Theater: Demontage des eigenen Lebens
Eine der ganz grossen philosophischen Fragen lässt den Protagonisten von «Kraft» sein Dasein hinterfragen. Das Konzert Theater Bern zeigt Jonas Lüschers Roman als Bühnenversion.
Inhalt
Kulturtipp 11/2019
Simon Knopf
18 Minuten könnten Richard Kraft reichen, um sich aus seiner Misere zu befreien. So lange darf ein Vortrag an einem wissenschaftlichen Wettbewerb dauern, mit dessen Hilfe der Rhetorikprofessor ein Preisgeld von einer Millionen US-Dollar zu gewinnen hofft. Tatsächlich wird die Teilnahme der Anfang von Richard Krafts wahrer Misere.
Vielschichtiger Romanstoff
Kraft ist der Protagonist von Jonas Lüschers gleichnamigen Gelehrtensatire, seinem z...
18 Minuten könnten Richard Kraft reichen, um sich aus seiner Misere zu befreien. So lange darf ein Vortrag an einem wissenschaftlichen Wettbewerb dauern, mit dessen Hilfe der Rhetorikprofessor ein Preisgeld von einer Millionen US-Dollar zu gewinnen hofft. Tatsächlich wird die Teilnahme der Anfang von Richard Krafts wahrer Misere.
Vielschichtiger Romanstoff
Kraft ist der Protagonist von Jonas Lüschers gleichnamigen Gelehrtensatire, seinem zweiten Roman, für den er 2017 den Schweizer Buchpreis erhielt. Auf den ersten Blick ist dieser Richard Kraft ein Überflieger: zunächst eine steile Akademiker-Karriere, heute eine gut dotierte Stelle als Rhetorik-Ordinarius an der Universität Tübingen. Privat sieht die Sache jedoch etwas anders aus. Kraft hat hohe Schulden auf dem Haus, fünf Kinder aus mehreren Beziehungen, eine teure Scheidung schon hinter und die nächste bald vor sich. Wie gerufen kommt da das Preisgeld, das der Silicon-Valley-Multimillionär Tobias Erkner für die zeitgemässe Beantwortung von Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theodizee-Problem ausgesetzt hat. Dieses dreht sich um die Frage, wie das Leid in der Welt vor dem Hintergrund eines allmächtigen und guten Gottes erklärt werden kann. Im Roman heisst der Titel des Wettbewerbes passend: «Optimismus für ein junges Millennium – Weshalb alles, was ist, gut ist und wir es dennoch verbessern können.»
Der Dramaturg Michael Gmaj und der Regisseur Zino Wey haben Lüschers Roman nun für das Konzert Theater Bern adaptiert. Wey ist zurückhaltend, was Details zur Inszenierung betrifft. So viel verrät er: Das Bühnenbild besteht aus drei Räumen, die im weitesten Sinn die Thematik von 80er-Neoliberalismus und Silicon Valley wiedergeben. Ergänzt wird die Szenerie durch die assoziativen Klangwelten des Komponisten Lukas Huber und Bilder der Videokünstlerin Julia Bodamer. Vor und mit diesen Bildern agiert ein Chor aus Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich als Gruppe oder einzeln der Figur Richard Kraft und den Spannungsfeldern des Romans annähern. «Mich fasziniert die Vielschichtigkeit des Buches», sagt der Regisseur Zino Wey. «Jonas Lüscher stellt anhand seines Protagonisten eine grundsätzliche politisch-philosophische Menschheitsfrage, er verknüpft dabei das private Schicksal und unsere kollektive gesellschaftliche Geschichte.»
Befragung eigener Lebensentwürfe
Während er an seinem Vortrag schreibt, lässt Richard Kraft sein Leben Revue passieren. Dabei scheitert er gleich doppelt: Als Philosoph spricht er nur dem Auftraggeber nach dem Mund; sein Dasein entlarvt er als Farce. Man kann das als Warnung lesen vor der Übermacht der grossen Digital-Firmen. Regisseur Zino Wey möchte mit der Adaption von «Kraft» seine Zuschauer zur Reflexion einladen. «Für mich ist die Spurensuche nach Richard Kraft auch eine Befragung eigener Lebensentwürfe.» Selbstreflexion schadet bekanntlich selten. So schmerzlich wie bei Richard Kraft muss es ja nicht immer gleich sein.
Kraft
Premiere: Do, 23.5., 19.30 Vidmarhalle Bern
www.konzerttheaterbern.ch