Die «hohe Kultur» spielt sich hauptsächlich in den städtischen Zentren ab. Das hat Tradition und Geschichte, denn dort stehen auch die altehrwürdigen Kulturtempel wie Stadttheater und Opernhäuser. Besonders der zeitgenössische Tanz hat es schwer, Fuss in den ländlichen Regionen zu fassen. Dies zu verändern, haben sich die Initiantinnen von TanzPlan Ost bei der Gründung ihres Projekts vor sieben Jahren auf die Fahnen geschrieben. Acht Kantone konnten für diese Förderidee eingebunden werden. Inzwischen steht die vierte Ausgabe des biennalen, schweizweit einmaligen Tour-Projekts in den Startlöchern. Bespielt werden so unterschiedliche Orte wie das Theater Chur, die Lokremise in St. Gallen oder der Tanzraum Herisau im ausserrhodischen Appenzell.
Positive Erfahrung
TanzPlan Ost bedeutet für Tanzschaffende mit Ostschweizer Bezug – da geboren oder mit Wohnsitz in der Region – eine wichtige Unterstützung. Die Thurgauer Choreografin und Tänzerin Mirjam Bührer nimmt bereits zum zweiten Mal teil und erinnert sich an die positiven Erfahrungen, die sie dabei machte: «Jedes Theater hat sein eigenes Publikum und entsprechend unterschiedlich sind auch die Reaktionen.» Während der Tournee entdeckte sie so immer wieder neue Schichten in ihrem Stück. «In Herisau ist der Raum extrem klein. Wir waren insgesamt zehn Tänzerinnen, mussten entsprechend enger als sonst zusammenrücken», erzählt Bührer weiter, «aber auch für die Zuschauer in den vorderen Rängen war die Performance besonders. Sie wurden Teil davon.»
Für die aktuelle Ausgabe probt sie gerade zusammen mit dem Medienkünstler Simón Schwarz und dem Musiker Ernesto Coba im Phoenix-Theater in Steckborn. Für die Choreografin und Tänzerin hat die Live-Musik an Bedeutung gewonnen. Zwischen Licht, Musik und Tanz entsteht in der Probensituation ein quasi musikalisches Gefüge, in dem alle Beteiligten gleichberechtigt sind. «Ich setze meinen Körper wie ein Instrument ein, spiele mal die erste, dann wieder die zweite Stimme», sagt Bührer. Die neu entstehende Arbeit «Layer by Layer – into the vague» ist eine Kooperation mit TanzPlan Ost. Das Thema war ihr freigestellt. Am Anfang ihres Stücks stand ein anderer Thurgauer: der Schriftsteller Peter Stamm. Bührer mag seine Bücher, in denen es nur wenig Handlung gibt, und seinen poetischen Schreibstil. «Alles, was er nicht sagt, strahlt.» Diese wechselnden Stimmungen, versucht sie in ihrer Inszenierung umzusetzen. Die Choreografin möchte zusammen «mit der Magie des Lichts», wie sie es nennt, flüchtige Landschaften kreieren, die an reale Landschaften erinnern und gleichzeitig zu inneren assoziativen Räumen verschwimmen.
Heimatverbunden
Mirjam Bührer sagt von sich, dass sie mit der Bodensee-Landschaft eng verbunden sei, auch wenn sie heute aus Arbeitsgründen in Zürich lebt. Auch der Tänzer, Choreograf und Musiker Simon Mayer hat eine starke Bindung zu seiner oberösterreichischen Heimat, wo seine Eltern in Andorf bis vor kurzem einen Bio-Bauernhof führten. Doch Mayer deswegen das Etikett «Naturbursche» anzuheften, würde falsche Stereotypen bedienen. Dagegen würde er sich heftig verwehren, da er mit der klassischen Einteilung in Sparten seine Mühe hat. Wie Bührer ist er in die Welt hinausgezogen (und tut es immer noch), war als klassischer Tänzer Mitglied im Wiener Staatsopernballett, studierte an der renommierten P.A.R.T.S. in Brüssel, tanzte bei Anne Teresa de Keersmaeker und bei Wim Vandekeybus. Trotzdem ist er der Volkstanzgruppe in seinem Dorf treu geblieben. Neben seiner Tätigkeit als Tänzer und Choreograf unterrichtet er unter anderem traditionellen Tanz.
Nackt auf der Bühne
Zu TanzPlan Ost wurde er von der künstlerischen Leiterin Simone Truong wegen seines Stückes «SunBengSitting» eingeladen. Was sich auf den ersten flüchtigen Blick wie ein englischer Titel liest, ist aber oberösterreichischer Dialekt und meint die Bank vor dem Haus, wo sich die Bauersleute abends nach getaner Arbeit gern in die Sonne setzen. Bei der Ausschreibung für die diesjährige Ausgabe waren Arbeiten gesucht, die sich mit der eigenen künstlerischen Identität im Spannungsfeld von lokalen und globalen Lebenswelten befassen. Da passte Mayers Solo perfekt rein, experimentiert er doch mit dem in seiner Heimat getanzten Schuhplattler und zeitgenössischem Tanz.
Warum aber performt er eine Stunde lang nackt? «In meinem Stück geht es auch um Männlichkeitsbilder», führt der Choreograf aus, «und Initiationsriten bei indigenen Völkern finden oft nackt statt.» Schamanismus und Rituale sind ein Thema, das Mayer fasziniert. «Durch die Kleidung geschieht gleich eine lokale Zuordnung. Ich wollte aber einen universellen Tanz kreieren.» Auf die Frage, wo er seine Vorbilder findet, nennt er nicht etwa einen berühmten Choreografen. «Es sind eher Menschen aus dem ländlichen Bereich, die sich das Musizieren selber beigebracht haben.» Seine eigene Beziehung zur Musik ist stark. Wenn Mayer auf der Bühne steht, tanzt er nicht nur, sondern spielt auch auf der Geige, eines von vier Instrumenten, die er beherrscht.
Aufführungen
Simon Mayer: «SunBengSitting», Mir-Jam:«Layer by Layer – into the vague» u.a.
Mi, 24.8., 19.00 Lokremise St. Gallen
Fr, 2.9., 19.00 TanzRaum Herisau AR
Weitere Aufführungen: www.tanzplan-ost.ch
TanzPlan Ost
Von August bis November tanzen neun junge sowie international etablierte Tanzkompagnien an sieben Orten in der Ostschweiz: etwa der bekannte französische Choreograf Jérôme Bel, der in seinem neuen Stück «Gala» mit 15 Laien und professionellen Tänzern aus der Region arbeitet. Ausserdem gibt es ein Extra-Programm. Am So, 4.9., begeben sich Simon Mayer und Simon Wehrli in Appenzell zusammen mit dem Publikum auf Spurensuche nach der musikalischen und tänzerischen Tradition. Mit dabei haben sie ihre Violinen und Stimmen.
Di, 23.8.–Do, 25.8., St. Gallen
Fr/Sa, 2.9./3.9., Herisau
Fr, 9.9., Appenzell
Fr/Sa, 16.9./17.9., Zürich
Fr/Sa, 4.11./5.11., Liechtenstein
Do, 17.11.–Sa, 19.11., Winterthur
Fr/Sa, 25.11./26.11., Chur