«Jean-Baptiste, bist du das?» – «Nein! Oder doch?», antwortet der Angesprochene (Jörg Pohl) in Schlafrock und Pantoffeln. Es folgt ein Hin und Her von Wortfetzen, echoartigem Quieken, slapstickigem Schnalzen.
Fast wähnt man sich in einer Louis-de- Funès-Komödie, was keine falsche Fährte wäre – der Film «Louis, der Geizkragen» von 1980 basiert auf einem Molière-Stück. Mit dem Unterschied, dass sich die Schauspieler auf der Probebühne des Theaters Basel auch mal biegen vor Lachen.
Er will nicht kapieren, dass er nicht mehr lebt
Es ist aber auch zu komisch, der Derangiertheit dieses frisch verstorbenen Jean-Baptiste Poquelin alias Molière beizuwohnen, wenn dessen Schauspielcompagnie rings um einen provisorischen Sarg sitzt und er selbst partout nicht kapieren will, dass er nicht mehr lebendig ist.
«Molière – der eingebildete Tote» heisst das extra fürs Theater Basel geschriebene Stück der chilenischen Autorin Nona Fernández. «Es ist eine Hommage an den vor 350 Jahren verstorbenen Komödiantengiganten», sagt Dramaturgin Elena Manzo, die sonst als «Script Doctor» für Filme und Serien arbeitet, also mangelhafte Drehbücher verbessert.
Die Struktur des aktuellen Stücks sei bewusst an Molières Komödien angelehnt, zum Beispiel was die musikalischen Zwischenspiele betrifft. Auch der Titel spielt auf Molière an – genauer: auf dessen letztes Stück «Der eingebildete Kranke».
«Unsere ursprüngliche Idee war, dass dieser Tote zuerst eine Reise antreten muss, um loslassen zu können.» Loslassen? «Ja», sagt Elena Manzo, «wir Menschen sind oft nicht bereit, uns endgültig zu verabschieden. In unserem Stück kann sich Molière wenigstens die Frage stellen: Was wird von mir bleiben? Werde ich vergessen gehen?»
Der Trinker kommuniziert mit dem Toten
«Der eingebildete Tote» will also nicht nur Unterhaltung sein, es geht auch um existenzielle Fragen und um die Reflexion über eine Theaterwelt, von der es jüngst hiess, dass sie ihr Publikum nicht mehr erreiche. Was käme da gelegener als eine Komödie, die sich für ihre eigene Herkunft interessiert? Zum Beispiel, wenn ausgerechnet der Trinker in der Truppe als Einziger mit dem Toten kommunizieren kann. «Wir sind bei unseren Recherchen bis zu den alten Griechen zurückgegangen», so Manzo, «zu Dionysos und zu gesellschaftlichen Ritualen, wo es stets eine Verbindung zwischen Wein und Theater gab. Dadurch können sich die Lebenden und die Toten finden.»
Unterdessen auf der Probebühne: Eine Uhr aus Molières Sarg soll an einen nicht allzu vertrauenswürdigen Baron (Jan Bluthardt) verhökert werden. Aber die Compagnie ist unschlüssig, man berät sich wispernd. «Die Mehrheit soll entscheiden », sagt schliesslich Vera Flück, die die Figur der Juliette spielt. Moment mal, kann sie den Toten auch sehen?
Probebühne als grosses Experimentierfeld
Die Frage geht von den Schauspielern an Regisseur Antú Romero Nunes, der in schwarzer Trainingshose und mit blauem Käppi auf seinem Stuhl sitzt und pure Unaufgeregtheit verströmt. Er hat zuletzt mit einer irrwitzigen «Sommernachtstraum»-Inszenierung für Furore gesorgt. Das Stück über eine Gruppe von Lehrern, die am Shakes- peare- Klassiker rumdilettieren, wurde als einziger Schweizer Beitrag ans Theatertreffen in Berlin eingeladen. «Ja, das können wir versuchen», sagt Nunes, worauf das Ensemble in rasendem Pingpong-Modus dis- kutiert, wie man die Szene auch noch spielen könnte. «Im aktuellen Probenstadium ist das üblich», erklärt die Dramaturgin.
«Die Schauspieler versuchen etwas, und der Regisseur entscheidet dann, ob es funktioniert, zusammen mit dem Ensemble und mir. Falls ja, schreibe ich den Text um.» Dabei gelte es nicht nur auf die Intentionen der Autorin Nona Fernández Rücksicht zu nehmen, sondern auch auf Präzision, Logik und Rhythmus. Und natürlich auf die Eigenheiten und das Umfeld bei Molière.
Nahe beim Original und doch eigenständig
Erst kürzlich besuchte die gebürtige Mexikanerin eine «Tartuffe»-Inszenierung in Paris, wo sie feststellte, dass die spitzzüngige Komödie zu einer Tragödie umgepolt wurde. «Einige Dinge haben geklappt, andere nicht», sagt sie diplomatisch.
Konstantes Umarbeiten scheint dennoch notwendig zu sein für eine Inszenierung, die nahe beim Original bleiben und doch eigenständig sein will. Einige Szenen musste Manzo streichen, «weil diese nur auf Spanisch funktionieren, aber nicht auf Deutsch». Bleibt die Frage: Was macht die Faszination Molières aus, dessen Stücke bis heute raufund runtergespielt werden? «Er hat über Themen gesprochen, die polarisierten und es heute noch tun», sagt die Dramaturgin. «Es geht um Lügner und Betrüger, um Heuchler und überhebliche Ärzte, und es geht um Männer, die in dieser Welt noch immer mehr Möglichkeiten haben als Frauen.»
Molière – der eingebildete Tote
Premiere: Fr, 31.3., 19.30
Theater Basel
Wissenswertes über Molière (1622–1673)
Verwirrender Name: Molière hiess mit bürgerlichem Namen Jean- Baptiste Poquelin. Warum er sich ein Pseudonym zulegte und was es bedeutet, weiss man bis heute nicht. Einige vermuten, dass der südfranzösische Ort Molières Pate stand. Andere glauben, dass es ein Anagramm sei, also ein Wort, das durch das Umstellen von Buchstaben neu entsteht. Welches Wort das aber sein könnte, wusste nicht einmal Molières Biograf.
Werdegang mit Pleite: Nach dem Besuch eines Jesuitenkollegiums und einem Rechtsstudium wurde Molière Schauspieler. Gegen den Willen seines Vaters gründete er 1643 mit der Familie Béjart das «Illustre Théâtre», das jedoch zwei Jahre später bankrott ging. Nur dank seinem Vater kam Molière aus der Schuldhaft. Danach zog er mit einer in West- und Südfrankreich auftretenden Wandertruppe umher, deren Leitung er schliesslich übernahm.
Heuchler am Königshof: Nach langen Wanderjahren konnte Molière 1658 König Louis XIV. auf seine Truppe aufmerksam machen. In 15 Jahren schrieb Molière 30 Stücke am Hof, darunter «Der Menschenfeind» oder «Tartuffe». Letzterer löste aufgrund der Kritik an religiösen Heuchlern einen Skandal aus und wurde zeitweilig verboten. Erst als der «Klüngel der Frommen», wie Molière sie nannte, am Hof des Sonnenkönigs entmachtet war, durfte das Stück wieder aufgeführt werden.
Ende auf der Bühne: «Der eingebildete Kranke» (1673) ist eine dreiaktige Komödie über einen Hypochonder und dessen familiäres und ärztliches Umfeld. Molière spielte die Titelfigur des Argan selbst, erlitt bei der vierten Aufführung in Paris jedoch einen Blutsturz – das Publikum glaubte, das gehöre zur Rolle – und starb kurz darauf noch im Theaterkostüm