«Die Germanen kommen!» Dieser Warnruf sorgt im Jahr 476 nach Christus für Aufruhr in Kampanien. Nur der Kaiser selbst scheint unbeeindruckt vom drohenden Untergang des Römischen Weltreichs und widmet sich gelassen der Hühnerzucht. Der behäbige Herrscher in Friedrich Dürrenmatts Stück «Romulus der Grosse» ist schwer einzuschätzen: Ist er ein gemütlicher Dummkopf? Ein weiser Narr? Ein Pazifist? Dürrenmatt selbst hat ihn einen «als Narr verkleideten Weltenrichter» genannt. Denn Romulus hat Grosses im Sinn, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Er verachtet das Römische Reich für seine blutige Vergangenheit und unterstützt den Einmarsch der Germanen, die dem Imperium ein Ende machen sollen. Dafür nimmt er auch seinen eigenen Tod in Kauf.
Aktuelle Bezüge
«Vaterland nennt sich der Staat immer dann, wenn er sich anschickt, auf Menschenmord auszugehen», stellt der Herrscher klar. Dürrenmatt legt ihm einige solcher Bonmots in den Mund, die Romulus als sein Alter Ego erscheinen lassen. Der deutsche Regisseur Tom Kühnel, der das Stück «zwar als Kostümschinken, aber mit verschiedenen Zeitebenen» inszenieren will, legt den Finger auf die Ambivalenz der Figur: «Romulus ist ein Herrscher, der aus moralischen Gründen die Politik verweigert. Er wirkt betulich, aber im Verlauf des Stücks lässt er die Maske fallen. In seinem Opferdenken ist er eigentlich ein Fundamentalist, der unter seinem Kaisermantel einen Sprengstoffgürtel verbirgt. Romulus benützt die Moral manipulativ, er geht für seine Ideologie über Leichen.»
Ohne Heldentum
Tom Kühnel ist auf der Suche nach einem Stück für die Neumarkt-Reihe «Krieg und Frieden» zufällig auf den Dürrenmatt-Text gestossen. Die Aktualität im Gewand einer Komödie habe ihn sofort angesprochen. Der junge Dürrenmatt hatte sie 1949 als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg geschrieben. Heute lässt sich das Stück etwa auf die Angst vor der Flüchtlingswelle oder vor der sogenannten Überfremdung beziehen, aber auch auf den linksliberalen Umgang mit der Krise – der Interpretations-Spielraum sei gross, betont Kühnel. Er ist sich allzu offensichtlicher Assoziationen auf der Bühne aber bewusst: «Die Germanen werden bei uns nicht als IS-Kämpfer einmarschieren. Beim Lesen des Bühnentexts drängen sich aber gewisse Bezüge auf, etwa zur Bundeskanzlerin Angela Merkel. Romulus ist wie das lebendig gewordene Horrorszenario eines Verschwörungstheoretikers, der davon ausgeht, dass Merkel das Abendland absichtlich in den Untergang führt.»
Der aus Fernseh-Krimis bekannte Schauspieler Bernd Grawert wird die widersprüchliche Figur des Romulus’ zwischen Komik und Extremismus spielen. Die «schlimmstmögliche Wendung», die Dürrenmatts Geschichten nehmen, ist in Romulus’ Fall die Pensionierung. Nur auf den ersten Blick ein Happy End: «Das Heldentum hat keinen Platz mehr. Das ist die grösste Strafe für einen, der bereit ist, sein Leben zu opfern – wie der Sprengstofftäter, der seinen Gürtel anhat und beim Zünden kommt nur Konfetti raus», sagt Kühnel.
Kriegsmüde Herrscher
Dass der Germanen-Fürst Odoaker ebenfalls ein kriegsmüder Herrscher ist, der mit seinem Gegner Romulus lieber über die Hühnerzucht spricht, als das Schwert zu ziehen, ist eine weitere dürrenmattsche Wendung. Beim berühmten Dramatiker gilt, was er seinen Romulus sagen lässt: «Wer so auf dem letzten Loch pfeift wie wir alle, kann nur noch Komödien verstehen.»
Romulus der Grosse
Premiere: Do, 25.2., 20.00 Theater Neumarkt Zürich