Der König der Welt sitzt an der Promenade, stemmt mit seinen sonnengebräunten Armen ein kühles Blondes und beobachtet seine Untertanen beim Flanieren. In einer Kokosnuss-Duftwolke bewegen sie sich über den Strand, die verblassten Tribals und Delfine tanzen einen letzten Tango auf ihren Schultern, ehe die abgeschälte Haut vom salzigen Wind davongetragen wird. Der König überblickt den Fleischstrom mit einem süffisanten Lächeln und denkt: «Ich werde euch alle überdauern, ich werde trotz Wind und Wetter, Kälte und Sturm ausharren.
Ich bin der wahre König der Welt auf dem Bug eurer Schiffe, die verzweifelt einem letzten Abenteuer hinterhersegeln.» Die Untertanen laufen an seinem Tisch vorbei, nicken dem Regenten flüchtig zu und sind erleichtert, dass er ihnen für einmal Grüsse und keine Granaten zuwirft. Der König der Welt weilt im Urlaub. Er hat sich die Auszeit redlich verdient, er hat hart dafür gearbeitet, sie steht ihm zu. Ein paar Wochen Ferien pro Jahr, sie stehen ihm zu, alles steht ihm zu, auch rote Beine in Caprihosen.
Er beugt sich nach seiner vom Wind davongetragenen Mütze und stellt fest, dass er nur mit grösster Mühe und Not die eigenen Zehen sehen kann. Sie stecken ausser Reichweite in Plastiksandalen, mit denen der König alles plattzudrücken versucht, was das Artensterben begünstigt. Während er noch links und rechts seines Wanstes nach der Mütze tastet, landet eine Möwe auf seinem Teller und fliegt mit dem Fischbrötchen davon. «Das werde ich dir heimzahlen!», ruft der König dem Vogel hinterher und setzt die Möwe auf die Liste des nächsten Massenaussterbens.
Nach dem Strandbad gibt sich der König der Welt dem Kulturgenuss hin, schliesslich will er anerkennen, was er zerstört. Reisen bildet, sagt der Gelehrte, doch der König der Welt meint bloss: «Na ja, der antike Tempel ist am Bröckeln, dieses abstrakte Gemälde könnte ein Kind gemalt haben, und der Eiffelturm sah auf Bildern auch grösser aus.»
Gustave dreht sich im Grab um. Derweil bewegt sich auch auf der anderen Seite der Erde etwas im Grab: Im aufgetauten Permafrost erblicken vergessene Mikroorganismen das Licht der Welt neu. Noch etwas zögernd blinzeln sie in die brennende Sonne und schauen sich hilfesuchend nach ihrem Anführer um. Dieser streckt genüsslich seine Rezeptoren und ruft: «Vamos a la playa!» Allabendlich drängt sich der König der Welt im Speisesaal vor und wandelt sich zum Herrscher des Salatbuffets.
Vor den hungrigen Augen seiner Untertanen füllt er sich das Tablett mit Eisberg und Mozzarella, Tomaten und Linsen, Scampi und Pulpo. Er ist sich seiner Überlegenheit auch dann noch gewiss, wenn die kleinsten Erdenbewohner von ungewaschenen Salatblättern in den royalen Darm spazieren. Vom Keramikthron seines wohltemperierten Hotelzimmers aus dirigiert der König während des folgenden Verdauungsakts Drohnen und Kugeln durch die glühenden Lüfte.
So viel Arbeit muss auch im Urlaub sein, er kann die Welt ja nicht einfach sich selbst überlassen. Keine Ahnung, wie sie es 4,6 Milliarden Jahre vor ihm geschafft hat, aber nun ist er ja da. Alles wird gut, auch seine Diarrhö. Die Ferientage neigen sich dem Ende zu, Quallen werden an Land gespült und verpassen die Rückreise. Sie verenden unkenntlich zwischen transparenten Plastiksäcken, welche die Bewegungen der Nesseltiere gekonnt imitieren. Was ist tot, was ist lebendig?
Die Möwe kaut gleichgültig auf einem Krabbenbein herum. Auf dem Wasser gleitet ein regenbuntbeleuchtetes Schiff, die Vibrationen der Musik halten jene Heringe auf Trab, die noch nicht in einem Einmachglas gelandet sind. Der König der Welt macht die Nacht zum Tag und fragt sich am nächsten Morgen verkatert, warum der Kater im Gegensatz zu ihm keine Ferien benötigt. Voller Neid setzt er die Katzenartigen auf die Liste des nächsten Massenaussterbens.
Am letzten Abend gibt der König der Welt noch einmal alles. Auf der Karaokebühne schmettert er «My Heart Will Go On», am Salatbuffet drängt er sich vor und füllt seine Teller randvoll mit Eisberg und Mozzarella, Tomaten und Linsen, Scampi und Pulpo, und auf dem Parkett macht er den tanzenden Delfinen auf den zuckenden Schultern seiner Untertanen Konkurrenz.
Der König weiss: Für eine Rumba ist es unnötig, die eigenen Zehen im Blickfeld zu haben. Ebenfalls unbemerkt bleiben die Heerscharen an aufgetauten Viren aus dem Permafrost, die sich unters Partyvolk mischen und einstimmen: «We’re gonna have a party!» Mit stoischer Gelassenheit nimmt der König der Welt später den allabendlichen Durchfall hin. Wer feiert, muss auch leiden, diese Kapitel gehören zu einem wahren Heldenepos dazu, denkt der König der Welt.
Doch was da am letzten Ferienabend aus ihm herausströmt, nimmt schon bald widernatürliche Formen an. Dem König dämmert: Dieses Mal wird der Keramikthron sein Grab! Und aus den Engen seines Inneren hört er die Permaviren rufen: «Nehmen Sie es nicht persönlich. Wir handeln auf Geheiss unseres Anführers. Und dieser hat Sie und Ihresgleichen auf die Liste des nächsten Massenaussterbens gesetzt!» Vor dem Toilettenfenster lacht eine Möwe.
Zur Person
Stefanie Christ, geboren 1981 in Bern, studierte Kunstgeschichte und Medienwissenschaft. Nach Anstellungen als Videojournalistin war sie von 2007 bis 2018 als Kulturredaktorin bei der «Berner Zeitung» tätig, zuletzt als Ressortleiterin Kultur. Heute arbeitet sie Teilzeit als Kommunikationsspezialistin beim Naturhistorischen Museum Bern sowie als freischaffende Autorin. Zuletzt ist von ihr der Roman «Krähengesang» im Knapp Verlag erschienen.
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