Es begann mit einer Auftragsarbeit. Vor sieben Jahren wurden die beiden isländischen Choreografinnen Erna Omarsdottir und Halla Olafsdottir vom Staatstheater am Gärtnerplatz in München angefragt, das Ballett «Romeo und Julia» zur Musik von Sergei Prokofjew zu inszenieren.
2018 war Premiere, und seither hat das Gespann William Shakespeares Tragödie nicht mehr losgelassen. Seit damals erarbeiteten die beiden zwei weitere Stücke dazu. Jetzt inszenieren Omarsdottir und Olafsdottir ihre Münchner Arbeit neu und bringen sie unter dem Titel «Julia & Romeo» auf die Bühne des Theaters Basel.
Liebe in all ihren Schattierungen, nicht nur als romantische Verklärung, das wollen die beiden Choreografinnen zeigen. Und noch viel mehr. Im Gespräch erzählen sie, dass sie sich damals in München fragten, warum sie das ikonische Stück von Shakespeare einmal mehr inszenieren sollten.
«Dann aber haben wir entdeckt, dass in der Liebesgeschichte viele weitere Geschichten stecken», sagt Erna Omarsdottir. Die Frauen witterten eine Chance. Es sei reizvoll, mit den Erwartungen des Publikums zu spielen, fügt Halla Olafsdottir an. «Alle kennen ‹Romeo und Julia›. Diese scheinbar klaren Vorstellungen sind für uns ein ideales Spielfeld», sagt sie. «Wir vollziehen eine Art Exorzismus mit dem Stück.»
Episch und voller Gefühle ist Prokofjews Musik
Wer nun denkt, dass «Romeo und Julia» von den beiden Choreografinnen total auf den Kopf gestellt würde, liegt falsch. Die zwei mögen es wild, unkonventionell und arbeiten lustvoll mit Elementen aus der Populärkultur bis hin zu Anleihen aus der Welt des Horrors.
Aber sie folgen, ohne linear zu erzählen, durchaus Shakespeares Geschichte, wenn auch anders als erwartet. «Wir folgten beim Choreografieren Sergei Prokofjews Musik. Darin steckt so viel, eigentlich die ganze Dramaturgie», erklärt Olafsdottir. Als «episch und voller Gefühle» bezeichnen die Choreografinnen Prokofjews Ballettmusik.
Für Basel haben die beiden Isländerinnen dessen musikalischen Kosmos durch eine Neukomposition ihres Landsmanns Valdimar Johannsson, erweitert. Die zeitgenössische Klangkulisse ermöglicht nochmals andere Erzählebenen und verflicht sich eng mit den Stimmen der Tänzerinnen und Tänzer.
Für die beiden spielt die Compagnie bei der Kreation eine Hauptrolle. Trotz der vorgegebenen Stückabfolge besteht in den einzelnen Szenen viel Gestaltungsfreiheit für die 25 Tänzerinnen und Tänzer des Balletts Basel.
Am Tag der ersten Probe auf der grossen Theaterbühne drapieren sich die Performer auf einem überdimensionierten roten Plüschbett in Form eines Herzens. Die Choreografinnen geben Anweisungen, beobachten, verwerfen und suchen nach einer stimmigen Lösung.
«Alle tanzen alles» – «Es gibt alle Geschlechter»
Alles geschieht in einer konzentrierten, aber entspannten Atmosphäre; es wird viel gelacht. Dabei lässt das Choreografie-Duo die Tänzerinnen Positionen ausprobieren und eigene Bewegungen finden.
Zum Hit «Love Is in the Air» springen einige der Tänzer auf Trampolinen, die vor dem Ehebett aufgebaut sind, auf und ab. Diese werden an der Premiere unter einem riesigen Tuch verborgen sein.
«Mit jeder neuen Compagnie wird ein Stück anders», sagt Omarsdottir. Eine Binsenwahrheit, würde man meinen. Doch bei den beiden Isländerinnen bekommt diese Aussage eine erweiterte Bedeutung. Für sie sind alle Mitglieder Solistinnen, und der Ensemble-Gedanke steht im Zentrum. Anders als im klassischen Ballett, wo die Rollen hierarchisch klar verteilt sind.
Die Geschichte des klassischen Tanzes haben Omarsdottir und Olafsdottir in das theatrale Geschichtengeflecht hineinverwoben, als einen von vielen Erzählfäden. «Alle tanzen alles», sagt Omarsdottir. «Bei uns gibt es alle Geschlechter.»
Die Umkehrung des Shakespeare-Titels zu «Julia & Romeo» sei vor allem einmal ein Hinweis darauf, dass sie in ihrem Stück Erwartungen aufbrechen würden. Während im Ballett die tanzenden Körper leicht und schwerelos wirkten, solle das Publikum hier den Atem der Tänzer durchaus hören und den Schweiss der Tänzerinnen wahrnehmen.
Eine besondere Rolle spielen die Stimmen der Performer. Es wird gehaucht, gesprochen und geschrien. Das Ensemble wird zum Chor, das seinen eigenen Sound schafft. Dazu sagt Omarsdottir: «Prokofjews Musik ist stark, sie könnte einen emotional überwältigen. Die Tänzerinnen aber sollen die Musik aus sich selbst heraus schaffen.»
Das tun sie nuancenreich mit ihren Stimmen und den Texten, die in der Basler Neuinszenierung nochmals ein grösseres Gewicht erhalten. Halla Olafsdottir ergänzt: «Aus dem Rhythmus des gesprochenen Wortes entstehen Bewegung und Tanz, Stimme und Körper hängen eng zusammen.» Dem Tanz oder vielmehr dem Ensemble wird buchstäblich eine Stimme gegeben.
Das Vokabular des Tanzes erweitern
Die vielfach preisgekrönten Choreografinnen sprühen vor Elan. Ein Powerduo, dem die Ideen nicht auszugehen scheinen und das sich in der Probe gut ergänzt. Ihre Auseinandersetzung mit Shakespeares Drama ist ihre erste Zusammenarbeit, obwohl sie sich schon seit etwa 25 Jahren kennen.
Die Freundinnen haben ihre Entwicklung im Tanz gegenseitig immer verfolgt und unterstützt, Olafsdottir als freischaffende Choreografin und Tänzerin, Omarsdottir bis vor Kurzem als Direktorin der Iceland Dance Company und in weiteren Projekten. Gemeinsam ist ihnen das Interesse, das Vokabular des Tanzes zu erweitern. Da darf es auch einmal krachen, beben und heulen.
Julia & Romeo
Premiere: Sa, 30.11., 19.30
Theater Basel