Der Mann gehört zu den Erscheinungen, die man gerne an Vernissagen sieht und sich fragt: Ist das nun der Galerist oder doch der Künstler persönlich? Tatsächlich sieht der neue SRF-Abteilungschef Stefan Charles seine Arbeit bei Radio und Fernsehen SRF als Verbindung zwischen Kulturvermittlung und persönlichem Engagement: «Das geht weit über das Berufliche hinaus. Ich kann oft nicht sagen, bin ich gerade am Arbeiten oder in der Freizeit», sagt er. Charles pflegt regelmässig Kontakte zu Künstlern wie Sophie Jung, besucht die Documenta 14 in Athen oder ein Konzert in der Zürcher Tonhalle.
«Konvergenz» bleibt das Zauberwort
Sein Signalement passt exakt in die Schweizer Kulturszene, wie man sie sich vorstellt: Schlank und wendig tritt er in seiner dunklen Kleidung auf, Designerbrille, silbergrauer Haarschopf, ziemlich lang und sehr gepflegt. Charles sieht jünger aus als die 49 Jahre, die er zählt.
So sitzt er also in einem kahlen Büro in einem der seelenlosen Hochbauten neben dem Fernsehstudio Leutschenbach. Zu Beginn des Jahres hat er diese Loge bei SRF Kultur bezogen und eine andere im Basler Radiostudio auf dem Bruderholz. Von diesen beiden Büros aus dirigiert Charles die gesamten kulturellen Leistungen von Radio und Fernsehen SRF. Zudem organisiert er demnächst die Zusammenlegung der Abteilungen an einem zentralen Ort, in einem Neubau im Basler Gundelingen-Quartier, gleich neben dem Bahnhof SBB. Hier rücken Radio und Fernsehen ebenso wie die Internet-Aktivitäten der Abteilung Kultur an einem Ort zusammen. «Konvergenz» heisst das Zauberwort im Fachjargon und ist seit einiger Zeit im Medienbereich hip.
Einzug in einen massiv durchlüfteten Laden
«Ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos.» Mit diesem abgewandelten Loriot-Spruch charakterisierte Charles seine Arbeit an seinem früheren Wirkungsort, dem Basler Kunstmuseum, wo er als Kaufmännischer Direktor tätig war. Die Aussage lässt sich ebenso gut auf seine jetzige Tätigkeit münzen. SRF Kultur erreicht zwar niemals den Publikumszuspruch wie eine «Tagesschau» oder ein Champions-League-Spiel, aber sie ist die Seele des Unternehmens, gewissermassen die raison d’être und damit die Legitimation des Service public.
SRF Kultur hat eine aufregende Zeit hinter sich. Charles’ Vorgängerin Nathalie Wappler lüftete den Laden massiv durch – mit durchzogenem Ergebnis. So wurden die «Sternstunden» deutlich ansprechender, der «Kulturplatz» tendierte jedoch zur Beliebigkeit.
Auf dem richtigen Weg – das Dilemma bleibt
Die Neulancierung von Radio SRF Kultur war zuerst ein Fehlschlag, ist aber nach Justierungen auf dem richtigen Weg. Nun steht Stefan Charles vor dem Dilemma zwischen Breitenwirkung und den Bedürfnissen eines anspruchsvollen Publikums: «Ich setze auf einen erweiterten Kulturbegriff», sagt er. Ein breites Publikum und hohe Ansprüche würden einander nicht ausschliessen: «Auch im Museumsbereich stellt sich diese Frage häufig – Blockbuster oder eher etwas Spezifisches für Kenner? Beides lässt sich rechtfertigen. Das gilt ebenso für Radio und Fernsehen.» Er spricht von «Sendungen für ein kleines, kunst- und kulturaffines Publikum und Unterhaltungssendungen mit grossem Zuspruch». Das ist leicht gesagt, wird im Einzelfall schwer umzusetzen sein.
Einerlei, Stefan Charles wird seine medialen Meriten nicht mit den Kultursendungen im engeren Sinn holen. Viel wichtiger für das breite Publikum sind die Serien. Da kann er auf die Arbeit seiner Vorgängerin setzen. Sie hatte mit der Reihe «Der Bestatter» einen Erfolg lanciert. Nun ist eine weitere Serie unter dem Titel «Wilder» rund um eine gleichnamige Ermittlerin gedreht. Die ersten sechs Folgen werden ab November zu sehen sein. Soeben fertiggestellt wurde auch die Tragikomödie «Seitentriebe» der Autorin Güzin Kar, die von Paaren über 40 handelt, die ihr Liebesleben reaktivieren wollen – Therapien inklusive. Hier kann sich Stefan Charles gewissermassen in ein gemachtes Bett legen. Denn sind solche Produktionen einmal aufgegleist, ist die anspruchsvollste Aufgabe geleistet.
Herausforderungen stehen an
Da die Vorbereitungszeit fiktionaler Sendungen jedoch Jahre dauert, wird er sich zusammen mit seinen Fachleuten schnell auf die Suche neuer Stoffe machen. Dabei wird Charles auf der SRF-Chefetage für die nötigen finanziellen Mittel kämpfen müssen, denn Serien sind teuer. Geld zu kriegen, ist keine leichte Sache bei SRF, denn die Auseinandersetzungen verlaufen dort mitunter nicht leicht.
Die Latte liegt für Charles hoch, da der Sender mit den Serien in den letzten Jahren gepunktet hat. Da liegt seine grösste Herausforderung: Als Kaufmännischer Direktor des Basler Kunstmuseums hielt er sich im Hintergrund, weil ihn ja niemand für die Besucherzahlen verantwortlich machen konnte. Jetzt hingegen steht er als Leiter der Kulturabteilung einer Institution vor, die vor existenziellen Herausforderungen wie der No-Billag-Initiative steht.
Wie auch immer: Die Liebe zur Kunst wird Stefan Charles bleiben. So werden sich seine früheren Kollegen vom Kunstmuseum Basel bestimmt seiner erinnern und ihm gerne ein, zwei Bilder nachschicken, um die kahlen Wände im Zürcher Büro zu bestücken.
Stefan Charles
Der gebürtige Fribourger Stefan Charles begann seine Laufbahn in der Musikproduktion und als Creative Director im Musikverlag EMI Music in Berlin. Danach war der heute 49-jährige Geschäftsführer im Zürcher Rohstofflager sowie Abteilungsleiter an der Zürcher Hochschule der Künste. 2011 wechselte er als Kaufmännischer Direktor an das Kunstmuseum Basel. Seit Beginn dieses Jahres leitet Charles die Abteilung Kultur von Radio und Fernsehen SRF.
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