«Selig sind die Holzköpfe, denn sie ertrinken nicht.» Dieses Zitat hatte Paula Roth (1918–1988) in eine Holzbüste geritzt, mit der sie sich selbst darstellte. Wie sich die Aussenseiterin trotz widrigen Umständen mit Lebenslust über Wasser gehalten hat, zeigt nun die Uraufführung «Selig sind die Holzköpfe», die letzte Regiearbeit von Schauspieldirektor Jonas Knecht im Theater St. Gallen.
Geschichten ranken um die «Hexe im Albulatal»
Der gesellschaftlichen Norm entsprochen hat Paula Roth nie: Die Thurgauerin befreite sich aus der Armut und einer unglücklichen Ehe, verlor durch die Scheidung ihre beiden Kinder und wurde in die Psychiatrie zwangseingewiesen. Doch sie kämpfte sich aus der Krise und verwirklichte sich mit dem abgelegenen Bündner Gasthaus «Bellaluna» den Traum vom naturnahen Leben.
Fortan war die Wirtin und Naturheilerin als die «Hexe im Albulatal» bekannt, zahlreiche Mythen und Anekdoten ranken sich um sie. Bei ihr kehrten Randständige genauso ein wie damalige Promis aus der Unterhaltungsbranche. «Sie wurde im Dorf sehr ambivalent wahrgenommen.
Aber anstatt an ihrer Aussenseiterrolle zu verzweifeln, konnte sie ihre eigene Sicht auf die Welt für sich nutzen und lebte ganz autonom», sagt Katja Brunner am Telefon aus Berlin. Die 31-jährige Zürcher Theaterautorin war zur Recherche selbst vor Ort im ehemaligen Gasthaus «Bellaluna», hat die Landschaft erkundet und mit den Dorfbewohnern und Angehörigen gesprochen. «Ich wollte eine künstlerische Infiltrierung oder Verformung von Paula Roths Geschichte machen», sagt sie.
In ihrem Text greift Katja Brunner frei assoziierend einzelne Elemente auf, lässt mal das Haus sprechen, mal ein Tier oder die Künstlerin selbst, wenn diese sagt: «In mir war schon seit jeher eine Art Gestaltungswut, das Verhältnis zu Sandhügeln, Tränken und gierigen Greiftieren, ich war schon immer halb zu Hause und halb unterwegs.»
Der Umgang mit der Erinnerung
Dieser poetische Text mischt sich im dreistündigen Theaterabend mit dem biografischen Text von Dramaturgin Anja Horst und Liedern von Ariane von Graffenried und Martin Bieri. Die Episoden verdichten sich mit Schauspiel, Livemusik und Tanz-Choreografie zum Leben von Paula Roth.
Angekündigt wird die Inszenierung als «musiktheatralische Séance». So wird auch die Frage aufgeworfen, inwiefern die Toten ein Teil von dem sind, was uns heute prägt. «Wie geht Erinnern, wie erzählt man die Komplexität widersprüchlicher Wahr- heiten?», führt Brunner aus.
Die Aussenseiterin wurde ungewollt zum Mythos
Im Stück gehe es aber nicht nur um das individuelle Schicksal, sondern auch allgemein um den Umgang der Gesellschaft mit Menschen abseits der Norm. Jonas Knechts bildhafte Inszenierung greift nebst Roths Naturverbundenheit auch ihre Kunst auf, die heute noch in Art-brut- Museen zu sehen ist. Ins Fenster im «Bellaluna» stellte sie etwa ihre skurrilen Pappmaché-Köpfe, wie sie nun die Figuren auf der Bühne tragen.
Das schillernde Leben von Paula Roth endete abrupt: 1988 wurde sie Opfer eines brutalen Raubmords – die drei Täter wussten, dass sie ihr Geld im abgelegenen Haus aufbewahrte, da sie den Banken nicht traute. Nach ihrem Tod wurden Filme über ihr Leben gedreht, eine Biografie geschrieben – und die Aussenseiterin wurde ungewollt zur Legende.
Selig sind die Holzköpfe
Premiere: Sa, 1.4., 19.00 Um!Bau
Theater St. Gallen