Am Anfang zoomt das Autorenduo Schünemann & Volic in seinem Krimi «Pfingstrosenrot» auf ein altes serbisches Ehepaar: Milos und Ljubinka. Voller Hoffnung waren sie im Rahmen des von der EU finanzierten Rückkehr-Programms nach 15 Jahren vom Flüchtlingsheim in Belgrad in ihre alte Heimat im Kosovo zurückgekehrt. Dort schlägt ihnen von der Bevölkerung aber mehrheitlich Hass entgegen, und das versprochene Haus entpuppt sich als Bruchbude. Eines Abends sehen sie bei ihrer Rückkehr aus dem Dorf einen Schatten an der Wand. Tage später findet die Polizei das alte Ehepaar tot vor – ermordet mit zwei Kopfschüssen.
Das ist der neue Fall für die Kriminologin Milena Lukin, die als alleinerziehende Mutter in Belgrad lebt und bereits im ersten Krimi «Kornblumenblau» mit Herz und Verstand ermittelte. Ihr Onkel erkennt in der Zeitung das Bild seiner alten Jugendliebe Ljubinka und ist entsetzt über deren Schicksal. Während die Behörden den Fall bald ad acta legen, gräbt Milena tiefer und lässt ihre Beziehungen spielen. Bald ahnt sie, dass der Mord wenig mit dem ethnischen Konflikt zwischen Kosovo-Albanern und Serben zusammenhängt. Dafür umso mehr mit Korruption, Vetternwirtschaft und Skrupellosigkeit in höheren Kreisen. Aus Belgrad reist sie an den Ort des Geschehens nach Kosovo – ein gefährliches Unterfangen für die Serbin.
Der Roman des deutschen Krimiautors Christian Schünemann und der serbischen Germanistin Jelena Volic basiert auf einem wahren Verbrechen, das nie geklärt wurde. Im Gegensatz zur Realität verfolgt Milena Lukin die Spur hartnäckig, die durch alle Kreise und Nationalitäten führt. Das Autorenduo lässt tief blicken in die Zerrissenheit des Balkans, die scheinbar unüberwindbaren Gräben seit den Jugoslawien-Kriegen in den 90ern. Eindrücklich zeigen die Autoren die Spannungen zwischen den kriegsgeprägten Bevölkerungsgruppen, die gegenseitigen Hass-Gefühle und Vorurteile zwischen Kosovo-Albanern und Serben. Aber auch die Orte der Menschlichkeit – mittendrin Milena Lukin, die beherzt eingreift.
Der Roman kommt fast ohne blutige Details aus und gibt einen subtilen Einblick in die Politik sowie Gesellschaft des Balkans: Das ist intelligente Unterhaltung, packend geschrieben und in Zeiten von überall aufkeimendem Nationalismus brisanter denn je.
Lesung mit Christian Schünemann
Sa, 23.7., 20.00 Tellenhaus Ernen VS
Schünemann & Volic
«Pfingstrosenrot»
368 Seiten
(Diogenes 2016).
Mafia, Amore und Pasta alle vongole
Der sizilianische Commissario Montalbano im Krimi «Das Labyrinth der Spiegel» ist ein Geniesser: Er liebt das köstliche Essen und den Wein seiner Heimat; die Arancini oder die Pasta alle vongole lässt er sich am liebsten von seiner patenten Haushälterin Adelina oder dem Wirt Enzo zubereiten. Zudem hat er ein Flair für schöne Frauen, die dem mit seinem Alter hadernden Commissario überall ins Auge stechen, auch wenn er eigentlich verlobt ist. Allen voran seine neu zugezogene, geheimnisvolle Nachbarin Liliana, die ihm eindeutige Avancen macht.
Falsche Fährten
Doch dahinter steckt mehr als sein unwiderstehlicher Charme, stellt Montalbano bald fest. Er ermittelt in der (fiktiven) Küstenstadt Vigàta im Fall eines Bombenattentats auf eine leer stehende Lagerhalle. Zuerst lässt er sich von den falschen Fährten wie im titelgebenden Spiegel-Labyrinth verwirren. Doch nach und nach kristallisieren sich Zusammenhänge mit der Mafia heraus – und auch seine heissblütige Nachbarin scheint ein falsches Spiel zu treiben.
Der 90-jährige sizilianische Bestseller-Autor Andrea Camilleri wartet im 18. Fall von Commissario Montalbano mit seinen bewährten Zutaten auf: eine spannende Handlung im von der Mafia geprägten Sizilien, ein paar Seitenhiebe auf die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, das altbekannte Figuren-Repertoire, witzige Dialoge und eine kräftige Prise mediterrane Lebenslust. Wer sich an den Macho-Allüren des – immerhin mit Selbstironie ausgestatteten – Commissarios nicht stört, den erwartet eine süffige Strand-Lektüre.
Andrea Camilleri
«Das Labyrinth der Spiegel»
256 Seiten
(Bastei Lübbe 2016).
Türkischer Flirt
Die in Istanbul lebende Autorin Esmahan Aykol wird dieser Tage oft zu den terroristischen Anschlägen und zu den Verhältnissen in ihrer Heimat befragt. Ihre Krimis widerspiegeln teilweise die gesellschaftlichen Zustände, etwa die Stellung der Frau. Die Hauptfigur Kati Hirschel, welche die einzige Krimi-Buchhandlung in Istanbul betreibt, hat deutsch-jüdische Wurzeln und sieht deshalb das türkische Leben immer aus zwei Blickwinkeln.
Vor allem aber sind Aykols Romane ein amüsantes und kurzweiliges Lese-Vergnügen: Im fünften Krimi «Istanbul Tango» ist die Amateur-Detektivin Kati Hirschel auf der Suche nach einem Liebhaber – sowie nach packender Krimilektüre. Und auch im echten Leben lässt die Spannung nicht lange auf sich warten: Als eine Bekannte, die Modejournalistin und Tangotänzerin Nil, unter mysteriösen Umständen ins Koma fällt, wird Katis detektivische Ader geweckt.
Auf unverblümte Art
Mit Unterstützung ihrer beiden Angestellten und Nils Bruder forscht sie in deren Umfeld nach und entdeckt bald, dass die junge Journalistin einige Liebhaber hatte. Zudem hat die Tangotänzerin offenbar an einem Roman geschrieben, der in Argentinien spielt und mit seinem politisch brisanten Inhalt anecken könnte.
Dass Kati bei ihren Ermittlungen ein Auge auf den leicht verschrobenen Nachbarn wirft, macht die Aufklärung nicht einfacher. Und gegen Ende fürchtet sie gar um ihre Sicherheit: «Vielleicht sollte ich meine Nase wirklich nicht überall hineinstecken. Ich durfte nicht zu weit gehen. Wenn ich die Grenzen überschritt, würde man sie mir aufzeigen», sagt sie sich und erinnert sich an die vielen Menschen in der Türkei, deren Telefonate vom Staat abgehört werden.
Mit Humor und ihrer unverblümten Art kommt Kati dem Rätsel auf die Spur. Manchmal verlässt sie sich allerdings allzu sehr auf ihre Intuition, um dann selbstkritisch festzustellen, dass der Schuss nach hinten losgegangen ist. Und auch ihr Liebesleben scheint aus dem Dornröschenschlaf erwacht zu sein – wie es mit dem schrulligen Historiker und der resoluten Buchhändlerin weitergeht, erfahren die Leserinnen im nächsten Roman. «Istanbul Tango» ist ein witziger Krimi im locker-leichten Tonfall. Und immer nahe dran an der Leserin, welche die Autorin oft direkt anspricht oder gar um Rat fragt.
Esmahan Aykol
«Istanbul Tango»
336 Seiten
(Diogenes 2016).