Ach, Olaf, wäre sie nur irgendwann einfacher zu beantworten, die Frage, wo man hingehört in dieser Welt. Jeden beschäftigt sie einmal im Leben – manche ein Leben lang. Der Teenager Olaf, Protagonist von «Totsch», stellt sie sich an der zentralen Stelle des Jugendromans; eben hat er sich gegenüber seinem Freund Jannick als homosexuell geoutet.
Olafs Schöpfer hat in einem Café in Aarau an einem Hochtisch Platz genommen: Sunil Mann. Grosse Fenster geben hier den Blick frei auf die Strasse, auf Ströme von Autos und Passanten, die nie abzubrechen scheinen. Man sieht, weshalb der Schriftsteller gerne hier ist. Es ist ein Ort, wie gemacht fürs Nichtstun und Rausschauen und Nachdenken.
Krimi-Fans ist Sunil Mann als Vater des indischstämmigen Privatdetektivs Vijay Kumar bekannt. In sieben Fällen schickte er den Whiskey trinkenden und sarkastischen Schnüffler auf Ermittlungstour vom Zürcher Kreis Cheib bis an die Goldküste und weiter. Und liess ihn dabei über die Eigenheiten der Schweizer und die eigene Identität nachdenken. Für «Fangschuss», den ersten Roman der Reihe, wurde Mann 2011 mit dem Zürcher Krimipreis ausgezeichnet.
Ein-, zweimal an diesem Morgen dreht sich das Gespräch noch um Vijay Kumar. Selbstkritisch, vor allem aber selbstironisch, spricht Sunil Mann über seine ersten Romane und über den Druck, der so eine Krimi-Reihe für einen Schriftsteller bedeuten kann. «Als Krimi-Autor stecke ich in einer Schublade – aber ich bin kein Fan von Schubladen.» Umso spannender sei deshalb die Herausforderung eines Jugendromans gewesen, so der 47-Jährige. «Totsch» habe ihn aus dem üblichen Schreibmodus geholt. Weil sich das Buch an Jugendliche mit Leseschwäche richtet, musste Mann einfach schreiben und doch einen Spannungsbogen aufbauen. Gleichzeitig sollte er die passende Sprache für seine Protagonisten finden: «Die Fallhöhe ist sehr gross. Jugendliche merken sofort, wenn ein Autor versucht, sich mit Slang-Wörtern anzubiedern.»
«Totsch» ist vielschichtig geworden. Lange etwa bleibt offen, wer da eigentlich erzählt; wer sich in den gut aussehenden Jannick verknallt hat. Sunil Mann suchte diese Ambivalenz bewusst: «Es kommt weder auf das Geschlecht noch auf die sexuelle Ausrichtung an – die Selbstfindung ist für alle schwierig.» Auch Olafs Coming-out reiht sich lediglich ein zwischen Themen wie Stunk in der Lehre und zerstrittene Eltern. Er habe versucht, die Gewichtung auf Tragik zu vermeiden, die man in anderen Jugendromanen zum Thema Coming-out finde. «Olaf sollte kein Opfer sein.» Das ist er tatsächlich nicht geworden. Sunil Manns Protagonist erscheint erfrischend abgeklärt. Kein schlechtes Vorbild – egal welcher sexuellen Ausrichtung, egal welchen Alters.
Buch
Sunil Mann
Totsch
60 Seiten
(Da Bux 2019)
Sunil Manns Kulturtipps
Buch
Simone Lappert: Der Sprung
(Diogenes 2019)
«Es macht mich immer etwas misstrauisch, wenn das helvetische Feuilleton unisono Lobeshymnen raushaut. Im Fall von Simone Lapperts zweitem Roman ist die Begeisterung aber tatsächlich gerechtfertigt.»
Ausstellung
Maske. In der Kunst der Gegenwart
Aargauer Kunsthaus
«36 Künstlerinnen und Künstler nehmen sich dem Thema in unterschiedlichen Medien an. Das ergibt eine beeindruckende Vielfalt und ist brandaktuell.»
Serie
Mindhunter (Netflix 2019)
«Verwaschene 70er-Jahre-Ästhetik und gemächliches Erzähltempo gibt es auch in der zweiten Staffel dieser US-amerikanischen Thriller-Serie. Die schrecklichsten Bilder entstehen erst einmal im Kopf.»