Er könnte sich die Launen eines Stars erlauben. Seit 40 Jahren choreografiert Saburo Teshigawara erfolgreich, zusammen mit seinem eigenen Ensemble Karas in Tokio und mit international renommierten Compagnien vor allem in Europa. Vor zwei Jahren hat er an der Biennale Danza in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk bekommen. Und das ist nur einer der prestigeträchtigen Preise, mit denen der Japaner für sein Schaffen ausgezeichnet wurde.
Tatsächlich sitzt einem im Interview ein herzlicher, bescheiden wirkender Mensch gegenüber, der sich alle Zeit für Fragen nimmt. «Create time!», lautete eine der Anweisungen von Teshigawara an die Tänzerinnen und Tänzer während einer Probe am Theater Basel. «Zeit ist nichts Fixiertes», erklärt er nun im Gespräch. «Im Grunde sind es unsere eigene Wahrnehmung und die Gefühle, die ein Zeitgefühl schaffen.» Wenn Teshigawara zum ersten Mal mit einer Compagnie arbeitet, geht es ihm darum, eine gemeinsame Sprache zu etablieren.
«Bevor ich choreografieren kann, muss es zwischen mir und den Tanzenden einen gemeinsamen Grund geben, sonst können wir kein Gebäude bauen», sagt er ganz bildlich.
Leer werden für neue Impulse
Für den Doppelabend «Verwandlung» gab es ein tägliches Training für die 25 Mitglieder des Balletts Basel, in dem sich alle scheinbar ziellos durch den Raum bewegten – eine simple Übung im Gehen mit und ohne Musik. Der Meister, unterstützt von drei seiner Assistentinnen, beobachtete aufmerksam und warf hin und wieder Sätze in den Raum wie «Vergiss deine Visionen!», «Langsamer!», «Einfacher!»
Mit diesem Training geht es Teshigawara darum, dass die Tänzerinnen und Tänzer ihre im Körper gespeicherten Techniken ablegen und leer werden für neue Impulse jenseits reiner Virtuosität. Bei ihm gibt es keine einstudierte Choreografie zu erlernen. «Die Tanzenden sollen in einen Zustand der Leerheit kommen.» Teshigawara redet vom «Minus-Nullpunkt», von dem aus er mit dem Ensemble sanft zu arbeiten beginnt, hinein in unerwartete kreative Räume.
Doch braucht es dafür klassisch ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer? «Unbedingt», antwortet der Choreograf, der selber eine Ballettausbildung in seiner Heimatstadt Tokio absolviert hat. «Der klassische Tanz ermöglicht einem Ausrichtung und Orientierung im Raum.» Anders gesagt: einen Rahmen, der bei Teshigawara aber gleich wieder gesprengt wird.
Choreograf und Skulpteur zugleich
Teshigawara hat nicht nur Tanz, sondern auch bildende Kunst studiert. Bis heute schafft er Skulpturen sowie Installationen und hat Videos und Filme gedreht. Täglich zeichne er, erzählt er im Interview. So erstaunt es wenig, dass er für seine Choreografien vom Bühnenbild über die Kostüme bis hin zum Licht alles selber entwirft. Dazu kommt die Musik, die für ihn eine grosse Rolle spielt.
Er komponiert auch selber. «Es ist wichtig, sich mit der Musik zu verbinden, ohne sie direkt auszudrücken», meint Teshigawara. Auch hier geht es darum, nicht dem ersten Impuls nachzugeben, sondern nach innen zu hören, zu warten. Treffen schliesslich Musik und tänzerische Bewegung aufeinander, so der Choreograf, sei das schlicht magisch. Magisch war am Theater Basel auch die Premiere des Doppelabends «Verwandlung». Besonders die Uraufführung von «Like a Human» entwickelte im Publikum einen unwiderstehlichen Sog.
Auf der Bühne waren Figuren zu sehen, die mitten in ihren schwungvollen Drehbewegungen plötzlich einknickten, die wie Stotternde die immer gleichen Bewegungen wiederholten, unfähig, sich aus der Lähmung zu befreien. Das sei eine grosse Herausforderung gewesen, so Teshigawara, denn Tanz habe vollkommen zu sein, und in diesem Stück sei alles unvollkommen, von Zögern, Zweifeln und Ängsten bestimmt. «Das Leben ist nun mal nicht perfekt», so der Choreograf, «genau das hat mich hier inspiriert.»
Neue feine Nuancen zwischen Hell und Dunkel
In den Stücken Teshigawaras schwingt oft etwas Spirituelles mit. Doch anders als es das Klischee nahelegen würde, beschäftigt sich der japanische Choreograf weder mit Zen noch anderen spirituellen Praktiken. Es scheint vielmehr seine tiefe Menschlichkeit und grenzüberschreitende Offenheit zu sein, was in seinen Stücken anrührt. Seit Langem interessiert sich Teshigawara für die europäische Kultur, literarisch wie auch musikalisch.
Einer der Stoffe, die es ihm angetan haben, ist Richard Wagners Oper «Tristan und Isolde», die Geschichte einer unmöglichen Liebe. Dazu hat er 2017 für seine langjährige Bühnenpartnerin Rihoko Sato und sich ein Duo kreiert. «Wagners reiche musikalische Skala thematisiert nicht nur die unglückliche Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde, sondern grosse Themen wie Schicksal, Liebe und Tod», sagt der Choreograf.
Das ist es wohl, was Teshigawara in seinem künstlerischen Schaffen antreibt: dem menschlichen Leiden an der Unvollkommenheit Ausdruck zu geben und dafür immer wieder neue feine Nuancen zwischen Hell und Dunkel aufzuspüren.
Verwandlung
Bis Do, 13.6., Theater Basel
Tristan and Isolde
Im Rahmen des Tanzfestivals Steps
Sa, 4.5., 20.00 Luzerner Theater
Di, 7.5., 20.00 Dampfzentrale Bern
So, 12.5., 20.30 Cinema Teatro Chiasso TI
Do, 16.5., 19.30 Theater Basel
Tanzfestival Steps
Das Festival Steps bespielt alle vier Sprachregionen der Schweiz mit internationalen und nationalen Tanzproduktionen. Den Auftakt macht in Baden die norwegische Gruppe «Winter Guests» mit dem Stück «Story, Story, Die». Das dynamische, filmischerzählerische Werk thematisiert den gesellschaftlichen Zwang, sich stets von der besten Seite zu präsentieren.
Ein Highlight im Programm ist die erstmalige Kollaboration zwischen der Marc Brew Company und Eastman in der Choreografie von Sidi Larbi Cherkaoui. Ein Solo, in dem der seit einem Unfall gelähmte Tänzer Marc Brew seine Geschichte erzählt. Neue Formen von Bewegung vermischen sich mit Videoeinspielungen und Text.