Der norwegische Choreograf Jo Strømgren verschmähte die Südsee. Sein Vater war Meeresbiologe und wechselte mit seinem Sohn berufshalber häufig den Wohnort – weltweit. «Als ich 16 Jahre alt war und mein Vater mich wieder mal fragte, ob ich ihn für ein Jahr nach Tonga in die Südsee begleiten würde, hatte ich genug und weigerte mich», sagt der Norweger im Gespräch. Strømgren beschloss, für immer und ewig in der Heimat zu bleiben. Natürlich hat er sich nicht an diesen Vorsatz gehalten, denn schon bald merkte er, dass seine spezifischen Kindheits- und Jugenderfahrungen eine enorme Kompetenz darstellten. Längst ist er wieder zum Reisenden geworden, zusammen mit seiner im norwegischen Bergen gegründeten Tanzkompanie.
Auftritte abseits kultureller Brennpunkte
Strømgren muss selber über seine Karriere staunen , wenn er erzählt, dass er in 20 Jahren an die 150 Stücke geschaffen, die meisten davon abendfüllend, und sie bislang in über 50 Ländern gezeigt hat. Nicht nur Tanz-, sondern auch reine Theaterstücke. Wie schafft man das? «Ich habe viel Energie gespart, indem ich mir wegen meiner Karriere keine Sorgen machte.» Und: «Ich bin enthusiastisch, wenn es um meine Arbeit geht.» Schon fast ein Manifest könnte man nennen, was auf seiner Website dezidiert in drei Punkten aufgeführt ist. Seine Kompanie verfolge unabhängig von Trends in der zeitgenössischen Tanzszene einen eigenen Stil. Der zweite Punkt: Von Anfang an hat StrØmgrens freie Gruppe mit festen Häusern kooperiert, aber abseits kultureller Brennpunkte wie Paris, London oder Brüssel. «Wenn du in Paris einen Fehltritt machst, ist dein Fall tief», sagt er, «in der Provinz kümmert das niemanden lange.» Bis heute pflegt der Norweger beharrlich seine eigenen Netzwerke und fährt gut damit. Wen wunderts, dass beim dritten Vorsatz die internationalen Kontakte ins Spiel kommen? Norwegen ist ähnlich wie die Schweiz ein kleines Land und braucht die Vernetzung nach aussen.
Unterhaltsam und witzig absurd
Gegenwärtig arbeitet Strømgren am Luzerner Theater. Geprobt wird in externen Räumen, mitten in einem Industriegelände. An diesem Nachmittag ist der Cellist Gerhard Pawlica anwesend; die Stimmung ist konzentriert. Den Tänzern gelingt es erstaunlich leicht, die einstudierten Bewegungen mit den Live-Tönen einer von Bachs Cellosuiten zu koordinieren. Der Choreograf möchte den Ablauf noch etwas schneller. Aus den Kellern streben sechs Frauen hervor. In kleinen Schritten trippeln sie hastig im Gänsemarsch hintereinander her, teils vermummte Gestalten, die sich sichtlich unwohl im Licht fühlen. Dazu ein enigmatischer Text, von Strømgren selbst geschrieben.
Assoziativ sollen seine Performances sein, sagt der Choreograf. Zufrieden ist er, wenn sich bei aller guter Unterhaltung ein Gedanke im Kopf der Zuschauer festhakt. Engagiertes Theater also? Etwas bewegen hin zum Besseren? Er sagt lieber: «Art for the art’s sake! Den tanzenden Körpern zuschauen, das ist genug, das ist einfach fantastisch. Da muss man nicht über Politik reden!» Wer sich auf Strømgrens Arbeiten einlässt, erlebt vieles gleichzeitig. Seine Performances zwischen Tanz und Theater sind unterhaltsam und oft witzig absurd.
Tanz 26: Hinter Türen
Premiere, Sa, 25.11., 19.30
Luzerner Theater
Vier Fragen an Jo Strømgren
«Ich liebe es, verborgene Dinge unter der Oberfläche aufzudecken»
kulturtipp: Der Titel Ihres neuen Stücks heisst «Hinter Türen». Sind Sie auf Überraschendes oder gar Dunkles gestossen?
Jo Strømgren: Ich habe keine Recherche betrieben und bin nicht in die Keller von Luzerner Wohnungen hinabgestiegen. Für mich ist dieses Bild ein Rahmen, in dem ich imaginieren und meine Meinung zur Schweiz und Europa äussern kann. Meine Spezialität ist es, etwas zu präsentieren, als handelte es sich um Fakten, letztlich aber ist es Erfindung, und diese kann durchaus wahr sein.
Aber Sie kennen Luzern und die Mentalität der Schweizer?
Ich hatte eine internationale Kindheit; ich war mit meinem Vater überall auf der Welt unterwegs. Dabei musste ich mich jeweils schnell integrieren und verstehen lernen, was die kulturelle Essenz eines Landes ist. Meine Augen, Nase und Ohren sind geschärft; ich bin nie als Tourist unterwegs. Ich liebe es, verborgene Dinge unter der Oberfläche aufzudecken.
Was mögen Sie und was finden Sie schwierig in Bezug auf die Schweiz?
Ich mag es nicht, auf der Bühne Dinge politisch direkt zu thematisieren. Aber wenn Sie mich persönlich fragen, habe ich Schwierigkeiten mit der Rolle der Schweiz in der Welt. Diese Haltung: Wir sind nicht Teil davon, wir waschen unsere Hände in Unschuld. Dabei ist die Schweiz doch in ziemlich viele Geschäfte involviert. In diesem Punkt haben Norweger und Schweizer gewisse Gemeinsamkeiten.
In der Probe habe ich beobachtet, dass der zeitgenössische Tanz im Stück selber zum Thema wird?
Wir stellen ein paar «stupide» Fragen über Luzern und die Schweiz. Und wir haben auch ein paar Fragen an uns selbst, zum zeitgenössischen Tanz. Das ist doch eine ziemlich lächerliche Kunstform, oder etwa nicht?!
Ich glaube an die Wirkung von Satire und Ironie.