Die Knitterfalte, die sich auf Bauchhöhe über das auberginefarbene Unterhemd zieht, ist 120 Jahre alt. Eine waagrechte Furche, die sich genau dort bildete, wo Emil Alpiger das Damenkleid in den 1890ern faltete und zu seiner Sammlung in eine Holztruhe legte. Der St. Galler Kaufmann arbeitete 20 Jahre lang in Persien, wo er für die Import-Export-Firma Ziegler & Co. aus Manchester tätig war. Während dieser Zeit trug er Waffen und Keramiken zusammen – und eben auch Textilien. Als Alpiger 1896 in die Schweiz zurückkehrte, hatte er zahlreiche Kleider, Wandbehänge, Stickereien und Stoffe dabei. «Die Familie hütete diese wie einen Schatz», sagt Kurator Axel Langer.
Intensiv-bunter Einblick in eine andere Epoche
Alpigers Sammlung gelangte vor einigen Jahren ans Museum Rietberg. Hier hat sie Axel Langer nun zum Zentrum der Ausstellung «Farbe bekennen» gemacht, welche sich persischen Textilien und Teppichen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert widmet. Die Truhe, in der Alpigers Stücke einst lagerten, existiert nicht mehr. Von welcher Bedeutung seine gesammelten Kleider und Stoffe sind, wird dennoch schnell klar: Sie bieten einen intensiv-bunten Einblick in eine Epoche, aus der es sonst lediglich Schwarz-Weiss-Fotografien gibt.
Wechselbeziehung zwischen zwei Welten
Fotografien sind es auch, die den Besucher zunächst in das damalige Persien entführen. Und den thematischen Bogen aufspannen: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewegt sich das Land zwischen Tradition und Moderne. Es ist Inspirationsquelle für die vom Orient faszinierten Europäer und lässt sich wiederum selber von Europas Mode inspirieren. Es ist Textilproduzent und Absatzmarkt in einem. Für diese Wechselbeziehung steht etwa der Orientteppich. Spätestens nach der Weltausstellung von 1873 in Wien wird dieser zum Must-have der Bourgeoisie in Paris, London und Zürich. Unternehmen wie Ziegler & Co. erkennen das Marktpotenzial und beginnen, Europa mit Teppichen zu versorgen, die sie in Persien knüpfen lassen. «Man passte diese aber an, denn die Europäer fanden die richtigen Orientteppiche zu wild», sagt Langer. Um den Unterschied zu zeigen, stellt er einen echten Perserteppich von 1896 Export-Teppichen gegenüber: hier die dichten und elaborierten Muster des Originals, dort die grossen Farbflächen und Blumenran-ken des Exportprodukts.
Der Blick der Perser gen Westen
Die Ausstellung macht deutlich: Auch die Perser blickten damals gen Westen. So finden sich auf dem Teppich von 1896 französisch inspirierte Eichelmuster. In der Mode wird ihr Interesse an Europäischem offensichtlicher. Zunächst am Hof des Schahs und danach in bürgerlichen Kreisen tragen die Damen ab 1873 abgewandelte Formen des Tutus. «Der Schah entdeckte das Röckchen in Paris und brachte gleich 23 Stück mit nach Hause», so Langer.
Die zierlichen Stickereien, die satten Farben und mesmerisierenden Verzierungen der Kleider und Teppiche – «Farbe bekennen» ist eine visuelle Wucht. Und noch viel mehr. In einer Reihe von Leibröcken für Männer öffnen sich inmitten floraler Muster Dimensionen der Textil- und Globalisierungsgeschichte. Etwa, wenn der Aussenstoff des einen Rocks europäische Massenware ist, die das teure, handgearbeitete Futter des anderen Rocks imitiert. Ja, die maschinell produzierten Produkte aus Manchester und anderen Textilstädten zerstörten Persiens Stoffproduzenten fast vollständig. Und eines der Fotos deutet es an: Auch damals galten die Arbeitskräfte wenig. «Mit zehn Prozent des Erlöses verdiente ein Teppichknüpfer nicht viel», sagt Langer. «Dennoch ist das schon gut bezahlt, verglichen damit, was heute Arbeiterinnen und Arbeiter dieser Industrie etwa an einem T-Shirt verdienen.»
Profitdenken, Verdrängung, Ausbeutung – Axel Langer schlägt mit «Farbe bekennen» auch eine Brücke zu heute. Die Schau regt zum Nachdenken an. Kann man die faszinierenden Kleider, Teppiche und Stoffe dennoch geniessen? Auf jeden Fall.
Farbe bekennen – Textile Eleganz in Teheran um 1900
Bis So, 14.4.
Museum Rietberg Zürich