Theater gegen Polarisierung: Stefan Kaegi will mit seinem Stück am Zürcher Theater Spektakel einen Diskurs über die diplomatischen Beziehungen der Schweiz zu Taiwan anstossen.
«Es geht für mich nicht um politischen Aktivismus.» Er sei einfach ein Mensch, der sich für die Komplexität von Biografien und Geopolitik interessiere. Das zeigt sich auch darin, dass Regisseur Stefan Kaegi in seinen jungen Jahren nicht nur für das Theater, sondern auch für die Zeitung in seiner Heimat Solothurn schrieb.
Er habe aber nach Langlebigerem gestrebt, erinnert er sich mit Blick auf die Walliser Alpen, die beim Videogespräch mit dem kulturtipp im Hintergrund zu sehen sind. «Die Zeitung landet am nächsten Tag im Abfall. Das Theater bleibt hoffentlich länger in den Köpfen.»
Nach seinem Philosophie- und Kunststudium ging er ins hessische Giessen, um Theaterwissenschaften zu studieren. Dort lernte er Helgard Haug und Daniel Wetzel kennen, mit denen er seit 2002 als Theaterkollektiv Rimini Protokoll die internationale Szene mit seinem «Reality Trend» revolutioniert.
«Eine Operation am offenen Herzen der Insel»
Kaegi ist ein Meister des Dokumentartheaters. In seinen Projekten schöpft der Wahlberliner aus der Vielschichtigkeit der Realität. So stellte er beispielsweise im Stück «Weltzustand Davos (Staat 4)» mit dem Publikum das Weltwirtschaftsforum (WEF) nach. Und in «Granma – Posaunen aus Havanna» verknüpfte er intime Familiengeschichten mit der Politik Kubas.
Ganz ähnlich verwebt er in seinem neuen Stück «Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)» am Zürcher Theater Spektakel die diplomatische Zwickmühle des Inselstaats, der in Europa nur vom Vatikan offiziell anerkannt wird, mit individuellen Erzählungen.
Ein ehemaliger Botschafter, eine Aktivistin einer gemeinnützigen Organisation und die Erbin eines Bubble-Tea-Imperiums, alle aus Taiwan, bauen darin mit dem Publikum auf der Bühne eine Botschaft für Taipeh auf – und am Schluss wieder ab. Die «I disagree»- Tafeln sind dabei Zeugnisse des diplomatischen Entstehungsprozesses. Oder wie Kaegi es nennt: «Ein laufendes Aushandeln von Lösungen – und zuweilen ein ‹Agree to disagree›.»
Der Regisseur wählt bewusst Akteure aus, die verschiedene Generationen und Meinungen vertreten. Der Konflikt sei das, was Theater erst interessant mache: «Die Bühne ist ein spannender Raum, um konträre Meinungen koexistieren zu lassen. Wir haben genügend Orte, wo man sich lieber anbrüllt, statt einander zuzuhören.»
Der offene Diskurs über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie über den grossen Elefanten im Raum – China – hat auch die taiwanesischen Zuschauer im ausverkauften Nationaltheater Taipeh berührt. Es habe sich angefühlt wie eine «Operation am offenen Herzen der Insel». Kaegi will die Realität für das Publikum mit allen Sinnen erfahrbar machen, um einem Diskurs Platz zu geben, der sich der wachsenden Polarisierung der Welt entgegenstellt. Sein Fazit: Falls er doch Aktivist sei, dann ein überzeugter «Demokratieverfechter».
Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)
Do, 29.8.–Sa, 31.8.
Werft Mythenquai Zürich
www.theaterspektakel.ch
Stefan Kaegis Kulturtipps
Theater
Lola Arias: Los Días Afuera
«Die Regisseurin für Dokumentartheater, die am Zürcher Theater Spektakel zu sehen ist, hat beeindruckende Darstellerinnnen in einem argentinischen Gefängnis gecastet.»
Do, 15.8. –So, 17.8.
Zürcher Theater Spektakel
Buch
Stephan Thome: Pflaumen regen (Suhrkamp 2021)
«Ein sehr fein geschriebener Roman über eine taiwanesische Familie, über die sich die Geschichte des Landes über drei Generationen erzählt.»
Audio-App The Walks (Rimini Protokoll) «Mit der Spazier-App lassen sich Spielplätze, Parks, Friedhöfe, Gewässer, Supermärkte und andere Orte in jeder Stadt auf neue Weise erleben.»
Audio-App
The Walks (Rimini Protokoll)
«Mit der Spazier-App lassen sich Spielplätze, Parks, Friedhöfe, Gewässer, Supermärkte und andere Orte in jeder Stadt auf neue Weise erleben.»