Eine ehemalige kurdische Kämpferin, eine Kampfsportlerin und eine Hip-Hop-DJane: Diese drei starken Frauen begleitet Thaïs Odermatt in ihrem Dokfilm durch Berlin, wo sie die Filmuniversität Babelsberg absolviert hat. «Amazonen sind für mich Kämpferinnen, die sich nicht in eine Opferrolle begeben, sondern trotz aller Widrigkeiten weitermachen», sagt die Regisseurin per Videotelefon aus ihrem Atelier in Luzern.
Sie selbst ist behütet im nidwaldnischen Oberdorf aufgewachsen. Schon in der kindlichen Fantasie wollte sie aber stets eine Heldin, eine Amazone, sein. Mit den traditionellen Rollenzuschreibungen für Buben und Mädchen konnte sie nichts anfangen: «Warum sollten nur die Jungs Fussball spielen und sich raufen dürfen?» Inspiriert von ihrer politisch aktiven Mutter, die sich stets für feministische Themen einsetzte, wollte auch Thaïs gegen Ungerechtigkeit kämpfen. Mit dem Film ist sie nun als Erwachsene dem Ruf der Amazone aus ihrer Kindheit gefolgt, wie sie sagt.
«In Amazonen einer Grossstadt», ausgezeichnet mit dem Schweizer Filmpreis für den besten Abschlussfilm, fängt sie das Leben ihrer drei Protagonistinnen in so schlagkräftigen wie berührenden Szenen ein. «Alle drei mussten kämpfen in ihrem Leben, aber jede von ihnen hat solch eine positive Kraft und Wärme», zeigt sich Thaïs Odermatt beeindruckt. Die Idee für ihren Film ist Anfang 2016 entstanden. «Noch vor Trump und MeToo. Aber ich habe gespürt, dass da etwas in der Luft lag – die Forderung der Frauen nach Veränderung und Sichtbarkeit.»
Die Kraft der Punkmusik im Film rüberbringen
Ihren Dok reichert sie nach der sogenannten Found-Footage-Technik mit Super-8-Aufnahmen aus ihrer Kindheit, Werbe- und anderen Filmen an. «Es war ein langer Weg, bis ich wusste, wie ich die verschiedenen Figuren und Gedanken verbinden soll, da gabs auch einige gescheiterte Versuche», sagt sie lachend. Entstanden ist eine wilde Mischung, die aber stets das Amazonen-Thema im Blick behält, teilweise unterlegt mit Punkmusik. «Punk drückt für mich Anarchie und Freiheit aus, diese Kraft will ich auch im Film rüberbringen», sagt die Nidwaldnerin, die noch heute gerne Punkkonzerte besucht.
Die Amazone in sich selbst hat die Filmerin auch wieder entdeckt, als sie vor drei Jahren Mutter geworden ist: «Meine Tochter hat eine Art ‹Winkelriedin› in mir geweckt.» Für ihre Dreijährige will sie eine Zukunft mitgestalten, in der sich Familie und Beruf besser vereinbaren lassen. Dem modernen Frauenbild geht sie mit fünf Regisseurinnen im Dok «Les Nouvelles Èves» nach – der Kinostart ist für den Herbst geplant. In den aktuellen Projekten rückt die Geschlechterfrage vorerst etwas in den Hintergrund: Sie arbeitet an einer filmischen Mischung aus Found Footage und Animation, und für ihr New Yorker Atelierstipendium im 2022 will sie einen Blick in die bunte Karaokeszene werfen.
Amazonen einer Grosstadt
Jetzt im Kino
Thaïs Odermatts Kulturtipps
Festival
Kraut Kunstfestival Luzern
«Ein erfrischendes, überraschendes Konzept und eine berauschende Umsetzung an verschiedenen Orten in Luzern.»
Bis Di, 10.8./www.kraut.li
Film
Andrea Staka: Mare (2020)
«Ein feinfühliger, subtiler Film über eine Frau, die uns dank dem eindrücklichen Spiel von Marija Skaricic tief in ihre Welt und ihre Sehnsüchte blicken lässt. Für mich ganz grosses Kino!»
Comic
Ulli Lust: Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens (2009)
«Erst jetzt entdeckt und gerade am Verschlingen: Zwei junge Punkerinnen reisen per Autostopp ohne Geld und Ausweise von Wien nach Italien.»