«Und jetzt ist Schluss. Ende. Aus. Vorhang.» Franky Loving (Andri Schenardi) sagt die Worte ganz am Ende des 14. und viertletzten Luzerner «Tatort». Er spricht, wie schon ganz zu Beginn, in die Kamera. Auf einer Art «Meta-Ebene» führt er quasi durch den Film. Er kommentiert und ist selber stark involviert. Denn er ist der Sohn von Walter Loving (Hans Hollmann), dem Milliardär, der im Luzerner KKL ein Benefizkonzert ausrichtet. Gespielt werden Stücke von jüdischen Komponisten, die von den Nazis ermordet wurden.
Draussen vor dem KKL wird für Palästina und gegen Israel demonstriert. Drinnen breitet sich Hektik schon vor dem Konzert aus. Gift ist im Spiel. Kommissarin Liz Ritschard (Delia Mayer) ist privat vor Ort und schaltet sich ein, im Abendkleid. Kollege Reto Flückiger (Stefan Gubser) besucht gerade ein Fussballspiel. Er wird bald in Schlarpen und im Fantrikot erscheinen. Dann geht es los mit Ermittlungen in einem hektischen, wirren und zusehends nervenden «Tatort».
Es ist ein formal ehrgeiziges Unterfangen, auf das sich Regisseur und Drehbuchautor Dani Levy hier eingelassen hat. Dieser «Tatort» ist ein sogenannter «One Take»-Film, mit nur einer Kamera und in Echtzeit gefilmt. Das hätte reizvoll werden können als Krimi am attraktiven Schauplatz KKL. Nur, das Drehbuch ist mit viel zu vielen Motiven überfrachtet.
Die Ermittler sind genervt, das Publikum wohl auch
Von 2018 geht es zurück in die 1940er-Jahre, in denen Vater Loving eine dubiose Fluchthelfer-Rolle gespielt haben soll. Vor 40 Jahren, also 1978, war auch irgendwas. 1983 hatte Ritschard etwas mit dem Dirigenten, und 1999 trafen sich Flückiger und Franky schon einmal. Dazu kommen familieninterne Verstrickungen, Bundessicherheitspolizei, KKL-CEO, die Veranstalterin, ein schnöseliger Pförtner.
Schön wäre die Musik gewesen, gespielt vom echten Jewish Chamber Orchestra Munich, nur ist sie leider viel zu kurz zu hören.
Man begegnet ziemlich dilettantisch wirkender Ermittlungsarbeit. Flückiger und Ritschard stehen oder rennen meist dumm rum, sie mit Leidensmiene, er fluchend. Sie sind sichtlich genervt, und das Fernsehpublikum dürfte es schnell einmal ebenfalls sein. Fazit: viel Nervenkrieg statt Nervenkitzel.
Flückiger sagt gegen Ende auf einem konfiszierten Velo am Handy zu Ritschard: «Ich werde langsam zu alt für diesen Scheissberuf.» Er übt ihn auch nicht mehr lange aus. Es wird nach «Die Musik stirbt zuletzt» noch drei Luzerner «Tatort»-Folgen geben. Dann ist Schluss und Zürich an der Reihe.
Tatort: Die Musik stirbt zuletzt
Regie: Dani Levy
So, 5.8., 20.05 SRF 1 / 20.15 ARD
«One Take» – Echtzeitkino ungeschnitten
Die Zeit im Raum in fahrenden, fliessenden oder schwebenden Kamerabewegungen an einem Stück darstellen. Einmal einen ganzen Film nur in einer langen Kameraeinstellung, vollständig ohne Schnitte, drehen. Lange konnten Regisseure und Kameraleute diese Vorstellungen nicht realisieren; die Technik war schlicht noch nicht so weit. Inzwischen gibt es sie. «One Take» nennt man einen solchen Film.
Bei einem «One Take»-Film handelt es sich um eine Plansequenz. So bezeichnet man eine überdurchschnittlich lange Einstellung. Zu den berühmten Beispielen gehört die Anfangsszene in «Touch Of Evil» (1957) von Orson Welles: Die Kran-Kamera hält das Geschehen mehr als drei Minuten ohne Unterbruch im Blick. In «Le doulos» (1962) gelang es dem Franzosen Jean-Pierre Melville, ein ganzes Verhör ungeschnitten zu zeigen: mit einer Kamera in Bewegung, neun Minuten und 38 Sekunden lang.
Einen kompletten Raubüberall zeigt Robert Siodmak in seiner Hemingway-Verfilmung «The Killers» (1947) – er schaffte dies dank der ausgeklügelten Vorarbeit und einem fahrbaren Kamera-Kran.
Der experimentierfreudige Meisterregisseur Alfred Hitchcock wagte sich als allererster an einen abendfüllenden «One Take»-Film. Allerdings musste auch er sich
mit einem Trick behelfen, weil es technisch schlicht noch nicht möglich war: Eine Filmrolle in der Kamera reichte lediglich für zehn Minuten. Was tun? Bei «Rope» («Cocktail für eine Leiche», 1948) plante Hitchcock akribisch im Voraus, um ein mörderisches Kammerspiel einem Theaterstück gleich zu drehen: Zum nötigen Zeitpunkt bewegt sich die
Kamera hinter den Rücken eines Darstellers oder nahe an einen Gegenstand, sodass es schwarz wurde; nach erfolgtem Rollenwechsel ging der Dreh weiter.
Viele Jahre später ist es endlich so weit: Eine digitale Kamera und eine Doppel-Harddisk erlaubten, eineinhalb Stunden am Stück zu drehen. Der erste «richtige» «One-Take»-Film stammt somit vom russischen Regisseur Alexander Sokurow: «Russian Ark» (2002) ist zwar in Echtzeit gedreht, er erlaubt sich allerdings einen Gang durch die Jahrzehnte. Ein Erzähler führt durch die Eremitage in St. Petersburg, wo historische Figuren wie heutige Museumsbesucher auftauchen. Der Zuschauer blickt auf pompöse Ballszenen, hinter die Kulissen oder besucht die Gemäldesammlung des Zarenpalastes. Ohne Pause geht man durch 35 Säle, insgesamt 867 Schauspieler und 1000 Statisten sind zu sehen. Eine logistische Leistung, denn für das eigentliche Drehen der 87 Minuten stand ein einziger Tag zur Verfügung. Dafür brauchte es sieben Monate Vorbereitung.
«One Girl. One City. One Night. One Take.» Mit diesen Worten wurde schliesslich der deutsche Film «Victoria» (2015) von Sebastian Schipper beworben: 136 Minuten in einer Berliner Nacht, pausenlos. Eine Spanierin (die Titelfigur) und vier Jungs begegnen sich, die Männer haben ein krummes Ding zu drehen, und Victoria schliesst sich ihnen an, bis nach einem mitreissenden Filmtrip der Tag anbricht.