Ein weiches Plätzchen unter einem Baum, verträumt in die Wolken gucken und träge das Treiben der Kühe verfolgen: Das ist für den jungen Ich-Erzähler in Urs Schaubs neuem Buch das Grösste. «Kühe hüten ist ein durch und durch verantwortungsvolles Nichtstun.» Ein Nichtstun, in dem «die Zeit wie süsser Honig fliesst und es keine Fragen mehr gibt». Einen besonderen Reiz bekommt die behagliche «Arbeit», als ihm seine ältere Cousine Gesellschaft leistet: das Vreneli mit den schwarzen Zöpfen und den blauen Augen, von denen ihm schwindelt. Die beiden tauchen ab in kindliche Fantasie-Welten. Vreneli wird Klein-Urs’ erste Liebe – eine unerfüllte freilich.
Den Hof teilt der Bub mit seiner Grossmutter, die eine magische, stets volle Biskuitdose besitzt, seinem geschichtenerzählenden Grossvater, den sanften Tanten und seinem Onkel, der im Zimmer jeweils heimlich eine ganze Schachtel Crèmeschnitten verdrückt. Nicht zu vergessen der Knecht «Müsli», der arbeitswillig und kräftig ist, aber geistig in einer anderen Welt lebt.
Würziger Kuhduft
Vom Mosten über das Pferdelenken bis zur Mäusejagd: Der Bub hilft überall eifrig mit. Die Geschichten vom Bauernhof wirken wie aus einer längst vergangenen Zeit, als die Landwirtschaft noch nicht industrialisiert war. Sie sind bevölkert von rotbackigen Bäuerinnen und gutmütigen Bauern mit Schwielenhänden. Und sie sind durchtränkt vom kindlichen Glück, von Sonne, Wind und dem würzigen Duft von Kühen, Heu, Misthaufen und Apfelbäumen. Aus dem naiv-kindlichen Blick sind harte Arbeit oder Verdingkinder kein Thema. Zu den wenigen bitteren Erinnerungen gehört das zur Strafe auferlegte Steinesammeln auf dem Feld oder die Angst vor der Fratze des Teufels. Ansonsten herrscht ländliche Idylle.
Ein «geliebtes Exil»
Der Basler Autor Urs Schaub hat seine Kindheit in einem «farblosen Quartier in der Stadt» verbracht, wie er im Nachwort schreibt. Die Ferien auf dem Bauernhof waren für ihn ein Ausschweifen ins Unbeschwerte, ins «geliebte Exil», «fern von den kleinbürgerlichen und moralisch eher strengen Vorstellungen des Elternhauses». Seinen früheren Berufswunsch, Bauer zu werden, hat der heute 63-Jährige nicht verwirklicht. Dafür hat er als Schauspiel-Regisseur und Dozent gearbeitet, war Schauspieldirektor in Darmstadt und Bern und am Fernsehen bis 2010 in der Kritikerrunde des «Literaturclub» zu sehen.
Wohliges Gefühl
Als Autor ist er bisher mit seinen vier Krimis rund um den Kommissar Simon Tanner aufgefallen. Mit dem kleinen, feinen Erzählband «Das Lachen meines Vaters» liefert er nun einen Erinnerungsreigen mit leisem Humor, der dieses wohlige, unbeschwerte Gefühl aus der Kindheit aufkommen lässt. Genauso erzählt der Band davon, wie prägend die frühen Erinnerungen sind und wie sie in idealisierter Form nach 50 Jahren wieder auftauchen. Illustriert sind die Geschichten mit den Zeichnungen seines Sohns Sebastian Schaub, der als freier Künstler tätig ist.
Dorfgeschichten im Aufwind
Seit Jeremias Gotthelfs Werken über die bäuerlich-dörfliche Welt sind knapp zwei Jahrhunderte vergangen. Gerade in jüngster Zeit ist die Literatur über das Dorfleben aber wieder im Aufwind – insbesondere bei jungen, meist in der Stadt lebenden Autoren. Die Dorf-Prosa boomt in allen erdenklichen Ausformungen: Zum Beispiel Sasa Stanisics Roman «Vor dem Fest», Arno Camenischs Dorfgeschichten wie etwa «Ustrinkata», Jens Steiners «Carambole», Daniel Mezgers Erstling «Land spielen» oder Michael Fehrs im Frühjahr erscheinender Roman «Simeliberg» – sie alle fokussieren auf das Dorfleben.
Von der Gotthelf-Literatur, wo das Rechtschaffene siegt, ist ihre Prosa aber weit entfernt. Vielmehr lauern im Dorf die Abgründe. Und auch sprachlich sind ihre Werke meist keineswegs konventionell: Fehr und Camenisch etwa haben ihre ganz eigene rhythmisierte, dialektal eingefärbte Sprache entwickelt, und Stanisic fächert in seinem Roman ein ganzes Geschichten-Mosaik aus Mythen, Märchen, Träumen und Biografien auf.
Es lässt sich darüber spekulieren, warum sich die Dorf-Prosa bei jungen Städtern solcher Beliebtheit erfreut. Es ist wohl weniger die Sehnsucht nach dem Archaischen oder dem einfachen Leben jenseits der Hektik – zumal die ländliche Idylle in ihren Werken rar gesät ist. Vielmehr lockt wohl der überschaubare Kosmos der Dorfgemeinschaft: In dieser kleinen Welt lassen sich allgemeinmenschliche Konflikte und Sehnsüchte abbilden.
Urs Schaub
«Das Lachen meines Vaters. Geschichten aus der Kindheit»
96 Seiten, mit Illustrationen von Sebastian Schaub
(Limmat Verlag 2014).