In 16 Proben ein neues Tanzstück zu kreieren, ist eine Parforce-Tour. Genau das tut Richard Wherlock, Choreograf und künstlerischer Leiter Ballett Basel. Eben kommt er aus einer Probe zurück. Müde sei er, meint er und wirkt dabei alles andere als erschöpft. Vielmehr aufgeputscht und enthusiastisch über sein neues Projekt: «Ich wollte mich selber herausfordern und einmal andere Wege gehen als die bewährten.» Er kann sich das Wagnis leisten, denn die Ballettvorstellungen in Basel sind überdurchschnittlich gut besucht, und die Anfragen für Auslandgastspiele häufen sich. Andererseits weiss er, dass sein Publikum nach neuen Stoffen und Formen verlangt. Schon seit 2001 ist der 1958 geborene Engländer Ballettchef am Theater Basel, eine lange Zeit für einen Theaternomaden.
Sein jüngstes Handlungsballett nimmt sich eine frühe Shakespeare-Komödie vor: «The Comedy of Errors», ein Stück voller komplizierter zwischenmenschlicher Verstrickungen und Verwechslungen und wohl nicht das stärkste des grossen englischen Schriftstellers. «Vor eineinhalb Jahren war ich vom Stück begeistert», lacht Wherlock, «jetzt frage ich mich manchmal, warum ich ausgerechnet dieses ausgewählt habe. ‹Romeo und Julia› wirkt dagegen einfach!»
Die Komposition erinnert an Filmmusik
Gereizt hat Wherlock auch, dass das eher unbekannte Werk noch nie als Ballett auf die Bühne kam. Es gibt ein Musical davon, das sich der Choreograf aber nicht angeschaut hat, denn er möchte sich seine eigenen Bilder machen. Für dieses künstlerische Unterfangen hat Wherlock bei den beiden englischen Musikern und Komponisten Antony Genn und Martin Slattery eine Komposition in Auftrag gegeben. Die beiden haben zugesagt. Damit ist dem Ballettchef ein sensationeller Coup gelungen, denn das Duo hat mit Popgrössen wie Iggy Pop oder Brian Eno zusammengearbeitet und ist mit seinen Filmkompositionen in britischen Fernsehserien gut im Geschäft. «Ich habe die beiden angefragt, für das Stück emotionsgeladene Musik zu kreieren, mit viel Bewegungsmöglichkeiten für den Tanz», erzählt er.
Noch kommt die Musik ab Konserve. An den Aufführungen wird das Sinfonieorchester Basel mit den Musikern Antony Genn und Martin Slattery sowie einem Pianisten live spielen. Zwei Sound-Ingenieure werden mit «Sound around» für eine Beschallung rund um den Zuschauerraum sorgen. Tatsächlich erinnert die Komposition an Filmmusik und das im besten Sinn: sehr dynamisch, farbenreich und perkussiv.
In der Gegenwart verortet
In der Probe, bei einem Durchlauf auf der grossen Bühne, spürt man die Motivation der Ballettcompagnie. Geschmeidig und agil tanzt ein Paar einen Pas de deux, während die anderen Tänzer am Rand gebannt zusehen. Rechtzeitig bringen sie sich in Position, um als synchron getanzte Gruppe präzise einzusetzen. Am hinteren Bühnenrand ist eine Tribüne aufgebaut wie für eine Arena. Von oben werden Käfige heruntergefahren, die sich über einzelnen Figuren schliessen. «Es sind immer die falschen, die hier für ein Vergehen gebüsst werden», erklärt Wherlock.
Die Geschichte ist komplex verworren und musste für die Verständlichkeit radikal vereinfacht werden. Ein Schiffbruch versprengt die Eltern und ihre beiden Zwillingspaare – eines davon adoptiert – an verschiedene Orte. Nach 20 Jahren möchte der Vater seine Frau und seine zwei anderen Kinder wiederfinden und macht sich auf den Weg in das wirtschaftlich prosperierende Ephesus. Er selber hat bislang in Syracus gelebt, einem armen Land irgendwo im mediterranen Raum.
Bei Shakespeare spielt die vom römischen Komödiendichter Plautus inspirierte Geschichte in zwei Renaissance-Städten, während Wherlock den Plot in der Gegenwart verortet. Auch bei ihm verursachen die jahrelang getrennten, identisch aussehenden Zwillinge komödiantische Irrungen und Wirrungen, inklusive der obligaten Liebesverwechslungen. Bei ihm scheint aber auch ein Hauch Tragödie auf. Das reiche Ephesus, das für die Erste Welt steht, schottet sich gegen die Fremden ab und zieht Grenzzäune hoch. «Ephesus steht für eine materialistische, oberflächliche Welt», führt Wherlock aus, «wir machen das exemplarisch an einzelnen Figuren wie einem Modedesigner und seiner Entourage fest.»
So wie die beiden Musiker Genn und Slattery zum ersten Mal für ein Ballett komponierten, hat auch die englische Designerin Catherine Brickhill noch nie für die Bühne Kostüme entworfen. Als ehemalige rechte Hand des Modemachers Alexander McQueen hat sie vor Jahren ihre eigene Kollektion herausgebracht. Die Zeichnungen für die Bühnenkostüme liegen vor. Doch wie es konkret aussehen wird, wüssten sie jetzt noch nicht, sagt Wherlock, und man spürt seine Anspannung.
Eine Erzählerin führt durch das Stück
Es ist Halbzeit im Probenprozess. Bald kommt eine weitere wichtige Figur hinzu, die Erzählerin Z. Eine Schauspielerin aus dem Basler Ensemble wird den Text sprechen und als eine Art Narr durch das Stück navigieren – nicht im getragenen Shakespeare-Ton, sondern in einer heutigen Sprache. Bei Wherlock gibt es denn auch eine kleine Nuance im Stücktitel: Anstelle von «Errors» heisst es «Error(z)». Mit dem falschen Endbuchstaben wird bereits der erste Irrtum geliefert. Ein neckisches Detail, das darauf hinweist, wie vertrackt komödiantisch das Ganze ist.
The Comedy of Error(z)
Premiere: Fr, 3.5., 19.30
Theater Basel