Zwischen gesellschaftlichen Verpflichtungen, Familie und künstlerischer Inspiration: In diese Mühlen gerät der Kunstmaler Gilbert Jonas. Zuerst scheint alles perfekt. Vom väterlichen Verlagsunternehmen löst er sich bald, macht sich als Künstler selbständig, hat schnellen Erfolg und schliesst einen Vertrag mit einem Kunsthändler ab. Den Rücken hält ihm seine Frau Luise frei, die sich aufopfernd um seine Karriere bemüht und ihm auch nach der Geburt ihrer drei Kinder das Leben so angenehm wie möglich gestaltet.
Doch dann beginnt des Künstlers Stern zu sinken: Abgelenkt von falschen Freunden, Studenten, Kunstkritikern, immer den auf Profit bedachten Kunsthändler im Nacken, gerät er unter Druck. Die existenziellen Sorgen um seine Familie wachsen, die künstlerische Inspiration schwindet. Schliesslich versucht er, sich mit Alkohol und Affären abzulenken. Plötzlich gilt der vormals hochgelobte Künstler als arrogant; seine Arbeiten werden in der Presse als «überbewertet» und «überholt» kritisiert.
Reumütig kehrt er nach Hause zurück, wo er sich in einer Art Hochsitz ein einsames Atelier einrichtet. Hier holt ihn das Künstlerelend endgültig ein. Er ist unfähig, auch nur einen Pinselstrich auszuführen. Die einzige Frucht seiner Arbeit nach langer Zurückgezogenheit sind weisse Leinwände. Auf einer steht in kleinen Buchstaben, kaum entzifferbar: «Solitaire» oder «Solidaire» – Einsamkeit oder Gemeinschaft.
Die Erzählung «Jonas oder der Künstler bei der Arbeit» des französischen Existenzialisten Albert Camus (1913–1960) ist 1957 im Band «Das Exil und das Reich» erschienen. In allen sechs Erzählungen geht es um das Spannungsverhältnis von Individualität und Gesellschaft. Das Dilemma des Menschen, der sich zwischen Verpflichtungen und dem Drang nach Selbstverwirklichung selbst verliert, ist zwar aktueller denn je. Nur das Frauenbild der alles für den Mann opfernden Luise ist ziemlich veraltet.
Im Heute angesiedelt
Die Berliner Illustratorin Katia Fouquet, die etwa für die «New York Times» oder «Das Magazin» zeichnet, arbeitete Camus’ Geschichte in ihrer Graphic Novel mit kräftigen Bildern heraus. Sie hat seine Parabel in die Gegenwart übertragen: Bei ihr ist es das Boulevardblatt «Bold», das in grossen Lettern über den Absturz des berühmten Künstlers berichtet (s. Bild oben). Ihr Jonas tritt der politischen Gruppe «Free Lampedusa» bei, und Lady Gogo, unschwer erkennbar als die exzentrische Popdiva Lady Gaga, überreicht ihm als Gastgeschenk zwei Hunde.
Auch die Sprache ist im Jetzt angesiedelt: Fouquet schreckt vor einer Comicsprache mit «Bumm» oder «Boing» so wenig zurück wie vor modernen Ausdrücken wie «cool» oder «Hype». Trotz sprachlicher Vereinfachung gelingt es ihr, die Kernaussage von Camus’ Erzählung beizubehalten. Mit ihren Bildern öffnet sie eine weitere Ebene und versetzt die Problematik der Künstlerexistenz ins Heute. Zum Vergleich lässt sich der vollständige Originaltext im hinteren Teil des Bandes beiziehen.