Ein linker Autor, ein Mediziner mit Flair fürs Unerklärliche oder eine Sexologin: Das sind Menschen, die in den letzten Sendungen der «Sternstunde Philosophie» zu Wort gekommen sind. TV-Journalisten befragen Studiogäste ausführlich, sodass sie ihre Auffassungen vertieft darlegen können. Schroffe Gegenrede gibt es wenig, allenfalls durch Einblendungen Dritter. Die «Sternstunde Philosophie» am Sonntagvormittag ist eine sanfte Gesprächssendung, die im Programmangebot der TV-Sender ein Juwel ist. Manchmal kann sie auch enervieren: Etwa wenn zurückhaltende Moderatoren heikle Aussagen ihrer Gäste unwidersprochen stehen lassen. Der kulturtipp hat sich drei Sendungen genauer angeschaut und «Sternstunde»-Moderatorin Barbara Bleisch vier Fragen zum Sendekonzept gestellt.
kulturtipp: An welches Zielpublikum richtet sich die Sendung?
Barbara Bleisch: Wir haben kein Alterssegment oder eine bestimmte Bildungsschicht im Auge. Die Ausspielkanäle SRF Play, Youtube und die Podcasts sind für uns mittlerweile sehr wichtig geworden, und wir gehen davon aus, dass wir auf diesen Kanälen ein jüngeres Publikum erreichen als mit der linearen Ausstrahlung. Auch Zuschriften zu unseren Gesprächen erhalten wir von unterschiedlichen Leuten. Unser Zielpublikum ist bereit, vermeintlich Selbstverständliches zu hinterfragen und sich Genauigkeit im Denken zu leisten. Die Zuschauer haben Interesse an der Vertiefung, die im allgegenwärtigen Kurzfutter wenig Raum hat.
Wie lassen sich die Zuschauer für die Philosophie begeistern?
Die einen interessieren sich von sich aus für Philosophie und suchen uns gezielt. Andere begeistern wir, indem wir das gut machen, was Philosophie auszeichnet: Wir fragen unerbittlich nach, wir kennen keine Denktabus, und wir sind nicht an der Show oder Inszenierung interessiert, sondern am ehrlichen Verstehen.
Setzen Sie beim Publikum ein Vorwissen voraus, oder reicht die Neugier der Zuschauer?
Die Neugier sollte reichen – und ein bisschen Geduld. Genauigkeit bedingt, dass es zuweilen länger als 30 Sekunden braucht, einen Gedanken zu entwickeln.
Nach welchen Kriterien suchen Sie die Gesprächspartner aus?
Unser Philosophieverständnis ist breit. Wir kombinieren es mit Themen, die im Moment heiss diskutiert werden oder latent aktuell sind. Ein guter Gast muss nicht selber Philosoph sein. Die Moderierenden sind ja alles Philosophen, die entsprechende Fragen zu stellen wissen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Gast bereit ist, sich auf ein philosophisches Gespräch einzulassen – also auf Argumente eingeht, Fragen beantwor-tet und vielleicht im Gespräch Leerstellen entdeckt. Philosophieren ist riskantes Denken.
Nächste Sendungen «Sternstunde Philosophie»
So, 17.3., 11.00 SRF 1:
Die israelische Soziologin und Buchautorin Eva Illouz («Warum Liebe weh tut») im Gespräch mit Barbara Bleisch
So, 24.3., 11.00 SRF 1:
Die beiden Ökonomen Thomas Straubhaar und Nicolas Zahn im Gespräch mit Barbara Bleisch
«Was ist Gewalt?»
(Sendung vom So, 17.2.)
Ohne Sozialromantik schildert der französische Autor Édouard Louis dem Moderator Yves Bossart die französische Arbeiterklasse. Diese sei verbiestert reaktionär, «weil sie Angst hat». Louis ist nach seinem autobiografischen Roman «Das Ende von Eddy» zu einer Leuchtfigur der französischen Linken geworden. Er unterstützt aktuell die Proteste der «Gilets jaunes», denen er «Wahrhaftigkeit» zugesteht. Das Gespräch wurde offenkundig vor den antisemitischen Ausfälligkeiten dieser Bewegung aufgenommen, andernfalls hätte Bossart wohl auf diesen Punkt verwiesen. Allerdings liess der Moderator Behauptungen unwidersprochen, wie etwa Louis’ Bemerkung, der Präsident Emmanuel Macron habe wegen der Flüchtlingskrise Blut an den Händen. Zeitweise hatte man den Eindruck, der Befrager liesse sich von Louis’ Charme einlullen, wenn dieser druckreife Sätze lieferte: «Die Geschichte der Arbeiterklasse ist die Geschichte meines Körpers.» Am besten war das Gespräch, als die Rede auf den Begriff «Habitus» im Sinn des Philosophen Pierre Bourdieu kam, der Louis beeinflusste. Hier musste sich der Autor zu Vertiefungen durchringen, ohne sich ins Plakative retten zu können.
«Wer heilt, hat recht»
(Sendung vom So, 24.2.)
Unter diesem Titel befragte die Moderatorin Barbara Bleisch den deutschen Arzt Dieter Grönemeyer. Er setzt als Schulmediziner auf alternative Heilmethoden. Bleisch dirigierte ihn mit ihren Fragen geschickt auf seine Kernthesen, die auch kritischen Zuschauern plausibel erscheinen. Anhand von konkreten Beispielen – wie der antiseptischen Wirkung von Senfwickeln – erklärte Grönemeyer seine breiten Praxis-Erfahrungen. Bleischs Gesprächsführung war zurückhaltend; nur einmal schnitt sie dem Arzt das Wort unnötig ab, als er seine Haltung zu den Globuli in der Homöopathie erläutern wollte. Gegenrede hielt in zwei Einblendungen die deutsche Ärztin Natalie Grams. Für sie ist Alternativmedizin ein Schwindel, weil sie den Patienten keine messbaren Heilerfolge liefern könne. Als Zuschauer hätte man sich hier allerdings eine kurze Diskussion zwischen Grönemeyer und Grams gewünscht. Ein weiteres Element wirkte in der Sendung etwas aufgesetzt. Der Arzt berichtete vom Leukämie-Tod seines Bruders Wilhelm. Dazu wurde eine Stellungnahme des drittens Bruders eingeblendet, des Sängers Herbert Grönemeyers, die wenig erhellend war.
«Rätsel Orgasmus: Über den Höhepunkt unseres Daseins»
(Sendung vom So, 3.3.)
Unter der Leitung von Wolfram Eilenberger sprachen die Sexologin Ann-Marlene Henning und der Philosoph Claus-Steffen Mahnkopf über Sexualität. Man spürte das Bemühen der Runde, das Thema möglichst differenziert und vorurteilslos anzugehen. Dabei vermisste der Zuschauer indes eine gewisse Stringenz in der Gesprächsführung, zuweilen war die Diskussion sprunghaft. Gerade weil Fragen rund um den Orgasmus eine intime und eine intellektuelle Dimension haben, hätte etwas mehr Disziplin zur Klarheit verholfen. Dennoch war das Gespräch aufschlussreich: So wurde die Diskussion über den Orgasmus vom Individual-psychologischen über die Geschlechterfrage bis zum gesellschaftspolitischen Phänomen weiterentwickelt. Dabei scheuten sich die beiden Gäste nicht, praktische Anleitungen zum «Spürspass» zu geben – Langsamkeit steigert die Lust. Die berühmte Orgasmus-Szene aus «Harry und Sally» sowie ein farbiger Experimentalfilm illustrierten das Gespräch, das trotz der Ernsthaftigkeit des Themas immer wieder Anlass zum Lachen bot.