Wir treffen uns in Zürich. Lea Moro ist nur zwei Tage hier, sozusagen auf Kurzbesuch, bevor sie wieder weg muss, auf Gastspiel nach Marseille. Mir sitzt eine junge Frau von 30 Jahren gegenüber, offen und sympathisch. Ihre Stimme klingt sanft, ihre Antworten zu künstlerischen Fragen kommen aber sehr bestimmt und überlegt. Lea Moro bewegt sich nicht nur geografisch zwischen den Städten Zürich und Berlin, sie ist auch als Künstlerin in verschiedenen Genres unterwegs.
Unmögliches möglich machen
Neues auszuprobieren, ist typisch für diese junge Frau. Ein Kritiker schrieb einmal, bezeichnend für ihre Arbeit sei es, «unmögliche Aufgaben» anzupacken. Im Stück «The End of the Alphabet» fegt sie mit Rollschuhen über die Bühne und performt ein Musical in Allein-Manier. Dabei singt sie zum Vivaldi-Klassik-Hit «Die Vier Jahreszeiten», obwohl sie von sich sagt, sie sei nicht besonders musikalisch.
Das klingt unmöglich und etwas verrückt. «Das mit den Rollschuhen ist extrem anspruchsvoll», sagt Moro, «an jedem Fuss ein Kilo Gewicht und dann auch noch die Geschwindigkeit im Raum, das gibt ein völlig anderes Körper-Raum-Gefühl.» Die Tänzerin und Choreografin liebt solche Herausforderungen. Dass sie dabei nicht so elegant wie ein Stéphane Lambiel über die Bühne rollt, soll nicht kaschiert werden, im Gegenteil. Denn die Frage nach der Ästhetik und Funktionsweise des Solostücks war bei der Entstehung wesentlich.
Stimmungsmomente anstatt Plot
«Klassische Werke suggerieren die grosse Geste. Wie kann man klassische Formen, zu denen auch das Musical gehört, in den zeitgenössischen Tanz übertragen?» Das hat sich Moro gefragt. Und: Was kommt am «Ende des Alphabets»? Beginnt alles wieder von vorne oder kommt etwas Neues? «Das Stück ‹The End of the Alphabet› ist eigentlich ein Konzept-Musical», sagt Moro, «denn es gibt keinen Plot mehr, nur Stimmungsmomente.» Den Begriff der Konzeptkunst mag sie nicht besonders.
Tatsächlich, wer ein Stück von Lea Moro gesehen hat, findet darin nichts Konzeptlastiges. In «(b)reaching stillness» von 2015 hat sie sich von Stillleben inspirieren lassen. Auf einer mit einem dezent dunkelblauen Teppich ausgelegten Bühne sind drei Körper zu einer «Nature morte» drapiert. Zur pompösen Musik von Gustav Mahlers 2. Sinfonie, der «Auferstehungssinfonie», erheben sich die drei Tänzer, um bald wieder niederzusinken. Eine Musik, die voranprescht, und dazu die gegenläufige Tendenz der Körper. Im Stück wird keine zusammenhängende Geschichte erzählt, dafür viele kleine Episoden, in denen Schalk aufblitzt.
Mit «Fun!» zu zweckfreiem Vergnügen
Ein subtiler Humor zieht sich wie ein roter Faden durchs gesamte bisherige Werk der Künstlerin. Vielleicht ist er sogar so etwas wie ein Bindeglied zwischen den thematisch verschiedenen Arbeiten. Moro sagt von sich, dass sie ein extrem ernsthaft arbeitender Mensch sei, in ihrer Arbeit aber bewusst die Leichtigkeit suche. Nicht den Humor, der sich von etwas distanziere, sondern vielmehr den, der Raum für Ambivalenz lasse.
In ihrem jüngsten Stück «Fun!» rückt sie den Spass ins thematische Zentrum. «Spass haben ist eine Kraft an sich», findet Moro, «der Moment eines zweckfreien Vergnügens hat doch einen Mehrwert.» Fünf Performer und eine Musikerin – auch Moro ulkt, tanzt und singt dabei mit – rutschen von einem Spass in den nächsten, rotieren gewitzt und produzieren vergnüglich Unerwartetes in chaotischem Übermass.
An Ideen fehlt es ihr nicht. Auch wenn sie sagt, dass ihre Arbeiten nicht explizit politisch seien, reagiert sie doch seismografisch auf gesellschaftliche Veränderungen in der Welt. «Das geht gar nicht anders», findet Moro. «Gerade auch kulturpolitische Fragen beschäftigen mich.»
Ein Bewegungsmensch seit der Kindheit
In Berlin hat Lea Moro vor ein paar Jahren ein Festival gegründet und mitkuratiert. «Projekte initiieren, strategisch denken und vernetzen, das ist mein Ding», sagt die Künstlerin. «Ich bin weniger die Interpretin in anderen Stücken als jemand, der eigene Arbeiten anstösst.» Ob das eher im Theater- oder doch im Tanzbereich sein würde, war lange offen. Bis sie sich mit 19 Jahren gegen eine Schauspielerinnen-Ausbildung und für die Accademia Teatro Dimitri entschied, in der das Akrobatische, das Physische allgemein, eine grosse Rolle spielen.
Lea Moro, die in Kempraten bei Rapperswil-Jona aufgewachsen ist, sagt von sich, dass sie immer sehr sportlich war. Sie besuchte wie viele Mädchen den klassischen Ballettunterricht, ohne davon aber infiziert zu werden. Lieber ging sie Ski fahren und joggen. Den italienischen Namen hat sie von ihrer Mutter übernommen. Heute steht er offiziell als Künstlername in ihrem Pass. In Zürich hat sie zurzeit eine Residenz am Tanzhaus. Den Kontakt zum lokalen schweizerischen Umfeld möchte sie auf keinen Fall missen, sagt sie. Gleichzeitig ist sie nach einer weiteren Ausbildung in Berlin hängengeblieben. «Es ist gesund, über die eigene Landesgrenze hinauszusehen, zu reisen und sich in unterschiedlichen Kulturen zu bewegen», meint die Künstlerin. «Berlin ist auch wichtig für meine internationalen Kontakte.» Und die hat Lea Moro inzwischen. Sie ist auf Erfolgskurs, reisen wird sie noch viel können.
Tanz im Mittelpunkt
Das Festival Tanz in Bern findet zum 9. Mal in der Dampfzentrale statt und präsentiert den zeitgenössischen Tanz. 16 Produktionen aus dem In- und Ausland sind dieses Jahr zu sehen, darunter die zwei Arbeiten der Schweizerin Lea Moro: das Solo «The End of the Alphabet» (2016) und das Gruppenstück «Fun!». Neben den Aufführungen gibt es zahlreiche Gespräche, Vorträge und Filme.
Tanz in Bern
Do, 26.10.–Sa. 11.11. – Infos: www.dampfzentrale.ch
Aufführungen in Bern
Lea Moro: Fun!
Sa, 28.10., 20.00 Dampfzentrale
So, 29.10., 19.00 Dampfzentrale
Lea Moro: The End of the Alphabeth
Di, 31.10., 20.30 Dampfzentrale
Mi, 1.11., 20.30 Dampfzentrale
Weitere Infos: www.leamoro.ch