Unerwartetes Liebesglück im Dezember 1941. In einer beschaulichen Gegend inmitten von Reiheneinfamilienhäusern in Ost-Baltimore trifft die quirlige Pauline in einem kleinen Lebensmittelladen auf den scheuen Michael, den Sohn des Ladenbesitzers. Er verarztet die hübsche, junge Frau, die sich beim Absprung vom Tram verletzt hat. Und verliebt sich auf der Stelle.
Pauline ist begeistert vom Tohuwabohu im Zentrum der Stadt. Dort ziehen gerade junge Männer durch die Strassen, die sich freiwillig für den Kriegsdienst gemeldet haben. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor und der Kriegserklärung der USA an Japan sind Helden gefragt. Auch Michael meldet sich – gedrängt von seiner Angebeteten. Noch im Ausbildungslager verletzt er sich, kehrt nach Hause zurück und heiratet Pauline.
Mit tragischer Komik
Abnützungserscheinungen des jungen Glücks stellen sich bald ein. Die unterschiedlichen Charaktere der beiden prallen aufeinander, der Familienalltag tut das Übrige dazu. Und mit den Kindern wird die Einheit der Eltern auf eine harte Probe gestellt. Und hält ihr nicht stand.
Der Roman «Im Krieg und in der Liebe» ist kein trauriges Buch. Wie in ihren früheren Werken, beschäftigt sich die US-Schriftstellerin Anne Tyler mit der Familie und Beziehungen. Sie schildert das unaufgeregt aufgeregte Leben eines Paares des amerikanischen Mittelstandes.
Fein und leise beschreibt sie Verhalten, Gefühle und Eigenheiten ihrer Protagonisten mit viel tragischer Komik. Sie versteht es meisterhaft, die Spannung im Beziehungsleben aufzuzeigen, die kleinen Verletzungen schwären zu lassen, als ob der Leser sie persönlich erfahren würde.
So beschönigt etwa Pauline nach Zeiten des Kampfes ihre Ehe: «Was ist schon dabei, wenn wir uns ein wenig streiten. Das beweist doch nur, dass wir eine sehr erfüllte Ehe führen, eine Ehe voller Schwung und Leidenschaft. Ich finde, es war auch eine lustige Ehe!»
Doch für einmal spricht ihr Mann Michael nach Jahren des Schweigens Klartext: «Es war nicht lustig… Es war die Hölle.» Pauline glaubte, sich verhört zu haben.
Leben in Isolation
Die 1941 geborene Anne Tyler gilt als eine der erfolgreichsten Autorinnen der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur. Ihre eigene Geschichte beginnt ungewöhnlich und erklärt wohl die wiederkehrende Grundthematik in ihren Büchern. Die Eltern sind Pazifisten und schliessen sich nach dem Zweiten Weltkrieg den Quäkern an – einer Religionsgemeinschaft, die Luxus verachtet. Die Familie zieht in die Berge nach North Carolina. Dort lebt sie ihre Utopie in einer Art Kommune aus. Annes Vater, ein Chemiker, arbeitet für 500 Dollar im Ziegenstall. Ihre Mutter, eine Sozialarbeiterin, unterrichtet die drei Kinder zu Hause. Elf Jahre alt ist Anne, als die Familie in eine Stadt zieht und Anne eine richtige Schule besuchen kann. Die entbehrungsreichen Jahre und die Isolation haben die Autorin geprägt. Mit 23 Jahren erscheint ihr erster Roman. Inzwischen hat sie 19 Bücher geschrieben.
Aus ihrer Isolation scheint Tyler nie richtig herausgefunden zu haben. Sie lebt zurückgezogen in Baltimore. Für den Roman «Atemübungen» erhielt sie 1989 den Pulitzer-Preis. Kein & Aber hat nun ihre beiden Werke «Im Krieg und in der Liebe» sowie «Dinner im Restaurant Heimweh» neu aufgelegt.
Anne Tyler
«Im Krieg und in der Liebe»
Deutsche Erstausgabe: 2004
2014 neu aufgelegt bei Kein & Aber.