Demokratie aus.» Schiller macht nicht ganz klar, ob er in den Räubern Kriminelle oder ehrenhafte «Robin Hoods» sieht.
Clavadetscher hingegen hat eine deutliche Haltung: Sie ist für die Räuberinnen und ihre Revolution. Trotzdem romantisiert sie nicht. Die angriffige Räuberin Spiegelberg will mehr Gewalt anwenden als die Hauptfrau Ka Moor. Und wirft damit die Frage auf, ob der Zweck wirklich alle Mittel heiligt.
Schnelle Dialoge wirken wie kleine Manifeste
Und Spiegelberg ist es auch, die Ka Moor an ihre Herkunft erinnert: «Das Muttertöchterchen beisst die Hand, die sie einst fütterte.» Ist Klassenkampf unglaubwürdig, wenn er von den Privilegierten angestossen wird? «Wenn die Privilegien transparent gemacht werden, kann der Kampf trotzdem authentisch sein», meint Clavadetscher.
Die Autorin lässt hochtrabende schillersche Formulierungen und moderne Umgangssprache ineinanderfliessen. So realisiert irgendwann Ka Moors Mutter: «Plötzlich sieht es so aus, als ob das Kindertier die ganze Welt gar nicht übernehmen will, sondern abfackeln.»
Die schnellen Dialoge wirken teils wie kleine Manifeste. Doch bevor es eintönig wird, macht das Gespräch einen überraschenden Hüpfer. Diesen Rhythmus versteht Regisseur Manuel Bürgin präzise auf die Bühne zu übersetzen. So wirkt etwa das Umblättern der Texthefte auf den Pulten wie eine Ohrfeige nach einem scharfen Satz.
Immer wieder begeben sich die Figuren auf die Metaebene, kommentieren die Bühnensituation oder die eigene Rolle in Schillers Text. Auch diese Ausflüge sind schnell und dicht gemacht und wirken deshalb wohl stärker bei jenen im Publikum, die das Original von Schiller kennen. Bei Amalia ist der Konflikt mit der eigenen Rolle am interessantesten.
Sie ist die Einzige, die auch bei Schiller weiblich ist und deren Daseinsberechtigung vor allem in der Liebesbeziehung zu Moor begründet ist. Beim Theater Marie bekommt die vergessene, am Boden liegende Amalia den schweren Blumenstrauss von Ka Moors Mutter schliesslich zwischen Arm und Bauch geklemmt.
Doch Amalia begehrt auf. Sie weigert sich, das Wort Liebe auszusprechen, will mit dem Drama nichts zu tun haben. Und während sie umhertigert und die langsam einsetzende Revolution mit den Worten «derweil drängen die Randständigen in die Mitte» beschreibt, kommt auch sie dem Bühnenzentrum näher.
«Diese Geschichte ist der reinste Kommunismus»
Der Frage nach Gerechtigkeit begegnet das Stück verspielt. Die Figuren wechseln sich beim Erzählen ab. Jede könnte jeden Text sprechen, weil eben auch jede in jede Rolle hineingeboren werden könnte. «Diese Geschichte ist der reinste Kommunismus », resümiert Spiegel- berg treffend.
Solche Feinheiten lassen das Stück nachhallen. Nach der Uraufführung in Aarau, ist die Revolution der Räuberinnen auf den Bühnen in Dornach, Baden, Bern und Brig zu sehen.
This is a robbery
Premiere: Mi, 11.1., 20.00, Alte Reithalle Aarau
www.buehne-aarau.ch
Tourneedaten: www.theatermarie.ch