Regisseurin Ruth Huber und Choreografin Cornelia Hanselmann haben schon in der Kantonsschule zusammen Theater gespielt. Und beide haben das Theater zu ihrem Beruf gemacht. Huber ist nach ihrem Studium der Theaterwissenschaft als Schauspielerin und Regisseurin in die freie Szene eingestiegen, während Hanselmann nach Holland ging und sich an der Dansacademie Arnhem in Tanz und Choreografie ausbilden liess. Seit sieben Jahren ist die 38-jährige Aargauerin zurück in der Heimat, wo sie in verschiedenen Formationen als Tänzerin und Choreografin arbeitet und immer wieder auch eigene Projekte anreisst. Bald hat ihre jüngste Produktion «Riverbed» Premiere, die sie zusammen mit ihrer Freundin Ruth Huber entwickelt hat. In diesem Tanzstück kommen Tänzerinnen und Tänzer verschiedener Generationen auf der Bühne zusammen. Das Konzept dazu entstand zusammen mit der Bühnenbildnerin Claudia Tolusso, auch sie eine alte künstlerische Weggefährtin des Choreografie-/Regieduos. Tolusso lebt heute bei Sarnen in der Innerschweiz. Ganz in der Nähe fliesst die Laui, ein wilder, noch naturbelassener Fluss, durch die Landschaft. «Dorthin hat uns Claudia eingeladen », erzählt Cornelia Hanselmann, «da wir ihr von unserer Idee erzählt hatten, ein von der Natur inspiriertes Stück entwickeln zu wollen.» Hanselmann und Huber hatten vor fünf Jahren zusammen mit Laienspielern im urbanen Raum ein Landschaftstheater auf die Beine gestellt. Jetzt wollten sie weg von der Stadt und in der freien Natur etwas Neues kreieren. «Wir stiefelten zu dritt im Flussbett der Laui herum», lächelt die Choreografin, «und merkten bald, wie anregend diese direkte sinnliche Erfahrung war.» Der Fluss wurde zu einer Metapher für das Verfliessen der Zeit, für Vergänglichkeit und Tod, genauso aber auch für das Leben und die Lebenskraft – die Natur als Spiegel des Menschlichen. Von da war es nicht mehr weit bis zur Idee, mit verschiedenen Generationen von Tänzerinnen zu arbeiten.
Tänzer zwischen 10 und 73 Jahren
Die erste Produktion von Bluebox productions, wie sich das künstlerische Trio nennt, besteht aus einem Tanzensemble von acht Tänzerinnen und Tänzern zwischen 10 und 73 Jahren. Neben zwei tanzbegeisterten Kindern machen zwei 15-jährige Jugendliche mit, die bei der Tänzerin/Choreografin Margarita Kennedy vor 10 Jahren kreativen Kindertanzunterricht genommen haben. Kennedy steht zusammen mit dem Tänzer und Zirkusartisten Flurin Kappenberger für die mittlere Generation. Für die ältere konnten zwei bekannte Namen aus der freien, zeitgenössischen Tanzszene gewonnen werden: Philipp Egli und Nelly Bütikofer. Letztere haben sich über die Grenzen hinaus einen Namen gemacht, waren international sowie mit eigenen Compagnien unterwegs und haben selber auch Häuser geleitet. Kennedy, Mitgründerin des Basler Kollektivs Bufo Makmal, sagt, dass sie sowohl von der Erfahrung der älteren Tänzer als auch von der Verspieltheit der jüngsten Mitglieder viel gelernt habe. «Interessanterweise ist es letztlich gar nicht so wichtig, wie alt jemand ist», meint die Tänzerin, «entscheidend ist die persönliche Lebensgeschichte.»
Das Wasser und die Kiesel spüren
Im Sommer verbrachte das gesamte Ensemble ein paar Tage an der Laui, wo es Recherchen vor Ort zum neuen Bühnenprojekt betrieb. Die Tänzer liessen sich im Wasser die Füsse umspülen, wateten gegen die Strömung und erspürten mit den Füssen den Untergrund von unebenen Steinen und Kieseln. Das Choreografen- Duo stellte verschiedene Bewegungsaufgaben, wie Hanselmann erzählt. Am Ende kehrten alle beladen mit Fundstücken und Schwemmhölzern zurück in den Probenraum. Hanselmann zeigt die hinter einem Vorhang gelagerten, dünnen Stämmchen, die sie aus dem Fluss geborgen haben. «Diese werden zu Dialogpartnern im Stück, zu einem Menschen, der nicht mehr da ist, oder zu Verlängerungen menschlicher Arme», erklärt sie. Es ist ein Fundus für theatrale und bewegungstechnische Ideen. Text gibt es im Stück keinen. Alles übersetzt sich in Bewegung, erst im linearen Fliessen von links nach rechts bis hinzu kreisförmigen Bewegungen. Dabei komme es zu Begegnungen zwischen einzelnen Figuren wie zwischen einem Vater und seinem Kind, die sich aus den Augen verlieren und später wiederfinden, sagt Hanselmann. «Es sind kaleidoskopartige Ereignisse von Verlust, Nähe und Distanz», führt die Choreografin aus, «wie die beiden Jugendlichen, die sich in einer Szene gegen den Strom stemmen. » Doch hätten die Figuren keine psychologische Unterfütterung. Vielmehr seien sie Teil des Lebensflusses, tauchten auf und wieder unter und könnten dabei selber zu einer Welle werden. «Wir als Menschen sind Teil der Natur und nicht getrennt von ihr», so Hanselmann. Letztlich sei die Natur grösser als wir, sie überdaure uns.
Momente des Glücks und des Loslassens
Das Bild der fliessenden Zeit nehmen Hanselmann und Huber wortwörtlich. Die unterschiedlich alten Körper auf der Bühne erinnern an den Fluss der Zeit und lassen verschiedene Lebensphasen aufscheinen. Sie erzählen ganz unmittelbar vom Leben, von beglückenden Momenten, aber auch von solchen, in denen man etwas Geliebtes loslassen muss. Manchmal stockt der Fluss, ziehen Strudel in die Tiefe. Alle diese szenischen Momente zu bündeln und das richtige Timing zu finden, ist ein Seilakt. Da hilft es, dass in den Proben zwei Augenpaare Rhythmus und Dramaturgie im Blick behalten. Anspruchsvoll war in den vergangenen Wochen auch, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Tänzerinnen und Tänzer einzugehen. Hanselmann äussert sich nur zurückhaltend darüber. Vor allem aber spürt man bei ihr das grosse Engagement und Interesse, mit Tänzerinnen und Tänzern aus verschiedenen Generationen zu arbeiten. Letztlich ist es, wie die Choreografin sagt, eine sehr bereichernde Erfahrung. Nicht nur für sie selber, sondern für alle Beteiligten.
Riverbed
Premiere: Sa, 15.10., 20.00
Alte Reithalle Aarau
www.buehne-aarau.ch