Sie liebt schöne Kleider. Die Autorin Tansy E. Hoskins schenkt der Mode gar eine Liebeserklärung: «Modekreationen können inspirieren und umwerfend sein, und die Mode ist eine Kunstform, die unglaublich viel Können und Einsatz abverlangt.» Das ist für die Autorin die schöne Seite eines Phänomens, das ihr eigentlich zutiefst suspekt ist. «Mode legitimiert Macht und festigt die Vorstellung, dass diejenigen, die gerade ganz oben sind, auch dort bleiben sollten.»
Raffiniertes Instrument der Klassengesellschaft
Hoskins kritisiert in ihrem «antikapitalistischen» Modebuch den gesamten Produktionsprozess der Branche: von den ausgebeuteten Textilsklaven in der Dritten Welt, über die miesen Arbeitsbedingungen in Europa bis hin zur Scheinwelt der Modemagazine, die ihren Leserinnen eine fragwürdige Welt als erstrebenswert erscheinen lassen – mit krankhaft schlanken Models. Das alles ist schäbig und beklagenswert, aber nicht ganz neu.
Lesenswert ist Hoskins Buch, weil es neben der punktuellen Kritik die Modebranche in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stellt. Sie sieht die Branche als ein raffiniertes Instrument der Klassengesellschaft. Dabei beruft sie sich auf den marxistischen Literaturtheoretiker Terry Eagleton: «Am effizientesten ist der Unterdrücker, der seine Untergebenen dazu überredet, seine Macht zu lieben und zu begehren und sich mit ihr zu identifizieren», zitiert ihn Hoskins. Mit andern Worten: Die Mode ist aus dieser Sicht ein Herrschaftsinstrument, das vor allem die Frauen lieben, ohne zu erkennen, dass sie ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung dient.
«Tansy E. Hoskins’ Buch wird dazu führen, dass Sie Ihren Kleiderschrank mit anderen Augen betrachten», prophezeite eine Rezensentin in der britischen Wochenzeitung «The Observer». Sie liegt damit wohl gar nicht schlecht.
Buch
Tansy E. Hoskins
«Das antikapitalistische Buch der Mode»
319 Seiten
(Rotpunktverlag 2016).
8 Fragen an Tansy E. Hoskins
«Mode beruht auf Ungleichheit»
Buchautorin Tansy E. Hoskins erzählt über ihr zwiespältiges Verhältnis zur Mode, über das Bedürfnis des Menschen nach Schönheit. Und sie erklärt die Facetten eines Geschäfts, das Unheil anrichtet und dennoch für viele verlockend ist.
kulturtipp: Sie haben ein zwiespältiges Verhältnis zur Mode. Sie lieben und Sie hassen sie.
Tansy E. Hoskins: Mode fasziniert mich. Ich liebe die Kreativität, die dahintersteckt, und die Möglichkeiten der Mode, um die eigene Persönlichkeit auszudrücken. Aber das sollte für jeden möglich sein. Ich möchte, dass alle Menschen schöne Qualitätskleider tragen, die unter menschenwürdigen Bedingungen produziert werden und die Umwelt nicht belasten. Es besteht eine Spannung zwischen meiner Faszination an der Mode und meiner Kritik an der Industrie.
Wie stellen Sie sich das vor? Sie wollen günstige Kleider für alle haben, die teuer produziert werden.
Da setzt ja genau meine Kritik ein. Ich will eben nicht, dass sich nur Reiche Qualität leisten können. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Gesellschaft.
Es gab schon in prähistorischer Zeit gesellschaftliche Unterschiede bei der Garderobe, das hat nichts mit dem Kapitalismus zu tun.
Ja, die Mode beruht auf Ungleichheit. Die Reichen wollen sich von den Armen vorteilhaft abheben. Wenn immer
eine Modeströmung Mainstream wird, finden die Reichen was Neues anzuziehen.
Es ist doch ganz normal für Menschen, dass sie vorteilhafte Kleider tragen wollen.
Ja, einverstanden, es gibt ein Bedürfnis nach Schönheit, nach künstlerischer Entfaltung sogar. Aber das kann keine Entschuldigung dafür sein, wie krank die Modeindustrie geworden ist. Dahinter steckt der Kapitalismus mit seiner Profitgier.
Hinter der Mode steckt eine Genderfrage. Frauen beschäftigen sich viel intensiver mit ihrem Aussehen als Männer.
Ja, das individuelle Aussehen ist für Frauen eine viel grössere Belastung als für Männer. Die Gesellschaft legt Wert darauf, dass Frauen gut aussehen müssen. Ihre gesamte Kompetenz wird durch die Kleider geprägt; darum sind Frauen gezwungen, chic auszusehen. Aber für die Männer ist die Sache auch nicht gut gelaufen. Wenn einer sich mit seiner Kleidung was einfallen lässt, macht er sich lächerlich. Schauen Sie nur mal, wie sich Banker in ihren Anzügen durch den Sommer schwitzen müssen.
Wenige Männer kümmern sich wirklich um ihre Garderobe, aber jede Frau tut ihr Bestes.
Einverstanden, aber nur wenige Frauen können sich wirkliche Freiheiten leisten. Die Gesellschaft kontrolliert ihr Äusseres, mehr noch, Frauen kontrollieren sich gegenseitig. Das ist am schlimmsten.
Sie schreiben, die Mode absorbiere jede Kleiderrebellion. Warum sollte man in diesem Fall überhaupt gegen die Modeindustrie rebellieren?
Das kümmert junge Leute nicht, die wollen rebellieren, weil sie von der Gesellschaft genug haben, und das spiegelt sich in ihren Kleidern – eine kreative Auflehnung, die es immer geben wird. Das ist doch gut so, weil wir sehen, wie viele Formen der Kreativität existieren, und dass wir uns von den Modelabels in Mailand und Paris nichts vorschreiben lassen müssen.
Sie können die Modeindustrie nicht grundlegend verändern, ohne gleich den Kapitalismus abzuschaffen.
Das stimmt. Darum plädiere ich für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen in Verbindung mit kleinen Schritten, die zuerst zu besseren Arbeitsbedingungen in der Textilbranche führen.