Das Theaterjahr 2024 begann mit einem grossen Verlust. Am 26. Februar verstarb der deutsche Dramatiker und Regisseur René Pollesch unerwartet, wahrscheinlich an Herzversagen. Er war bekannt für poppige, rasant schnelle Diskursstücke, die soziologische Betrachtungen der Gegenwart auf kluge, manchmal verwirrende und oft witzige Weise auf die Bühne brachten.
Mit seinem postdramatischen Stil hat er das deutschsprachige Theater in den letzten 20 Jahren geprägt wie kaum ein anderer. Und so startet die Interimsintendanz von Ulrich Khuon mit einer Hommage an einen Verstorbenen. Khuon führt das Zürcher Schauspielhaus für ein Jahr: Der Vertrag von Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann wurde nicht verlängert, und die CoIntendanz von Pinar Karabulut und Rafael Sanchez beginnt 2025.
Khuon hatte eigentlich vor, im September eine neue Premiere von René Pollesch zu zeigen. Im Februar präsentierte er dem Team des Schauspielhauses den Spielplan – am selben Tag bekam er die Nachricht von René Polleschs Tod. «Den Gedanken, dass es jetzt kein Pollesch-Stück geben wird, fand ich unerträglich», sagt Khuon im Gespräch in seinem Büro. Deshalb programmierte er ein bereits existierendes Pollesch-Stück.
Ein leichtes Stück über die Absurdität der Liebe
Trotz dem Abschiedsgefühl will Khuon keinen Trauerabend aus der Premiere von «Liebe, einfach ausserirdisch» machen. Es werde weder eine Rede noch einen Epilog geben. «Das Stück ist das Stück, es spricht für sich. Ich will die Besucher nicht mit einer Trauer belasten, die sie vielleicht gar nicht fühlen.» Zudem wolle er nicht, dass das Publikum ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn es lacht. Die Liebesgeschichte im Weltall könnte die letzte Pollesch-Arbeit sein, die in Zürich zu sehen ist.
Khuon wählte sie, weil Pollesch sie bereits am Deutschen Theater Berlin gezeigt hatte, als Khuon 2022 dort Intendant war. «Und weil es ein schönes, leichtes Stück über die Absurdität der Liebe ist – mit der wunderbaren Sophie Rois in einer der drei Rollen.» Die preisgekrönte österreichische Schauspielerin arbeitete häufig mit Pollesch und ist eine von Khuons «Heldinnen», die er unbedingt nach Zürich holen wollte. «Liebe, ein fach ausserirdisch» wird seit der Premiere mit Unterbrüchen in Berlin gespielt, so brauchte es nicht viele Proben, um das Schauspieltrio fit für Zürich zu machen.
«Trotzdem merken wir bei jeder Kleinigkeit, wie sehr uns René fehlt.» Keine Kleinigkeit ist der gigantische Turm, der das Bühnenbild ziert. Das Problem: Er passt zwar auf die Pfauenbühne, doch wegen der portalartigen Bühnenöffnung sehen ihn nur die ersten elf Reihen ganz. Die hintersten Reihen und die Balkongäste blicken auf einen Turmfuss. «Wir haben überlegt, ob wir das Bühnenbild komplett ändern wollen, haben uns aber dagegen entschieden, weil das ohne René Pollesch einfach nicht geht», sagt Khuon.
Stattdessen täte das Team nun das, was man im Theater immer tut, wenn man eine Herausforderung nicht lösen kann: Es thematisiert das Problem bei den Vorstellungen auf der Bühne.
Sommerkomödie mit Grundrauschen
«Liebe, einfach ausserirdisch» sei kein klassisches Diskursstück, sagt Ulrich Khuon. «Es ist eine Sommerkomödie und trägt trotzdem klar Polleschs Handschrift.» Die drei Ausserirdischen suchen nach Nähe und Liebe und offenbaren dabei die Absurdität des Menschseins, wenn sie miteinander anbändeln wollen, inklusive gegenseitigen Fütterns mit Sahnetorte. Die Handlung ist für Pollesch Verhältnisse erstaunlich abgeschlossen.
Die Dramaturgie vollzieht sich in Schleifen, Erkenntnisse kommen immer wieder vorbeigerauscht, man muss sie also nicht beim ersten Mal packen. «Das Grundrauschen des Alltags zieht sich durch alle Pollesch-Stücke», sagt Khuon. Der 73-jährige Intendant begleitet Pollesch schon lange. «Seine Arbeiten sind mit den Jahren zarter und leichter geworden, weniger rabiat.»
Der hessische Regisseur habe die Zusammenarbeit auch im Theater kollektiver gemacht, Repräsentation auf der Bühne radikal infrage gestellt und es wie wenig andere Theaterschaffende verstanden, gesellschaftliche Entwicklungen mit Abstand zu betrachten. Weil er so prägend war für die Theaterwelt, werde seine Arbeit von vielen Dramatikerinnen und Regisseuren weitergeführt, erwartet der Intendant.
Neue und bekannte Köpfe
Ulrich Khuon will in seiner kurzen Intendanz auf Zürich eingehen. Auf dem Spielplan stehen bekannte Autoren wie Franz Kafka, William Shakespeare, Sophokles oder Jean-Paul Sartre. Aber auch viele Gegenwartsautorinnen wie Suzie Miller, Maria Milisavljevic und Maria Ursprung vom Aargauer Theater Marie. Mit dem Klassenzimmerstück «#Byebitch» will Khuon das Thema Cybermobbing aufnehmen.
«Doktor Spiel rein», das im Hotel Baur au Lac spielt und «Dada Bohème» thematisieren die Zürcher Geschichte. Auf dem Spielplan stehen viele Namen, die bereits eine Beziehung zu Zürich haben. So wie René Pollesch. Er hat hier eine Fangemeinde, das zeigte jeweils auch die Kasse. «René Pollesch hat immer gern hier gearbeitet», so Khuon. «Er bezog sich stark auf die Spielorte, und hier im Pfauen hat er immer gesagt, er höre Dürrenmatt und Frisch aus den Wänden kratzen.»
Liebe, einfach ausserirdisch
Premiere: Sa, 21.9., 20.00
Pfauen Zürich