In diesem schönen Monat März hätte ich eine Italien-Lesereise bestreiten müssen: Milano, Torino, Verona, Venezia, Padova, Bologna, Piacenza, Parma. Cecilia, meine italienische Verlegerin, hatte die Lesereise recht kurzfristig eingeplant, mit der elanvollen Spontaneität, die man zum Gelingen eines solchen Unterfangens auf jeden Fall benötigt. Ausser den Veranstaltungsorten hatte sie auch die Interview- und Buchhändler-Termine in den Reiseplan eingetragen, ja sogar die Lokale, in denen ich hätte gut essen können, sowie die Hotels, zu denen sie je eine Notiz anfertigte in der Art von: liegt gegenüber des Balkons von La Casa di Giulietta, unten findet sich eine gute Pasticceria.
Die illusorische Idee von Stillstand
Als das Corona-Virus Norditalien erfasste, sagte meine Verlegerin, wir sollten alles auf den April verschieben. Unmöglich, sagte ich, im April habe ich Lesungen in der Schweiz und in Deutschland, schon vor mehr als einem Jahr fixiert. Wir überlegten also, die Reise in den Spätsommer zu verlegen – oder in den Herbst… Nun haben wir die Lesereise erst einmal ganz ruhen lassen.
Seit mein Mann und ich mit unseren beiden Kindern das Haus kaum mehr verlassen und uns an die Quarantäne-Regeln des Bundesrates halten, bin ich jeden Tag dabei, Mails zu abgesagten Veranstaltungen zu beantworten. Alles wird auf den Herbst verschoben… Aber da sollte ich ja nach Italien fahren!
Am Wochenende vor der Schweizer Quarantäne war ich noch in der Zentralbibliothek und habe mehr als 40 Romane und Erzählbände ausgeliehen, während mein Mann einen Grossteil unserer Bücher-Gutscheine von den Buchhandlungen, in denen wir gelesen haben, für die Neuerscheinungen dieses Frühlings eingelöst hat. Wäre die Nachrichtenlage nicht so dramatisch gewesen, hätte ich mir fast schon ein bisschen Freude über die anstehende Häuslichkeit eingestanden.
«Dann gehe ich mich also mit einem Buch langweilen», sagen die Frauen bei Tschechow. Ein wohlklingender Satz! Fast meine ich, die weiche Stimme zu hören, die ihn ausspricht, den herablassenden Gestus bei doch grosser Demut. Endlich diesen Satz zu zitieren, war mein Vorsatz für die Quarantäne. Doch welch ein gedanklicher Fehlgriff ist diese Vorstellung von Stillstand! Ist doch die Quarantäne für Eltern randvoll mit Homeschooling, Turnen und Rennen durch den Wald. Ich staune über die vielen Anleitungen in den Medien, was man noch alles mit den Kindern unternehmen könnte, damit keine Langeweile aufkommt. Aber wieso nur sollen sich die Kinder nicht langweilen dürfen? Weshalb muss man sie immerzu bespielen und ihnen das wohlige Gefühl nehmen, sie hätten viel Zeit für was immer ihnen auch einfällt zu tun? Für Theaterspiele, Streiche, Basteln und fürs Lesen von Büchern, von denen sie anfangs überfordert sind.
In Gedanken bei den Flüchtlingskindern
Seit wir in Quarantäne sind, denke ich immer öfter an Menschen in Kriegsländern und anderen Konfliktzonen. Eine syrische Autorenkollegin erzählte mir einmal, wie sie mit Mann und Kindern monatelang in ihrer Wohnung ausharrte, aus Angst vor Gasangriffen und Heckenschützen. Eines Tages aber, als das Nachbarhaus zerbombt wurde, konnte sie ihre Kinder nicht mehr zurückhalten. Sie stiessen sie um und rannten hinaus, mit Gejauchze: Das eingefallene Dach war nun schief wie eine Rutsche. Alle Kinder der Nachbarschaft spielten darauf.
«Kinder denken nur ans Spielen», schloss die Kollegin. Und da muss ich auch an die Bilder von Kindern in den griechischen Flüchtlingscamps denken: In viel zu grossen Plastikschlappen, sie haben die Krätze und Eltern, die an Depressionen leiden, aber sie lachen übers ganze Gesicht bei einem Spiel mit leeren Konservendosen.
Unsere Kinder haben sich neulich einen weichen Ball gebastelt, der bis zur Decke hüpft und am Anfang verdächtig stark nach meiner liebsten Gesichtscreme gerochen hat. Was wohl alles hineingemischt wurde in diesen Ball? Während ich dies schreibe, höre ich, wie er gegen Türen und Wände prallt.
Tagsüber komme ich nicht zum Schreiben – Mails und auch diesen Text schreibe ich am Küchentisch und muss wegen diverser Unterbrechungen, Fragen zu den Ufzgi, Schlichtung von Streitigkeiten, Verteilen von Kaugummis und der Anweisung, mit besagtem Ball auf ihr Zimmer zu gehen, immer neu ansetzen. An meinem neuen Roman schreibe ich nur noch nachts. Es wird daher passend zur Schreibzeit ein Dracula-Roman werden, ein klassischer, mit Corona-Fledermäusen, rücksichtslosen Akteuren, aber auch mit rücksichtsvollen.
Buchhändler schwingen sich mit Paketen aufs Rad
Wie die Verlagslandschaft aussehen wird im kommenden Jahr, wenn mein Buch herauskommen soll, ist schwer vorauszusagen. Der Buchverkauf stagniere, heisst es in alarmistischen Kultursendungen. Statt Bücher zu lesen in der Quarantäne, würden die Leute alle paar Stunden Corona-Nachrichten konsumieren und auf Social Media ihre Zeit verschwenden. Doch sehe ich auf Social Media auch Videos von Buchhändlern, die sich mit hohen Buchstapeln aufs Rad schwingen, um den Bestellungen ihrer Kunden nachzukommen: meine Freunde von der Buchhandlung am Hottingerplatz, von der Buchhandlung im Volkshaus und von der Buchhandlung «Zum Mittelmeer und mehr».
Und auch mein Mann und ich machen alle paar Tage ein Buchpaket bereit… Dabei ist unser Telegramme-Verlag, den wir aus reinster Liebhaberei und Freude über das freie Wort betreiben, winzig, wir führen ihn zu zweit, machen praktisch keine Werbung dafür.
«Wir freuen uns über die Leser da draussen»
«Die Hochzeit auf Buchenhorst» von Gerhart Hauptmann ist seit der Quarantäne gänzlich ausverkauft. Perikles’ Berlinroman «Palladium» und die zweite Auflage meiner Aufsatzsammlung «Über Empathie» bald auch, und «Arthur Aronymus» von Else Lasker-Schüler wird ebenfalls gern bestellt. Ein finanzieller Zustupf ist unser Verlag bei Weitem nicht. Er kann uns nicht über die Einbussen abgesagter Lesungen helfen, aber wir freuen uns, dass es da draussen glückliche Leute gibt, die sich mit einem Buch langweilen wollen.
Dana Grigorcea
Geboren 1979 in Bukarest, hat Dana Grigorcea Germanistik und Niederlandistik studiert, später Theaterregie und Journalismus. Sie schreibt Romane, Novellen, Essays und Kinderbücher. Zuletzt erschienen sind «Über Empathie» (Telegramme 2019) und «Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen» (Dörlemann 2018). Seit 2007 lebt Grigorcea mit ihrem Mann, dem Autor Perikles Monioudis, und zwei Kindern in Zürich.