Eine Allrounderin von unprätentiöser Grandezza? Ein Ausnahmetalent mit internationaler Ausstrahlung? Um das Wesen und Werk von Deleila Piasko zu beschreiben, findet man nur unzureichende Worte. Denn die Schweizer Schauspielerin hat mit 31 Jahren schon mehr erreicht als andere in einem ganzen Leben. Besser, man schaut sich deshalb die aktuelle Netflix-Serie «Transatlantic» an, wo sie als österreichische Flüchtlingshelferin Lisa Fittko, nun ja, erstmal einen verhaltenen, um nicht zu sagen scheuen Eindruck hinterlässt.
Doch ein Blick in Piaskos Gesicht genügt, und man erkennt eine Strenge, eine Introvertiertheit, eine Kraft. Vor allem aber sieht man jene Überzeugung, die diese historisch verbürgte Figur beflügelt hat, Flüchtlingen des Naziregimes 1940 in Marseille zu helfen, via versteckten Fusspfad über die Pyrenäen ins sichere Spanien zu gelangen.
«Die Figur erinnert mich an meine Grossmutter»
«Diese Selbstverständlichkeit, dass man Menschen in der Not hilft und nicht einfach wegrennt, hat mich an dieser Figur enorm beeindruckt», sagt Piasko, die sich zum Videointerview aus Berlin zugeschaltet hat. «Wobei mich Fittkos Ernsthaftigkeit und Humor stark an meine eigene Grossmutter erinnerten. Ganz zu schweigen von diesem unbedingten Willen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen …»
Piasko, 1991 als Tochter eines Physikers und einer Tänzerin in der Schweiz geboren, zog es früh in die Welt hinaus: «Als 20-Jährige war der Drang bei mir sehr stark, andere Städte und Kulturen kennenzulernen.» An der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin wurde sie auf Anhieb aufgenommen; bei den anfänglichen Improvisationsseminaren habe sie dann allerdings nur nonverbal gespielt. «Damit man meinen schweizerdeutschen Akzent nicht hört, für den ich mich damals geschämt habe.»
Im Burgtheater Wien gabs Standing Ovations
Nach dem Studienabschluss kommt die Karriere indes blitzschnell in Fahrt: Bereits 2016 wird Piasko als Ensemblemitglied am Konzert Theater Bern verpflichtet, ein Jahr später wechselt sie ans Staatsschauspiel Dresden. «Es war nicht immer einfach, in eine neue Stadt zu ziehen und sich eine Existenz aufzubauen », sagt die Schauspielerin rückblickend. «Aber wichtig ist für mich, mit kreativen Leuten zu arbeiten, die ähnliche Fantasien verfolgen wie ich. Das bedeutet für mich auch Heimat.»
Einer, der das ebenfalls erkannt hat, ist der österreichische Theaterdirektor Martin Kusej, der Piasko 2019 in den Olymp der deutschsprachigen Bühnen holt – ins Ensemble des Burgtheaters in Wien. Gleich fürs erste Stück «Die Vögel», eine Familiensaga, gibt es Standing Ovations (keine Selbstverständlichkeit in Wien), während die Presse Piasko als «Schweizer Penélope Cruz» feiert.
«Ein schönes Kompliment, klar», sagt Piasko, wenn man sie darauf anspricht, aber sie sehe sich in erster Linie als sich selbst. Und sie ist mit einer bemerkenswerten Selbstbestimmtheit und Reife unterwegs, wenn sie erklärt, dass sie sich aktuell ganz auf Filme und Serien konzentrieren wolle. «Was nicht heisst, dass meine Liebe zum Theater erkaltet wäre. Aber manchmal geht eben nicht beides, und dann muss man sich entscheiden.» So kam es, dass Piasko von Wien zurück nach Berlin zog, als sie das Rollenangebot zu «Transatlantic» erhielt.
«Ich wollte diese Lisa Fittko unbedingt spielen und mit Anna Winger arbeiten.» Winger ist jene in Berlin lebende USAutorin, die in ihrer ebenso hochgelobten wie kontrovers diskutierten Miniserie «Unorthodox » (2020) eine junge Jüdin in den Mittelpunkt stellte, die sich aus einem ultrareligiösen Umfeld freiboxen muss. Als Showrunnerin von «Transatlantic » hat Winger nun abermals ein faszinierendes Panorama einer zusammengeschweissten Gesellschaft entworfen – mit einem Mix aus realen Figuren und fiktiven Anekdoten. Wobei man am meisten staunt, wie mühelos diese farbpralle Postkartenlandschaft an der Côte d’Azur mit Flüchtlingsschicksalen und komödiantischen Momenten zusammengeht.
Wilde Partys in apokalyptischen Zeiten
Eine Art «Nightmare in Paradise »-Feeling habe sie kreieren wollen, sagt Winger. Und mit Lisa Fittko hat sie da eine Figur, die zwar von ihrer Rettungsmission überzeugt ist, sich aber gleichzeitig von der überbordenden Lebenslust der Künstlergruppe um Max Ernst und André Breton mitreissen lässt. Eine Party im Angesicht des Grauens? «Das Dilemma von Fittko ist, dass sie einerseits eine Macherin ist, die sich für Leute einsetzt», sagt Piasko. «Andererseits scheint sie sich permanent die Frage zu stellen: Wie kann ich auch mal loslassen? Und wann darf ich tanzen in diesen apokalyptischen Zeiten?»
Streamtipps mit Schweizer Beteiligung
Film: Naomi Krauss in «Faraway»
Wer gerne «Tatort» schaut, kennt ihr Gesicht, aber dass Naomi Krauss Schweizerin ist, wissen nur wenige. In der Netflix-Romcom «Faraway» glänzt die in Berlin wohnhafte Schauspielerin nun als unglückliche türkischstämmige Ehefrau, die von ihrer verstorbenen Mutter ein Häuschen auf einer kroatischen Insel erbt. Und die dort ihren schnarchenden Gatten quasi gegen einen schnarchenden Untermieter tauscht. Zusammen trinkt man dann gerne einen über den Durst und kräht auf dem Heimweg «99 Luftballons» in die Nacht. Ein so sonderbares wie melancholisches Bijou.
Serie: Anne Haug in «Luden»
Sie tritt zwar erst in Folge 3 auf, bringt dann aber als Gespielin eines Schlägers so richtig Pfeffer in die Serie auf Amazon Prime Video: Anne Haug aus dem Ensemble des Theaters Basel spielt die (fast) einzig wahre Verführerin in dieser Rotlicht-Reminiszenz an die Hamburger Reeperbahn der 80er-Jahre. Eine herrlich unaufgeräumte Geschichte voller Verlebt- und Verderbtheiten.
Film: Michael Schertenleib in «Buba»
Ilir heisst dieser angeblich albanische Kleinganove, der öfter mal ein meckerndes Lachen absondert – und dessen Darsteller aus der Schweiz kommt: Der Zürcher Michael Schertenleib hat sich in der Serie «How to Sell Drugs Online (Fast)» zu einer der einprägsamsten Nebenfiguren hochgespielt – und auch im filmischen Spin-off «Buba» auf Netflix hat er nun wieder ein paar wunderbar schmierige Momente.