«Irgendwas stimmt hier nicht; Fellini tut zwar so, als hätte er alles unter Kontrolle, aber irgendetwas stört ihn, das spüre ich», gibt die Hauptdarstellerin knochentrocken ihre Meinung zu Federico Fellini kund. Der berühmte Regisseur ist – von Versagensängsten und kreativen Blockaden paralysiert – tatsächlich nicht auf der Höhe seines Könnens. Und doch möchte er beim dritten oder vierten Anlauf endlich seinen Film realisieren. Wäre da nur nicht diese diffuse Angst, dass mit dem Abschluss des Projekts auch sein Tod naht.
Argentinisches Multitalent mit Wohnsitz Amsterdam
Was wie eine Reportage vom Filmset im Rom der 70er-Jahre klingt, ist ein Schnipsel aus Emilio H. Díaz Abregús Bühnenstück «Die Traummaschine». Der argentinische Regisseur feiert damit das zehnjährige Bestehen der «Rotes Velo Kompanie», einer experimentierfreudigen Truppe, die unverkrampft die Grenzen zwischen Tanz, Musik und Theater aufbricht. Díaz Abregú wuchs im argentinischen Córdoba auf. Dort besuchte er mit seinem langjährigen Arbeitspartner Exequiel Barreras die Theaterschule und stellte bereits mit 16 erste Produktionen auf die Beine. Nun tingelt er zwanglos durch die Bühnenwelt: Ob als Regisseur, Autor, Bühnenbildner, Ausstatter, Beleuchter oder Stuntkoordinator bei gigantischen Opernproduktionen an den Bregenzer Festspielen – der Wahlamsterdamer legt sich nicht auf eine Rolle fest. Für das neue Stück, das in Co-Produktion mit dem Luzerner Theater entstanden ist, hat er auch gleich den Text beigesteuert.
Ähnlich wie Fellini das eigene Leben neu erfinden
Darin schlägt sich der italienische Regisseur Federico Fellini (1920–1993) am Set mit den eigenen Dämonen herum. Munter hat er eigene Träume in seine Filme eingeflochten und liess den Schauspieler Marcello Mastroianni als sein Alter Ego auftreten. «Fellini benutzte seine Filme, um sein eigenes Leben neu zu erfinden, und wir tun mit dieser Produktion auf eine Art dasselbe», erklärt Díaz Abregú. So thematisiert er Versagensängste und das ewige Aufschieben von Projekten – allesamt Dinge, die ihn und zahlreiche Kunstschaffende begleiten.
Bei einem frühen Probenbesuch im Kulturzentrum Südpol im luzernischen Kriens kommt diese Metaebene zum Ausdruck: Der Maestro Fellini (Christian Baumbach) gibt seiner Filmcrew Anweisungen, während die Hauptdarstellerin (Tini Prüfert), die bereits bei den letzten erfolglosen Dreh-Anläufen dabei war, zum Publikum spricht und Skepsis verbreitet. Die Konstellation von funkensprühender Produktionsassistentin (Carina Thurner), ambitioniertem Nebendarsteller (Hugo Tiedje), schwanzwedelnden Verehrern des Regiegotts und der kritischen Hauptdarstellerin verspricht herrliche komische Momente. Ob und wie Fellini diesmal ein Ende findet, sei hier noch nicht verraten.
Die Bühne spielt mit den Dimensionen
Inszeniert wird das bildhafte Stück auf cineastische Weise: Regisseur Díaz Abregú, der lieber die Bühne bewegt als die Schauspieler darauf, lenkt mit einem raffinierten Spiel mit Dimensionen den Fokus. So füllen zwei metergrosse Augäpfel die Rückwand und steuern mit ihren Blicken das Publikum, während im Vordergrund eine flexibel wandelbare Miniaturstadt auf Paletten als Kulisse für eine handgeführte Puppe dient. «Im Puppenspieler spiegelt sich auch ein bisschen Fellini, der ziemlich verführerisch sein konnte», sagt Díaz Abregú dazu.
Oder zugespitzt: Der grosse Zampano war sich seiner Macht bewusst, manipulierte schamlos. Ganz anders Díaz Abregú, der bei der Probe in spanisch akzentuiertem Englisch dafür plädiert, gemeinsam zu lernen, wozu auch Fehler gehören.
Der Gesellschaft nicht den Spiegel vorhalten
Nach der Probe rekapituliert er auf der Südpol-Terrasse die vergangenen Jahre. Vor allem eine Rückmeldung hat sich eingebrannt: Nach einer Vorstellung von «Eine Stunde auf der Erde», einem Stück, das vom Ende der Welt erzählt, sagte eine Zuschauerin, dass sie es zwar wunderschön fand, doch wieso müsse es so zynisch sein. «Das sass», sagt Díaz Abregú zwischen zwei Zügen an seiner Zigarette. «Es gibt ein Vorher und ein Nachher zu dieser Kritik: Vorher hatten wir die Gesellschaft beobachtet und inszenierten einen Spiegel der Dinge, die wir gesehen hatten. Danach haben wir begonnen, Alternativen zu dem zu schaffen, was auf der Welt vor sich geht.»
Auf Nachfrage, wieso nun Fellini im Zentrum steht, antwortet Díaz Abregú: «Wir wollen nicht Fellini reproduzieren, sondern erfinden die Figur neu und lassen uns dabei vom echten Fellini und seinem Werk inspirieren.» Und dann fügt er an: «Er ist ein Genie, und wir sind Arbeiter. Wenn wir versuchen, Fellinis Genie zu reproduzieren, können wir nur scheitern.» Und der Fellini im Stück? Er hat vermeintlich alles im Griff. Denn das weiss doch jeder: Der Maestro macht keine Fehler!
Die Traummaschine
Premiere: Fr, 13.5., 20.00 UG Luzerner Theater
Gastspiele: Ab Di, 31.5., Tojo Reitschule Bern
So/Mo, 5.6./6.6., Lokremise St. Gallen
Di, 7.6., Tanzraum Herisau AR
Die «Rotes Velo Kompanie»
2011 gründeten Emilio H. Díaz Abregú, der Regisseur und Choreograf Exequiel Barreras und die Ostschweizer Tänzerin und Performerin Hella Immler in St. Gallen die «Rotes Velo Kompanie». Über 100 Vorstellungen gab die Wahlschweizer Truppe seither zwischen Liechtenstein und Argentinien. Über 50 Kunstschaffende aus diversen Sparten kamen bei 21 Produktionen dem Credo der Kompanie nach: «Kein Tanzschritt ohne Theater und kein Theater ohne Bewegung.» Zum Jubiläum erscheint nun die Endfassung von «Die Traummaschine» in Buchform (englisch/deutsch), inklusive einer Chronologie mit Infos, Texten und Bildern zu den Produktionen in den vergangenen zehn Jahren.
www.rotesvelo.ch