Der Morgen
Um 06.20 hört man im Kürzestgefäss «100 Sekunden Wissen» knapp und bündig: Die Kathedrale Notre-Dame in Paris wird 850 Jahre alt. Man erfährt etwa, dass die Glocken während der Französischen Revolution zu Kanonen gegossen wurden. Eine Stunde später wird die Sendung wiederholt. Was eine «Bourdon» (tieftönige Glocke) ist, erfährt man nicht. Dafür: «Familienvater» (vom Lateinischen «pater familias») ist im Deutschen ein Pleonasmus. «Familienmutter» existiert nicht.
Nach der «Wissen»-Sendung wird ein anderes Wort erklärt: Fadisieren kommt vom Adjektiv fad. Gerne langweile man sich über die Festtage – «was Ihnen natürlich nicht passieren kann, wenn Sie SRF 2 Kultur hören». Man muss indes nicht zwingend Radio hören. Ein wiederholt eingespielter Hinweis empfiehlt: «Mehr Kultur erleben Sie online auf SRF 2 Kultur.» Der ständige Verweis auf den Internet-Auftritt von Radio SRF nervt mit der Zeit ganz schön. Das neue akustische Sender-Signet (Jingle) ist gewöhnungsbedürftig. Jedenfalls die laute, aufdringliche Version. Da stört es nicht, wenn es mal unfreiwillig nicht klappt – im Gegenteil.
Der Morgen ist hauptsächlich für die Musik reserviert. Die Stücke werden entweder kurz benannt oder neckisch in einen meteorologischen Zusammenhang gestellt: «Das Wetter tut so, als wäre April. Wir tun so, als wäre Sommer. Mit italienischen Klängen geht das ganz leicht.» Das «Gedicht am Morgen» ist erfreulich über-
raschend: Am Montag und am Dienstag wird mittelhochdeutsche Lyrik vorgelesen.
Bis 08.00 ist in den Nachrichten bzw. in «Heute Morgen» die Kultur (noch) kein Thema. Immerhin wird die Besprechung der Basler Verdi-Oper dazwischengeschaltet. Kulturnachrichten sind auch die Presseschauen in «Blick in die Feuilletons», mit Zitaten aus der «Frankfurter Allgemeinen» oder der «NZZ». (Urs Hangartner)
Der Vormittag
Die allmorgendlichen Buch-Tipps um 08.10 sind nur ein «Amuse-Buch»: Kaum haben sie angefangen, sind sie vorbei.
Gerne würde man mehr darüber erfahren, warum die erotischen Szenen in Anne Webers Roman «Tal der Herrlichkeiten» im Gegensatz zum Bestseller-Trivialroman «Shades of Grey» lohnenswertere Lektüre sind. In den knappen zwei Minuten mit Inhaltsangabe, Leseauszug und Bewertung ist das kaum möglich. Ein weiteres Kultur-Häppchen folgt mit der ausführlicheren Besprechung der Pfauen-Premiere von Maxim Gorkis «Kinder der Sonne». Sie fällt vertiefter aus
und gibt eine gute Vorstellung, warum das Stück sehenswert ist.
Bewährt haben sich die Sendungen «Kontext» und «Reflexe», die dem Publikum erhalten bleiben: «Kontext» berichtet etwa von Rheintaler Schürzennäherinnen, mit denen Alice Kriemler-Schoch 1922 ihr Modehaus «Akris» begründet hat. Lebendig und authentisch wird die Sendung dank den Einspielern, etwa Interviews mit den ehemaligen Näherinnen oder mit der Autorin.
Ein heisses Eisen fasst «Reflexe» an mit dem Thema «Was Rebranding bringt und was nicht». Das Gespräch mit Marketingspezialist Cary Steinmann beginnt harmlos. Erst in den letzten zehn Minuten geht es zur Sache, und Steinmann äussert sich kritisch zur neuen Marke SRF. «Repariere es nicht, ausser es ist kaputt – und weder bei SF noch bei DRS war etwas kaputt», meint er. Der Konsument wolle die Marke klar wiedererkennen: Eine gemeinsame Marke sei zwar für den Fachmann sinnvoll; diese müsse aber in den Herzen der Konsumenten ankommen. Besonders bei der Bezeichnung «Radio SRF 2 Kultur» zweifelt er, ob diese in die Umgangssprache übergehen wird. Fazit: «Zu kompliziert.»
In der Sendung «Literatur im Gespräch» diskutiert die Moderatorin mit zwei Gästen über Julian Barnes’ «Unbefugtes Betreten» und Don deLillos «Der Engel Esmeralda». Das Gespräch bietet zwar einen guten Einblick, fällt aber zahm aus. Auch wenn die Moderatorin mit gezielten Einwänden eine rege Diskussion zu entfachen versucht: Oft herrscht Einigkeit, und man würde sich eine kontroversere Diskussion wünschen.
Nach Programm läuft einiges noch nicht. Die angekündigten CD-Tipps fallen an beiden Tagen aus, dafür werden unangekündigte Kulturhäppchen ausgestrahlt. (Babina Cathomen)
Der Nachmittag
Wer um 12.10 Radio SRF 2 Kultur einschaltet, hat schon verloren – oder wenigstens ein bisschen. Die Sendung «Kultur kompakt», die auf diesen Zeitpunkt angesagt ist, hat längst begonnen. Nur heisst sie gemäss Moderation nicht, wie angekündigt «Kompakt», sondern «aktuell». Aber der Begriff Aktualität ist in dieser Sendung ohnehin weit gefächert. Eine Premierenbesprechung des Zürcher Schauspielhauses und die Rezension der Basler Verdi-Oper sind tatsächlich frisch, auch wenn sie am Morgen schon zu hören waren. Ebenso überzeugt ein Hintergrundbericht über den Bauskandal rund um die Elbphilharmonie in Hamburg.
Ein Erinnerungsbeitrag an den ersten Todestag des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel zeugt eher von einem latenten Aktualitätsverständnis. Auch die Berichterstattung über die Internet-Konferenz der ITU war nicht neu. Man hat darüber schon viel gelesen und im «Echo der Zeit» gehört.
Nach der Kulturberichterstattung kommt das Informationsmagazin «Rendezvous». Nach einer halben Stunde schaltet SRF 2 Kultur weg. Das ist schade, etwa wenn das Tagesgespräch im «Rendezvous» über das Kino-Zutrittsalter angesagt ist. Das wäre ein klassisches Radio-DRS-2-Thema gewesen, doch das «Tagesgespräch» geht beim Radio SRF 1 um 13.03 über den Sender. Und bei Radio SRF 2 Kultur kommt um diese Zeit das Wunschprogramm «Klassiktelefon» – basta.
Nach dem Concerto gibts am Nachmittag wieder Wortbeiträge. Sehr schön die vorgelesenen Reiseerinnerungen der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach an Afghanistan und den Kongo. Weniger schön der «Kultur-Stammtisch» (von Radio SRF News), mit einer Diskussion über die Bestsellerlisten im Buchverkauf. Der arme Moderator kann einem leidtun, denn seine beiden Gesprächsteilnehmer ignorieren seine Fragen geflissentlich. Statt Antworten geben sie irgendwelche Gedanken von sich – eine Art literarisches Brainstorming. Da erholen sich die Zuhörer gerne bei der folgenden Einlage des Pianisten Eric Le Sage. Dieser ist zwar in der Programmvorschau wie vieles andere nicht angesagt, aber trotzdem entspannend. (Rolf Hürzeler)
Der Vorabend und der Abend
«Der Nachmittag rutscht langsam in den Abend», heisst es kurz vor den 16-Uhr-Nachrichten. Ein fast schon poetisch klingender Hinweis darauf, dass der «Vorabend» auf SRF 2 Kultur nun eine Stunde früher beginnt. Als Ausdehnung des «entspannenden ‹Apéro›-Mood», wie Radio SRF-2-Kultur-Chefin Franziska Baetcke im Interview mit dem kulturtipp erklärte (siehe "Wir haben ein Abenteuer vor uns" in kulturtipp 21/2012).
Laut Programmraster auf der neuen SRF-Website beginnt der Vorabend zwar nach wie vor um 17.00. Dort wird für 16.30 auch die neue Sendung «Kultur weltweit» angekündigt, die on air aber vom sanften Swing der «Apéro»-Stammgäste Nancy Wilson oder Hank Jones überspielt wird. Wobei – halt: Die Sendung «Apéro» gibts ja gar nicht mehr! Oder doch? Einen Sendetitel erwartet man von der Moderatorin zwar vergeblich: Doch von 16.00 bis 18.30 dominiert noch immer Smoothjazz, programmiert von der Jazzredaktion und mit dem CD-Tipp zu Geoffrey Keezer oder Helga Plankensteiner gegen Ende. Die von SRF angekündigten stilistischen Ausflüge in Richtung Weltmusik, Singer-Songwriter und Blues be-schränken sich vorderhand auf zögerliche, ein bis zwei Blues- oder Funkstücke – etwa von Grenzgängerin Joni Mitchell.
17.06: Nach den Nachrichten kündigt ein Jingle die Sendung «SRF 2 Kultur aktuell» an, die im offiziellen Programm nirgends zu finden ist. Verwirrt ist nicht nur der Zuhörer, die Moderatorin tappt bei der wiederholenden Begrüssung nach dem ersten Jazzstück prompt in die Falle: «Sie hören DRS 2 aktuell …» Apropos Wiederholungen: Alle längeren Wort-Beiträge des Vorabends – zur Opernpremière in Basel, zur Hamburger Elbphilharmonie oder zum Architekten Max Dudler – waren am selben Tag schon mehrmals zu hören. Das mag verständlich sein. Aber geradezu enervierend sind die zahlreichen, abrupt und ohne Ankündigung eingestreuten Kürzestbeiträge etwa zum Tag der Migranten, zu Vaclav Havels Hochwasserhosen oder der Kunst des Rebrandings. Alle entpuppen sich als Trailer, also Hinweise auf spätere Sendungen, stets mit dem Zusatz versehen: «Mehr dazu finden Sie auf www.srf.ch».
Fazit: Der «neue Vorabend» klingt erfreulich nach bisherigem «Apéro», kommt aber um etliches unruhiger und verwirrlicher daher. Wünschenswert wäre, zumindest die Moderierenden wüssten, in welcher Sendung sie sich gerade befinden. Dies ist bei den Abendsendungen ausnahmslos der Fall, sind es doch dieselben wie bis anhin, wenn zuweilen auch leicht umbenannt. (Frank von Niederhäusern)