In «White Lies» stakste Lies Pau-wels in Minirock und Schlittschuhen über die Bühne, schwankte zwischen ekstatischer Wut und Albernheit. Heute – neun Jahre später – ist die Genter Schauspielerin hauptsächlich als Regisseurin auf Europas Bühnen tätig und hat sich fürs Theater Basel das Lieblingsbuch der 68er-Bewegung vorgenommen: Hermann Hesses «Steppenwolf». Darin hadert der Protagonist Harry Haller mit seiner Identität; er ist Teil der bürgerlichen Gesellschaft und verachtet diese gleichzeitig. Im Rausch des magischen Theaters begegnet er am Ende sich selbst.
Genresprengende Stücke sind ihr Markenzeichen
Hesse schrieb den Roman in Basel, wo Pauwels nun in einem Café direkt neben dem Stadttheater von ihrem Schaffen erzählt. Geprägt durch ihre eigene Bühnenerfahrung, gebe sie den Spielerinnen und Spielern viel Verantwortung. «Meine Arbeit setzt eine hohe schauspielerische Leistung voraus. Ich baue alles darum herum, sie müssen die Emotionen und Gedanken mit viel Kraft obenhalten.»
Pauwels unterstreicht das Gesagte gern mit dem Körper, ballt die Fäuste, plustert sich auf, wenn sie von kraftvollem Spiel spricht und bricht die Spannung dann selbst wieder, indem sie lacht und sich mit den Händen durchs wasserstoffblonde Haar fährt. Als Regisseurin ist Pauwels bekannt für genresprengende Stücke mit viel Risiko in der The- mensetzung und viel «Wumms» in der Umsetzung. Ihren eigenen Text «Hamiltonkomplex» inszenierte sie mit einem Bodybuilder und dreizehn 13-Jährigen.
Eines der Mädchen sass im Rollstuhl. «Ihre Mutter wollte ihre Stärke zeigen, ich ihre Verletzlichkeit. Am Schluss schafften wir beides, und ihre Verletzlichkeit spiegelte die des Publikums.» Es sind solche Gratwanderungen und Widersprüche, die Lies Pauwels in ihren Stücken interessieren. Sie wolle Fragen stellen, statt Antworten liefern.
Für den «Steppenwolf» lässt sie das altersdurchmischte Ensemble viel improvisieren. «Wir haben das Buch alle gelesen und schauen nun, was diese Themen mit uns machen.» Ihr eigenes Buch – eine belgische Ausgabe – ist regelrecht zerpflückt. Jede Seite ist voller Zettel und Stellen mit Leuchtmarker, Bleistift und Kugelschreiber. «Ich arbeite oft unterwegs», sagt Pauwels. «Und manchmal fehlt auf einer Zugfahrt eben der Leuchtstift.» Was aus der Improvisation entstehe, führe sie dann wieder mit Hesses Textteilen zusammen. So werde seine Sprache auf der Bühne zu hören sein, aber in einer neuen Reihenfolge; «mix and match».
Die Bürgerlichkeit von heute
Mit der Kostümdesignerin Johanna Trudzinski verbindet Pauwels eine lange Arbeitsbezie- hung. Für ihre opulenten und wunderbar skurrilen Werke bei «Baroque» bekam Trudzinski den deutschen «Faust»-Theaterpreis. Für den «Steppenwolf» orientiere sich die Designerin am surrealistischen Stil des belgischen Malers René Magritte. «Johanna und ich sprechen nie viel miteinander, die Kommunikation läuft über die Werke», sagt Pauwels. «Ich sehe ihre Zeichnungen und lasse sie in die Regie einfliessen, und sie schaut unserer Improvisation zu und verändert Kostüme und Bühnenbild entsprechend. Wir bauen Schicht für Schicht gemeinsam einen Turm.»
An Hesses Stück interessiere sie unter anderem die Frage, was Bürgerlichkeit heute bedeutet. «Für mich ist jemand bürgerlich, der Regeln nicht mehr hinterfragt und das Verhalten, das für ihn stimmt, zum Dogma für andere macht.» Dieses Infragestellen von Regeln versuche sie auf der Bühne als eine Art Spiegel für das Publikum zu inszenieren. Das Buch sei so reichhaltig, dass man nicht alles auf der Bühne zeigen könne. «Vielleicht erwarten einige Zuschauer etwas anderes. Aber ich hoffe, dass wir Hermann Hesse happy machen. Vielleicht schaut er uns zu.» Sie deutet lachend in den Himmel.
«Ohne Wolf wären wir stinklangweilig»
Der Wolf im «Steppenwolf» stehe für das Monster, den Dämon, den jeder von uns in sich trage, so Pauwels. «Wir alle versuchen, Engel zu sein, gute Menschen. Das ist auch gut, wir müssen ja zusammenleben. Aber wir sind komplexe Wesen mit hellen und dunklen Seiten.» Einige hätten mehr Schlimmes erlebt als andere. «Und jeder hat das Recht, die Gesellschaft herauszufordern.» Der Wolf in uns sei auch ein Antrieb, ohne den man kaum einen Fuss vor den anderen bekomme. «Ohne Wolf wären wir stinklangweilig», sagt Pauwels.
Hesses Beschreibungen des Kriegs schwingen bei Pauwels auch mit. «Die Zeiten sind gerade eher düster. Da braucht man Humor. Obwohl Humor auch etwas Bürgerliches ist, weil er einen Umgang mit Leid sucht, ohne auszuflippen.» Ihre Inszenierung werde trotzdem humorvoll – und dunkel. Pauwels sagt, eigentlich bräuchte man in der jetzigen Zeit ein leichtes Theaterstück. «Aber dann sollte man vielleicht nicht den ‹Steppenwolf› spielen.» Sie lacht.
Der Steppenwolf
Premiere: Sa, 1.6., 19.30
Theater Basel