Für Shakespeare war die ganze Welt eine Bühne. 400 Jahre später ist die ganze Welt ein Laufsteg – zumindest, wenn es nach Trajal Harrell geht. Der US-Amerikaner vermischt in seinen Choreografien postmodernen Tanz und authentische Gesten von Schmerz mit sogenanntem Voguing. Dieser Tanzstil lehnt sich an die Bewegungen von Laufstegmodels an, er entstand in den 80ern in der homosexuellen Subkultur von Harlem.
Darum staksen die Tänzer
in «Juliet & Romeo» auf die Bühne: Die Knie durchgestreckt, die Schultern straff, die Füsse bei jedem Schritt leicht überkreuzt. Typisch Model eben. «Ich setze Kleidungsstücke ein, um einen Teil der Geschichte zu erzählen», sagt Harrell. «Jeder von uns hat eine Beziehung zu Kleidern, und wir wissen unbewusst, wie man deren Codes liest.» Nach und nach verwandeln sich auch die defilierenden Tänzer durch die Kleidungsstücke in Figuren aus «Juliet & Romeo».
Ausschliesslich mit männlichen Akteuren
Hier sieht man geblümte Socken, dort ein Kleid mit Blumenmuster. Dass aus beiden durchtrainierte Männerbeine ragen, mag zunächst irritieren. Aber sämtliche Rollen werden von Tänzern gespielt und getanzt. «Ich habe mich viel mit Shakespeare und der griechischen Tragödie beschäftigt, die nur von Männern gespielt wurde, oder auch dem japanischen Kabuki», erklärt Harrell. «Bis heute ist Geschlecht immer auch Performance – bis in den Alltag hinein. Darum können wir etwas über unsere Gesellschaft lernen, wenn wir Männern zuschauen, die Frauen spielen – und umgekehrt.» Dieser andere Blick öffnet neue Perspektiven. Harrell wendet ihn sogar auf Shakespeares Text an: «Es schien mir beinahe albern, dass sich zwei junge Leute verlieben, die sich kaum kennen, sich aber sofort umbringen. Es ist genauso seltsam, dass zwei Familien seit Generationen Feinde sind. Aber wenn ihre Kinder sterben, werden sie auf Anhieb Freunde.»
Trajal Harrells Tanztheater dehnt nun die Zeitspanne zwischen Julias Suizid sowie der Freundschaft der Eltern aus. Dabei erzählt er die Sequenzen aus Sicht der Amme. Ihre Erinnerungen an Julia öffnen einen neuen Raum voller Trauer, Liebe und Fantasien, in denen das Mädchen wieder lebendig werden darf: als die Julia, die sie war – aber auch als alle die Julias, die sie noch hätte werden können.
Juliet & Romeo
Sa, 28.12. 19.30 & So, 29.12., 18.00
Schiffbau-Box Zürich