Genf macht es besser: Von allen Seiten nur Lob erhielt die «Nouvelle Comédie», die in diesen Tagen eröffnet wurde. Ein modernes Haus an neuem Standort, etwas ausserhalb der traditionellen Kulturmeile der Stadt, aber mit direktem Bahn-Anschluss, und architektonisch ein Wurf vom Pariser Büro Fres Architectes. Eine Theaterfabrik, technisch auf dem neusten Stand, mit viel Platz und rationell organisiert. Von aussen ein Blickfang: Eine weit gespannte Glasfassade zeugt von Offenheit und erweitert den öffentlichen Raum ins Theater hinein. Die alte «Comédie» steht noch, was für den «Hochparterre»-Redaktor Werner Huber auch für das Zürcher Schauspielhaus die beste Lösung wäre, wie er im Gespräch sagt: Neubau an anderem Ort, integraler Erhalt des denkmalgeschützten Raums am Pfauen.
«Wo sollen die guten alten Geister hin?»
Dieser Vorschlag wird wohl nicht gehört werden. Zu sehr haben sich die Parteien in Zürich inzwischen verbissen: Die Stadt mit ihren Plänen eines Neubaus innerhalb der bestehenden Fassade mit Unterstützung von zahlreichen prominenten Kulturschaffenden wie etwa Sibylle Berg, Pipilotti Rist, aber auch der aktuellen Intendanz, die darauf verweist, dass die Verhältnisse auf der Bühne wie im Zuschauerraum zu beengt und einschränkend für einen modernen Theaterbetrieb sind.
Das lassen die Gegner nicht gelten, verweisen auf Konzepte, in denen mit den bestehenden Platzverhältnissen in einem renovierten Saal sehr wohl modernes Theater gespielt werden könnte. Ihr Hauptargument ist die Geschichte des Pfauen-Saals, in dem in den Zeiten von Ferdinand Rieser und Oskar Wälterlin aus Nazi-Deutschland geflüchtete Theatergrössen wie Therese Giehse, Kurt Hirschfeld, Karl Paryla oder Leopold Lindtberg Zürich zum freien Theater-Mekka in Europa machten. Uraufführungen von Horváth, Else Lasker-Schüler, Brecht, Frisch oder Dürrenmatt hat dieser Raum erlebt, und das sei ein wesentlicher Teil seines Charmes.
Eine ganze Reihe prominenter Kulturschaffender stellt sich hinter das Anliegen: Schauspieler wie Katharina Thalbach oder Peter Simonischek, Germanist Peter von Matt, Autor Charles Lewinsky. «Der Pfauen-Saal ist ein Teil der Seele von Zürich», findet der Regisseur Felix Benesch, die Schauspielerin Traute Hoess fragt: «Wo sollen die guten alten Geister hin?», und der Regisseur Stephan Müller hält lakonisch fest: «Ein goldenes Gefäss schmeisst man nicht weg.»
Statt mutige Bauten verhaltene Renovationen
«Keine Denkverbote» fordert derweil die andere Seite. Enge Platzverhältnisse, eingeschränkte Sicht und Akustik erschwerten ein modernes Theater im bestehenden Saal. «Ohne Neues droht Provinz», sagt der Werber David Schärer und legt sich medial vehement ins Zeug für den Neubau: «Ein Saal wird nicht durch die Stühle belebt, sondern durch die aktuellen Inszenierungen.» Und der «Wilder»-Bösewicht Michael Neuenschwander, seit 2009 im Ensemble des Schauspielhauses, plädiert für Mut: «Es baucht mehr Luft, eine mutige Modernisierung.»
Neue Kulturhäuser haben es schwer in der Schweiz. Zwar haben in Basel und Zürich optisch dominante Erweiterungsbauten der Kunstmuseen neben den Stammhäusern entstehen können. Der letzte wirklich grosse Wurf eines neuen Theater- oder Konzertsaals aber war das KKL in Luzern, und auch dort gab es lange Diskussionen um das gigantische Schiff-Projekt von Jean Nouvel, das schliesslich in einer völlig veränderten Gestalt 1998/2000 eingeweiht werden konnte. Sonst wird lieber unauffällig renoviert: Die Oper in Genf, das Stadttheater Bern, die kleineren Theater in Solothurn und Chur: Fast schon verdächtig, wie unspektakulär man sich gegen aussen gibt. In Basel wurde anstelle architektonisch selbstbewusster Projekte auch das neue Schauspielhaus unauffällig in die bestehenden Häuserzeilen eingepasst. Ein paar sehr positive Retuschen gibt es beim soeben eröffneten Komplex Tonhalle/Kongresshaus in Zürich – nach einem an der Urne gescheiterten Neubauprojekt.
Und in Basel hat man zwar das Stadtcasino mit dem Anbau von Herzog & de Meuron vor einem Jahr einweihen können. Aber als Neubau kann das kaum gelten, denn von aussen tut der Saal so, als sei gar nichts verändert worden. Erst im Inneren sprechen die Foyers rund um den selbstverständlich original erhaltenen Konzertsaal in üppig glühendem Brokat-Rot und liebevoller Detailgestaltung eine eigenständige Design-Sprache. Auch in Basel waren intensive Diskussionen dem schliesslich realisierten Projekt vorangegangen, und der wuchtige Entwurf der irakisch-britischen Star-Architektin Zaha Hadid war wegen seiner als erdrückend empfundenen Mächtigkeit grandios in einer Volksabstimmung gescheitert.
Nächste Kampfzone: Luzern
Beim Schauspielhaus Zürich sind die Auseinandersetzungen in vollem Gang. Luzern steht diese Phase noch bevor. Nach dem Scheitern der «Salle modulable», mit der Luzern ein neuartiges multifunktionales Kulturhaus auch als Ersatz für das alte Theater erhalten hätte, fällte man im April den Entscheid, das Theater bei der Jesuitenkirche abzureissen und an gleicher Stelle ein neues – deutlich grösseres – Haus zu bauen. «Ohne einen wirklich funktionell und betrieblich optimierten neuen Theaterbau ist die Zukunft des professionellen Theaters in Luzern gefährdet», lassen sich dezidiert die Befürworter verlauten. Denkmalpflege und Heimatschutz meldeten sich umgehend zu Wort und forderten die Erhaltung der historischen Bausubstanz und der «prägenden Wirkung für das Ortsbild». Das 181-jährige Theatergebäude sei das beste noch erhaltene klassizistische Bauwerk in Luzern und der älteste Theaterbau der Schweiz. Es habe eine «eindrückliche Präsenz als Solitär im Ortsbild», und die «Stadtikone» Jesuitenkirche würde durch das Neubau-Projekt entwertet. Fortsetzung folgt.
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