Kein deutschsprachiges Stadttheater hat in den letzten Jahren so polarisiert wie das Zürcher Schauspielhaus. Die einen jubelten über die radikalen Schritte zu einem diversen und partizipativen Haus, dessen Inszenierungen international Beachtung fanden und Preise gewannen. Andere störten sich an zu viel moralischem Zeigefinger, dem Bedienen eines Minderheitengeschmacks und zu wenig klassischem Sprechtheater.
Zum Verhängnis wurden der Co-Intendanz von Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg aber schliesslich die niedrigen Zuschauerzahlen. Ihr Vertrag wurde nicht verlängert. Stemann blickt nicht nur mit einem weinenden, sondern auch einem lachenden Auge auf den Abschied: «Ich freue mich darauf, wieder als freier Regisseur zu arbeiten, ohne Intendanz-Verantwortung.»
Biedermann zeigt sich weltoffener, als er ist
Bevor er diese abgibt, inszeniert Stemann aber noch ein letztes Stück: «Biedermann und die Brandstifter» von Max Frisch. In einem Videointerview auf der Schauspielhaus-Website sagt Stemann frech: «Ich fand es ganz lustig, diese Intendanz mit einem Stück zu beenden, das von einem Menschen handelt, der Leute in sein Haus lässt, um zu zeigen, dass er liberaler, weltoffener und grosszügiger ist, als er eigentlich ist.»
Auf Anfrage teilt der Intendant per E-Mail mit, die Querelen um das Schauspielhaus seien nicht das Thema des Abends, aber als Unterstrom in seinem Biedermann durchaus spürbar. Besonders interessiere ihn der versteckte Rassismus vermeintlich liberaler Kreise. Bei Frisch heisst es immer wieder: «Wir sind keine Spiesser, wir sind weltoffen und tolerant. Was denken Sie von uns?» Bis es dann ans Geld und an angestammte Privilegien gehe.
Toll findet Stemann auch den Satz «Wir haben keine Zeit, uns mit Toten zu befassen», den Biedermann zur Witwe seines Angestellten sagt, nachdem er diesen in den Suizid getrieben hat. «Opfer produzieren, das geht», erklärt Stemann. «Aber sich dann damit beschäftigen: Was für eine unverschämte Forderung.»
Stemann bleibt hart mit Frisch
Die Uraufführung von Frischs Brandstifter fand vor 66 Jahren im Zürcher Schauspielhaus statt. Das Publikum verstand das Stück zunächst als Aufruf, keine Fremden ins Haus zu lassen, was Frisch bestürzte und dazu brachte, einen erklärenden Epilog hinzuzufügen. Stemann bleibt aber hart mit ihm: «Letztlich steht das schon so im Stück drin: Es sind die armen Hausierer, die das Haus abfackeln, und Biedermann wird Opfer seiner eigenen Naivität.»
Man könne es durchaus als fremdenfeindliches Stück lesen. «Ich finde es interessant, dass da was drin ist, das gegen die Intention des Autors geht.» Streit um die Kultur mit Brandansage: Das hat in Zürich Tradition, wenn man auf die Jugendunruhen der 80er zurückblickt. Stemann erklärt diese Spaltung so: «Es gibt hier eine mächtige, konservative Schicht, die Angst um ihre Privilegien hat. Durch das viele Geld haben es hier alle sehr gut.»
Die Sicherheit und die Schönheit des Lebens liessen es aber auch zu, dass gewagte Ideen einer gleicheren Welt gedacht werden, man wolle ja auch irgendwie Grossstadt sein, «keine Spiesser». Stemann meint: «So gesehen ist es gut, dass diese Zürcher Spannungen in unserer Intendanz einen Ausdruck gefunden haben.»
Biedermann und die Brandstifter
Premiere: Do, 21.3., 20.00
Pfauen Zürich