Steps - Die kontroverse Geschichte des modernen Tanzes
Das biennale Tanzkarussell Steps dreht sich wieder. Im April treten landesweit Künstler auf die Bühne, die im modernen Tanz eine innovative Rolle spielen, unter ihnen der Brite Akram Khan, die kanadischen La La La Human Steps oder die Französin Sylvie <br />
Guillem.
Inhalt
Kulturtipp 08/2012
Maya Künzler
Lange gab es nur das klassische Ballett mit seinen romantischen Handlungsballetten und den Tanzmetropolen Moskau, St. Petersburg oder Paris. Bis George Balanchine auf die Bühne trat. Der Russe reformierte diese Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen neoklassischen, schnörkellosen Choreografien und avancierte damit zur Ikone der westlichen Tanzwelt. In den 30er-Jahren schuf dann die Amerikanerin Martha Graham mit ihrem ganz eigenen Bewegungsvokabular die Grundlagen zum Mod...
Lange gab es nur das klassische Ballett mit seinen romantischen Handlungsballetten und den Tanzmetropolen Moskau, St. Petersburg oder Paris. Bis George Balanchine auf die Bühne trat. Der Russe reformierte diese Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen neoklassischen, schnörkellosen Choreografien und avancierte damit zur Ikone der westlichen Tanzwelt. In den 30er-Jahren schuf dann die Amerikanerin Martha Graham mit ihrem ganz eigenen Bewegungsvokabular die Grundlagen zum Modern Dance und wirkte für Generationen stilbildend.
Die beiden Bewegungen polarisierten die Tanzwelt: Grob gesagt gehörte man damals dem Balanchine- oder dem Graham-Lager an. Parallel zeichnete sich eine weitere Entwicklung ab, die vor allem von Frauen getragen wurde: Isadora Duncan in den USA oder Mary Wigman in Deutschland. Sie tanzten auf nackter Sohle, befreit von Schnürkorsetten, suchten nach dem Ursprünglichen und ihrem ureigenen Selbst.
Von diesen Pionierinnen des freien Tanzes bis zu dem, was wir heute als zeitgenössischen Tanz bezeichnen, liegen viele weitere Ansätze: Dazu gehören der postmoderne Tanz eines Merce Cunningham, eines ehemaligen Schülers von Graham. Oder das deutsche Tanztheater einer Pina Bausch, der wohl berühmtesten Vertreterin dieser Richtung. Beide gelten als Meilensteine der Tanzlandschaft, die bis heute prägend wirken.
Der Aufbruch
Der Beginn der 1980er-Jahre markiert den Aufbruch des zeitgenössischen Tanzes – eine Vielfalt an Stilen, offen für unterschiedliche Einflüsse. Und er erfindet sich ständig neu: Einmal mehr auf die individuelle Befindlichkeit, ein andermal mehr auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichtet. Die Choreografen und Tänzer lassen sich nicht mehr klar einer Schule
zuordnen, ebenso wenig lässt sich deren Ästhetik gesamthaft schubladisieren. «Zeitgenössisch» ist ein sehr dehnbarer Begriff geworden.
Ein typisches Beispiel für diese Entwicklung sind die La La La Human Steps aus Montréal: Wie ein Tornado brachen sie Mitte der 1980er-Jahre über Europa und die Schweizer Festivalszene herein. Mit ungestümem Tempo, einer unverschämt direkten Körperlichkeit und viel Bodenhaftung. Diesen energiegeladenen Bewegungsstil pflegten auch Ultima Vez oder die Rosas aus Belgien; Letztere mischten das klassische Vokabular mit Alltagsgesten auf, die sie mit expressiver Verve repetierten und variierten.
Die freie Szene
In den 90er-Jahren blühte die freie Szene weiter auf. Sie begann, mit den neuen multimedialen Mitteln zu experimentieren und öffnete sich gegenüber den anderen künstlerischen Sparten und fremden Kulturen. Manche inspirierten sich am japanischen Butoh, der das Hintergründige und Abgründige thematisierte. Oder sie suchten die Zusammenarbeit mit Streetdancern. Hip-Hop und akrobatische Kampfsportarten wie Capoeira begegneten dem Modern Dance auf gleicher Ebene und begeisterten auch ein jüngeres Publikum.
Für Furore sorgten in der Schweiz Les Ballets C. de la B. um den Belgier Alain Platel. Sie begeistern bis heute mit Stücken, die mit unterschiedlichen Sparten experimentieren. Auf der Bühne performen Leute aus allen sozialen Schichten, die Platel auf der Strasse entdeckt hat.
Der Engländer Akram Khan, Sohn einer Familie aus Bangladesch, ist im indischen Kathak-Tanz wie auch zeitgenössisch ausgebildet. Er gilt als einer der grossen Choreografen der Gegenwart. Tradition und Innovation schliessen sich bei ihm nicht aus: «Ich musste den Weg zurück in meine bengalische Kultur gehen, um das Zeitgenössische zu verstehen», sagte er einmal.
Konzepttanz
Gleichzeitig gab es eine Entwicklung hin zum Konzepttanz, der den Tanz als ästhetische Kunst grundlegend infrage stellte. Meg Stuart choreografiert obsessiv das Hässliche und Kaputte und schafft ergreifende Tableaus. Der Franzose Jérôme Bel verweigert sich dem Tanz ganz. So konnte man in den letzten Jahren beobachten, wie in choreografischen Projekten die Performance immer dominanter wurden – getanzt wird wenig, dafür umso mehr geredet. Heute zeichnet sich eine Gegenbewegung ab, die wieder mehr auf Sinnlichkeit und Emotion setzt.
Sylvie Guillem, ehemalige Startänzerin der Pariser Oper, zeigt, dass die Grenzen zwischen den etablierten Häusern und der freien Szene immer durchlässiger werden. Einst an der Spitze und ausschliesslich im Ballett zu Hause, bewegt sie sich heute passioniert im zeitgenössischen Tanz. Am Steps-Festival tanzt sie je in einem Stück von William Forsythe und Jiři Kylián – beide gelten als Interpreten der klassischen Moderne, können aber auch dem zeitgenössischen Tanz zugeordnet werden.