kulturtipp: Stefan Gubser, Klaus Maria Brandauer, einst James-Bond-Bösewicht, arbeitet eine ganze Saison lang mit dem Zürcher Kammerorchester zusammen. Sie und andere Kolleginnen treten öfters an Klassikfestivals als Rezitatoren auf. Ist der Klassikzirkus ein neues Feld für Schauspieler?
Stefan Gubser: Vielleicht, jedenfalls machen diese Lesungen Spass, und sie kommen mir entgegen: Ich kann mich zu Hause vorbereiten, brauche keinen Regisseur, sondern bloss Zeit.
Eine Lesung ist also bequemer?
Oh, nein! Beim Spielen einer Rolle habe ich eine konkrete Situation, beim Lesen muss ich hingegen den Inhalt des Textes sehr genau treffen, damit er wirkt und ich richtig interpretieren kann. Da kommt es auf jede Nuance an, und ich muss sehr genau sein. Ich muss mich auf eine Lesung genauso lange vorbereiten wie auf eine Film- oder Bühnenrolle.
Ist die Bühne für einen Filmschauspieler ein heikler Ort?
Nein, aber ich habe noch nie etwas aus dem Ärmel geschüttelt. Jede Rolle, jeder Auftritt ist mit viel Arbeit verbunden – und Zweifel: Kann ich das? Routine gibt es nicht.
Sie stehen auf der Bühne und haben Angst?
«Angst» ist das falsche Wort, aber eine gehörige Portion Lampenfieber ist schon dabei, furchtbar – das wird mit dem Älterwerden übrigens auch nicht besser (lacht). Vorbereitung ist deswegen alles, auch im Film. Ich habe jeweils mein ganzes Drehbuch intus, lerne nicht noch schnell vor Drehbeginn oder gar am Drehtag von Szene zu Szene, wie es so viele machen.
Wie schlecht ist der Ruf der Filmschauspieler in der Theaterszene?
In den 80er-Jahren, als ich im Residenztheater in München angestellt war, erhielt ich ein Filmangebot. Ich teilte das dem Betriebsdirektor mit, und er spottete sogleich über die Filmerei. Für die Theaterleute war der Film damals nichts. Bei den meisten steckte allerdings Neid, Ignoranz und Arroganz dahinter. Wer weiss, was Filmemachen bedeutet, respektiert beide Genres.
Gibt es diese Arroganz heute nicht mehr?
Weniger, aber Theaterleute haben bisweilen etwas Überhebliches. Das war auch ein Grund, warum ich das Theater 1985 verliess.
Das Theater selbst trieb Sie zum Film?
Indirekt schon, obwohl ich mit grossen Regisseuren wie Peter Löscher oder Hans Lietzau gearbeitet habe. Aber als ich damals «Mahabharata» von Peter Brook sah, war mir klar: Das ist echtes Theater! Damit erreicht man die Herzen der Leute und nicht über intellektuelle Überlegungen. Danach kündete ich meine Stelle und ging zum Film.
Hatten Sie bereits Filmangebote, als Sie Ihr Theaterengagement kündeten?
Auf mich wartete kein Mensch. Ich ging Klinken putzen.
Man geht doch vom Theater zum Film, um reich zu werden!
Im Gegenteil. Ich wohnte damals in München, zog ins Prättigau und mietete mit meiner Familie ein altes Bauernhaus, wo wir nicht einmal warmes Wasser hatten. Das Haus kostete 250 Franken im Monat, das konnten wir uns gerade leisten. Erst nach drei Jahren war es mir möglich, nach Zürich zu ziehen.
Ist der Wechsel vom Theater zum Film für den Schauspieler technisch schwierig?
Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Man erarbeitet sich zwar eine Rolle, ergründet einen Charakter, aber die Ausdrucksform ist anders. Im Film sind die Ausdrucksmittel völlig reduziert – je reduzierter, umso besser. Mit einem Blick allein lässt sich unglaublich viel erzählen. Der Regisseur oder der Kameramann fängt ihn ein, die Musik unterstützt ihn. Im Film sieht man, was der Schauspieler denkt.
Ist die Lupe auf den Körper nicht schrecklich?
Nein, das ist unsere Herausforderung und ja, manchmal ist es schrecklich, weil man sinnbildlich gesehen nackt vor der Kamera steht, sie sieht leider alles (lacht). Die Kamera lügt nicht. Bin ich mit meinen Gedanken abwesend, ist alles verloren, das erkennt ein geübter Zuschauer sofort. Es braucht unheimliche Konzentration, eine Filmhauptrolle zu spielen. Das Grundgeheimnis beim Film ist, seinem Gegenüber zuzuhören – und darauf richtig zu reagieren, das heisst im Sinne des Charakters.
Wann waren Sie im Theater zufrieden?
Auf der Bühne spürt man sehr direkt, ob man beim Publikum ankommt. Bei «Alte Freunde» im Jahr 2007 merkte ich am Schlussapplaus, dass unser Spiel die Leute sehr berührt hatte. Wir erreichten damals rund 45 000 Zuschauer. Von dieser Zahl können gewisse Theater nur träumen. Es kann nicht alles kommerziell sein. Aber Momente wie diese können bestärken im eigenen Grundsatz: Ich spiele Theater fürs Publikum und nicht fürs Feuilleton.
Wie stark wird der «Tatort»-Stempel auf Ihre künftige Karriere nachwirken?
Nicht allzu lange. Ich habe vorher so viele Filme gemacht, mit den Serien sind es etwa 200, «Tatort» ist ein kleiner Teil davon. Da mache ich mir keine Sorgen: Ich habe schon vier Jahre lang in einer Arztserie gespielt – und sogar das überstanden (lacht).
Am Flimsfestival lesen Sie nun aus Beethovens Briefen. Was ist das für ein Mensch, der diesen berühmten Brief an die «Unsterbliche Geliebte» schreibt?
Ein bis über beide Ohren Verliebter! Es ist ein schwärmender, aber auch ein verzweifelter Beethoven: Da schreibt ein verletzlicher Mensch, nicht der Titan Beethoven, den wir in der Musik hören – oder hören wollen.
Wie nah ist Ihnen Beethovens Musik?
Die Helden meiner Jugend waren nicht die drei B wie bei Ihnen, nicht Beethoven/Brahms/Bruckner, sondern das vierte «B»: die Beatles. Aber heute liebe ich Beethoven.
Flimsfestival: Beethoven Eröffnungskonzert
Stefan Gubser liest Briefe von
Ludwig van Beethoven
See Siang Wong spielt Klavierwerke wie «Mondscheinsonate», «Pathétique» u.a.
Sa, 13.7., 18.00
Kirche Fidaz Flims
Musikalische Preziosen
Am Flimsfestival sind 21 Veranstaltungen zu sehen und zu hören – in Hotelsälen, aber auch auf der Strasse und im Postauto. Am Mi, 24.7., steht der Tango in Konzert, Film und in einem Kurs im Zentrum. Eröffnet wird das Festival mit dem Pianisten See Siang Wong (Bild) und dem Schauspieler Stefan Gubser. Der legendäre und berüchtigte (undatierte!) «Brief an die Unsterbliche Geliebte» von Ludwig van Beethoven steht im Zentrum dieses Abends. Lange war nicht mal klar, wann und wo er geschrieben worden war. Und über die Adressatin streiten sich die Beethoven-Gelehrten noch heute. (bez)
Flimsfestival
Sa, 13.7.–Di, 31.12.
www.flimsfestival.ch