Vor zwei Stunden probte Lorenz Nufer im Konzert Theater Bern mit seinen Schauspielern. Dann holte er auf dem Flughafen die Choreografin Olga Maslennikova ab, die ihm einige Tage zur Seite stehen wird. Nun sitzt er in der Rio Bar in Zürich und gibt seiner Assistentin per Telefon durch, was über Nacht zu erledigen ist. Er lächelt entschuldigend, sagt, dass er derzeit viel um die Ohren habe. Es dauert nicht mehr lange, bis sein neues Stück «Island. Als Freunde sind wir erbarmungslos» Premiere feiern wird.
Ein Präsident wird erwartet
Der 41-jährige Zürcher, der heute in Basel lebt, hat sich zuerst als Schauspieler einen Namen gemacht. Nach dem Studium an der Ernst-Busch- Schauspielschule in Berlin stand er drei Jahre auf der Bühne der Münchner Kammerspiele und acht Jahre auf jener des Theaters Basel. Als Regisseur verwirklichte er ein erstes Projekt mit dem Jugendclub am Theater Basel, darauf folgten drei weitere an der Kaserne Basel sowie sein neuestes Stück «Träges Herz» im Schlachthaus Theater Bern. Nun führt er zum ersten Mal Regie an einem Stadttheater.
In «Island …» werkeln in einem dunklen Keller vier Personen an der Zukunft eines imaginären Landes. Es ist ein besonderer Tag: Die Reykjavíker Verträge sollen unterzeichnet werden, und dafür wird der isländische Präsident erwartet. Während die Feierlichkeiten vor dem Regierungsgebäude starten, klingelt im Keller unablässig das Telefon. An der Grenze steht ein Fremder, den die Wache nicht einlassen will. Gleichzeitig weiss keiner, wo der isländische Präsident geblieben ist, der längst hätte eintreffen müssen.
Der Sekretär, der Major und der Minister plaudern dennoch lieber über alles andere als ihr aktuelles Problem. Bis sie nicht länger untätig bleiben können und kurzerhand den Sekretär in den isländischen Präsidenten verwandeln, um die Massen vor dem Regierungsgebäude zu beruhigen, die diese Verträge ohnehin nicht wollen. Es fallen Schüsse, fliegen Steine – doch davon erzählt nur noch die Stimme eines Radiomoderators.
Polit-Groteske, die den Zeitgeist trifft
Die Autorin mit dem Künstlernamen Gornaya hat diese Komödie im Rahmen des Stücks «Labor» geschrieben, einem Förderprogramm für junge Autoren. Die Polit-Groteske verlangt den Schauspielern einiges ab, wie Nufer sagt. «Es ist kein einfacher Text, in dem sich ein Satz aus dem anderen ergibt. Es ist vielmehr ein Experiment, das in seiner Ausarbeitung viel zu diskutieren gibt.» Er bezeichnet sich als Regisseur, der die Körpersprache und den Rhythmus des Miteinander-Agierens ins Zentrum seiner Arbeit rücke. «Während andere stärker mit dem Text oder Bildern arbeiten, ist mir das kompositorische Ganze am wichtigsten.»
Am aktuellen Stück gefällt Nufer, dass es den Zeitgeist trifft. «Es führt den schockierenden Dilettantismus von Machtinhabern vor.» Er habe immer öfter das Gefühl, dass bei der Ausübung von Macht gar keinem Plan gefolgt werde, sondern sich alles einfach irgendwie ergebe. Wie in dieser Komödie. Und dann fügt er geheimnisvoll an: «Vielleicht sind die Figuren in diesem Stück aber auch bloss Theatergespenster …»
Porträt: Verwandlung als Lebensentwurf
Die deutsche Schauspielerin Florentine Krafft startet mit einer Männerrolle in ihre erste Saison am Konzert Theater Bern.
Sie wollte das Spielen nie aufgeben. Als Teenager aber blieb Florentine Krafft nichts anderes übrig. Denn eine Theatergruppe gab es an ihrer Schule nicht. Also begann sie zu tanzen und spielte nur noch im Kopf weiter, indem sie sich in unzählige Filmrollen hineindachte. Als sie mit 19 Jahren am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankte, musste sie eine Sportpause einlegen. Und diese brachte sie zurück zum Spielen und auf die Bühne des Hamburger Schauspielhauses, wo sie Mitglied des Jugendclubs wurde.
Der Major als Zeichen der Macht
Ein Jahr später begann sie, an der Zürcher Hochschule der Künste Schauspiel zu studieren. Dazu sagt die heute 30-Jährige: «Das war ein Glück.» Denn das Verwandeln sei noch immer das, was sie am liebsten mache. «In anderen Rollen kann ich Dinge ausprobieren, die ich im Privaten nie tun würde.» Mit ihrem Diplom in der Tasche zog es sie nach Chemnitz, wo sie am Städtischen Theater spielte, danach folgten vier Jahre am Badischen Staatstheater in Karlsruhe. «Zum Schluss hatte ich Hummeln im Arsch und wollte weiterziehen», sagt Krafft in ihrer offenen und unbeschwerten Art. Also schrieb sie Bewerbungen und bekam eine Stelle im Ensemble des Konzert Theaters Bern, wo sie nun unter der Regie von Lorenz Nufer zum ersten Mal auf der Bühne stehen wird.
Sie wird in «Island …» einen Major spielen. Den Mann, der in schlechten Zeiten die Fassade aufrechterhalten muss. «Beim Spielen orientiere ich mich zuallererst an der Figur und nicht am Geschlecht», sagt die junge Frau. Die Männlichkeit wolle sie deshalb weniger über Klischees als über die Macht dieser Figur erzählen.
Das Stück fühlt sich für Florentine Krafft wie ein Puzzle an: «Je länger man daran arbeitet, desto eher kann man es verstehen.»
Island. Als Freunde sind wir erbarmungslos
Uraufführung
Premiere: Do, 21.9., 19.30
Konzert Theater, Vidmar 2 Bern