Hinter diesem feinfühligen Porträt (Bild rechts) versteckt sich eine Tragödie. Pablo Picasso malte seinen Sohn Paolo 1923/24 als Dreijährigen und schenkte das Bild einem Kinderarzt, welcher
das Künstlerkind nach einem Unfall medizinisch betreute. Der liebliche Ausdruck des Sohnes täuscht: Er war ein vernachlässigtes Kind. Der Kleine litt unter der frühen Trennung von Picasso und seiner Mutter Olga Koklowa. Und Zeit seines Lebens konnte Paolo nicht aus dem Schatten seines Vaters treten. Er gründete zwar seinerseits eine Familie, doch diese fand keinen Frieden. Paolo starb 1975 nach dem Suizid seines Sohnes.
Matisse, Miró, Degas
Heute ist «Le petit pierrot aux fleurs» im Besitz der Kunsthändler-Familie Nahmad. Diese zeigt das Werk mit rund 100 anderen Arbeiten im Zürcher Kunsthaus in der neuen Ausstellung «The Nahmad Collection». Die Sammlung umfasst Werke aller wichtigen Künstler der Zeitepoche von 1870 bis 1970: Edgar Degas, Georges Seurat, Henri Matisse, Amedeo Modgliani, Wassily Kandinsky, Claude Monet oder Marc Chagall – ein weiter Bogen vom Impressionismus zur klassischen Moderne. Mit 14 Werken ist Joan Miró neben Picasso am besten vertreten. Wer immer im Bann dieser klingenden Namen steht, muss diese Ausstellung gese-
hen haben. Sie wird zum Publikumsmagnet dieses Herbstes.
Der Clan Nahmad
Leihgeber der Werke ist der weit verzweigte Familienclan Nahmad, der in dritter Generation im Kunsthandel engagiert ist. Der Patriarch, der aus dem Libanon stammenden Familie, ist Joe Nahmad. Er zog in der Nachkriegszeit in Mailand einen Kunsthandel auf. Seine beiden jüngeren Brüder Ezra und David entwickelten das Geschäft weiter. Deren Söhne wiederum, sie heissen praktischerweise beide Helly, führen renommierte Galerien in London und New York. In der Schweiz kennt man sie vor allem dank ihrer regelmässigen Präsenz an der Art Basel.
Nach sechs Jahrzehnten Handel- und Sammlertätigkeit lagert die Nahmad-Familie in einem Genfer Zollfreilager rund 5000 Werke, darunter angeblich an die 300 Werke von Picasso. Wert der Sammlung: Mehrere Milliarden Franken. Eine genauere Schätzung wagt nicht einmal das amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes». Dafür enthüllt das Blatt unter dem Titel «Kunst des Handelns», wie geschickt und systematisch die Nahmads ihre Kunstsammlung anlegten.
Sie setzten stets auf sichere Werte; zeitgenössische Kunst ist ihnen zu riskant. Zudem zeichnen sich die Nahmads durch «einen Widerwillen aus, für Bilder zu bezahlen, die sie erworben haben», wie «Forbes» schreibt. Das Blatt zitiert einen entnervten Verkäufer mit den Worten: «Warum zahlen die denn nie?» Die gleiche Erfahrung musste anscheinend das Auktionshaus Christie’s machen, wie den Berufserinnerungen eines Mitarbeiters zu entnehmen ist: «Sie haben die Zahlungsfristen manchmal um Monate überzogen.» Oder die Nahmads haben nur einen Teil des vereinbarten Kaufpreises bezahlt und das Auktionshaus angewiesen, den Restbetrag aus dem Erlös von Bildern zu begleichen, die sie selbst zur nächsten Versteigerung bringen. Die Nahmads stehen auch im Ruf, an Auktionen die Preise von Künstlern in die Höhe zu treiben, von denen sie aktuell eine Reihe von Werken erworben haben, wie im Fall des Italieners Lucio Fontana.
Das alles ist nicht verwerflich, sondern folgt der Logik des Marktes: In den wenigen Quellen, die sich über die verschwiegene Familie finden, ist immer David Nahmad zitiert, der gesagt haben soll: «Monet und Picasso sind wie Microsoft und Coca Cola.» Mitunter erscheint das geschäftliche Engagement der Nahmad-Familie allerdings leicht unheimlich, etwa wenn man der kroatischen Zeitung «Nacional» glauben kann. Das Blatt erwähnt Geschäfte zwischen den Nahmads und dem früheren kroatischen Ministerpräsidenten Ivo Sanader, der wegen Korruption verurteilt wurde. Er soll unrechtmässig erworbenes Geld in Werke investiert haben, die er den Nahmads abkaufte.
Episoden und Anekdoten
Die Familie erklärt sich ihren Erfolg naheliegenderweise nicht mit rücksichtslosem Geschäften. So betont der Londoner Kunsthändler Helly Nahmad in einem Interview im Katalog zur neuen Zürcher Ausstellung, wie bereits sein Grossvater Joe Nahmad in den 50ern «arbeitssüchtig» gewesen sei. Er soll allerdings auch den schönen Seiten des Lebens gefrönt haben, ganz nach dem Klischee jener Jahre mit schicken Frauen und schnellen Autos.
Munter zu lesen sind die Anekdoten aus der Familiengeschichte. So fuhren die Brüder Ezra und David in den 60ern regelmässig von Mailand nach Paris, um auf dem dortigen Markt Kunst einzukaufen. Einmal haben sie gemäss Helly Nahmad einen Picasso erworben, der sich nicht verstauen liess. So montierten sie das Bild kurzerhand aufs Autodach. Allerdings ging das Werk auf der Fahrt verloren, kam aber an einem Wiesenbord wieder zum Vorschein, als sie die Strecke zurückfuhren. Wahr oder nicht, die Geschichte zeigt, dass die Nahmads stets mit einem Unternehmergeist in der Kunstszene aktiv waren, der ihren Konkurrenten in diesem distinguierten Geschäft ein Gräuel war.
Zürcher «Hitparade»
In dieses Kapitel gehört auch die Episode um den englischen Starkünstler Damien Hirst. Sie belegt, wie die Nahmads selbst familiäre Konflikte zu versilbern verstehen. So versuchte Onkel David seinen Neffen Helly in London davon abzuhalten, Werke des Avantgardisten Damien Hirst zu kaufen. Denn er erkannte in diesem kein langfristiges Potenzial. Vergeblich; Helly kaufte 50 Werke von Hirst, die er nach ein paar Jahren zum fünffachen Wert abstiess. Eine Lektion in Sachen Risikobereitschaft, die der Junge den Alten lehrte: Auch zeitgenössische Kunst kann gut fürs Geschäft sein.
Ein Werk von Damien Hirst ist in der Zürcher Ausstellung nun nicht zu sehen. Die mit der Familie getroffene Auswahl beschränkt sich auf Liebhaber-Objekte der modernen Klassik, die an eine Hitparade beliebter Kunst erinnern. Gerade darin liegt der Reiz dieser Ausstellung für ein breites Publikum.