Ein Quartett mit erweiterter Jazzbesetzung trifft auf einen sechsköpfigen Männerchor, der gregorianische Choräle interpretiert. Der Gedanke an die Zusammenarbeit von Jazz-Saxer Jan Garbarek mit dem Hilliard Ensemble und ihren «modernisierten Mönchsgesängen» ist naheliegend, wenn man sich das neue Projekt von Albin Brun vorstellt. Brun ist sich dessen bewusst: «Aber es nicht das, was wir im Sinn haben. Und es wird auch nicht so klingen.»
Unterschiedliche Zeit-Empfindungen
Albin Brun hat schon vor bald 30 Jahren mit dem Ostschweizer Chorleiter Peter Roth experimentiert – mit Choralmusik von Hildegard von Bingen. Den Ausschlag für die erneute Be-schäftigung gab die «Jazzvesper», die vor Jahren in der Johanneskirche Luzern aufgeführt wurde. Der damalige Kirchenleiter Alois Metz fragte Brun für eine Zusammenarbeit mit einem A-cappella-Ensemble an. «Die Idee für ein abendfüllendes Programm hatte ich immer im Hinterkopf», sagt der Luzerner Multiinstrumentalist Brun.
Der Funke zündete, als die Albert Koechlin Stiftung AKS für ihr alle drei Jahre stattfindendes «Innerschweizer Kulturprojekt» das Thema «Die andere Zeit» ausschrieb. Brun reichte das Projekt «tempus fluit – tempus fugit» ein. Es wurde ausgewählt und gehört zu den 17 Produktionen, die nun von Mitte April bis Ende Mai an verschiedenen Orten der Innerschweiz aufgeführt werden (www.dieanderezeit.ch).
Der Titel von Bruns Projekt verweist auf die unterschiedlichen Empfindungen von Zeit, die in dieser Musik aufeinandertreffen. Die gregorianischen Choräle aus dem frühen Mittelalter stammen aus einer Zeit, als es noch keine Uhren gab und auch die Zukunft weder als Begriff noch als Vorstellung existierte, wie der deutsche Zeitforscher Karlheinz A. Geissler in seinem Buch «Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine» festhält. Die damalige zeitliche Erfahrung war geprägt von den Zyklen der Natur, von «Wiederkehr und Wiederholungen, eingebettet in einer theologisch grundierten Weltsicht».
Von der fliessenden Zeit (tempus fluit) zur fliehenden Zeit (tempus fugit): Mit der Erfindung der mechanischen Uhr um 1300 zogen Termine und Zeitpläne ein, und die Zeit wurde mit fortschreitender Präzision (Sekundenzeiger) immer kleinteiliger. Plötzlich «lief die Zeit davon», und man hatte «wenig oder gar keine Zeit». Diese Ablösung vom Rhythmus des Lebendigen zum künstlichen Mass der maschinell vorgegebenen Zeit änderte auch das Denken, das Wahrnehmen und das Empfinden der Menschen.
Ein kontrastreicher Bogen
Für «tempus fluit» steht der A-cappella-Chor Vocabular in Schola, der die gregorianischen Choräle mit dem Gregorianik-Kenner Guido Gassmann einstudiert hat. Für «tempus fugit» steht das Albin Brun Quartett, das mit Patricia Draeger (Akkordeon, Flöte), Claudio Strebel (Kontrabass) und Markus Lauterburg (Perkussion) besetzt ist. Brun selber spielt Saxofon, Schwyzerörgeli, Toy-Piano und Waterphone: ein buntes Instrumentarium, mit dem das Material vielseitig ausgelotet werden soll.
Musikalisch wird ein einziger Bogen von rund 70 Minuten gespielt, mit fliessenden Übergängen. Die Choräle bleiben weitgehend unangetastet. Chor und Band kontrastieren und reiben sich, können sich aber auch unterstützen und miteinander verschmelzen. Dass die traditionellen Gesänge für einmal von jungen Männern gesungen werden und die Band souverän ihre Vielstimmigkeit ausleben kann, bringt das Projekt automatisch in einen zeitgemässen Kontext.
Er habe nicht Hip-Hop-Grooves mit Gregorianik kombinieren wollen, um möglichst «zeitgenössisch» zu klingen, sondern einen eigenen Weg gesucht, mit diesen verschiedenen musikalischen Welten umzugehen, sagt Brun. «Wir sind alle von der Gegenwart geprägt und lassen die heutigen Einflüsse in unsere Improvisationen einfliessen. Das ist unser zeitgenössischer Bezug.»
Auf die Uraufführung an den Stanser Musiktagen folgen weitere Konzerte in der Innerschweiz. «Mir war wichtig, etwas Lustvolles und Sinnliches zu machen. Auch das Verspielte kommt nicht zu kurz. Ich denke, dass es ziemlich kurzweilig werden wird.» In Stans wird Albin Brun mit einer weiteren Grossformation zu hören sein: Die Alpinis versammelt Volksmusik-Studierende und -Absolventen der Hochschule Luzern und gibt ein Gratis-Konzert.
«tempus fluit – tempus fugit» mit Albin Brun
Fr, 3.5., 19.00 Stanser Musiktage, Kapuzinerkirche Stans (ausverkauft)
Fr, 10.5., 20.00 Kollegikirche Sarnen
Sa, 11.5., 20.00 Pfarrkirche Ruswil LU
So, 12.5., 17.00 Kulturkloster Altdorf
Sa, 18.5., 17.15 Kloster Einsiedeln SZ
So, 19.5., 17.00 Klosterkirche Sursee LU
Sa, 25.5., 20.30 Klosterkirche Engelberg OW
So, 26.5., 17.00 Kirche St. Johannes Luzern
Die Alpinis
Di, 30.4., 21.00 Länzgi-Bühne Stans
Weitere Informationen: www.albinbrun.ch
Stimmungsvolle Musiktage
Die 24. Stanser Musiktage bespielen den ganzen Nidwaldner Haupt-ort. Die Konzerte auf dem Dorfplatz sind kostenlos. Stimmungsvolle Bühnen finden sich in Pfarrkirche, Unterem Beinhaus, Kapuzinerkirche und Gnadenkapelle Niederrickenbach. Bespielt werden auch bestehende Kulturräume wie Chäslager, Theater an der Mürg oder das Literaturhaus Zentralschweiz. Gut die Hälfte der Bands stammen aus der Schweiz. Gäste reisen an aus Österreich, Rumänien, der Türkei, Israel, USA, Iran und Südafrika. (fn)
Di, 30.4.–So, 5.5. Diverse Bühnen Stans
Weitere Infos www.stansermusiktage.ch
Drei Stanser Highlights
Les Amazones d’Afrique
Das Kollektiv aus Westafrika hat es sich auf die Fahne geschrieben, vereint mit ihren Stimmen für Gleichberechtigung anzutreten. Start für die Supergroup war 2014, drei Jahre später erschien das erste Album. In Stans dabei sind Mamani Keita, Rokia Kone und Awa Sangho – begleitet von drei Männern. (hau)
Mi, 1.5., 20.00 Kollegium St. Fidelis
Ladysmith Black Mambazo
Wenn ihr Song «Homeless» ertönt, können Tränen kommen ob der traurig-schönen Melodie. Das Stück kennt man von Paul Simons «Graceland» (1986). Das machte den Chor aus Südafrika schlagartig berühmt. Er verbindet Zulu-Tradition mit christlicher Kirchenchor-Musik sowie Gospel und Soul. Ein wahrer Ohrenschmaus. (hau)
Do, 2.5., 19.00 Pfarrkirche
Yemen Blues
Vor zwei Jahren stand er als Gast von Riff Cohen auf der Kollegi-Bühne. Jetzt kommt Ravid Kahalani mit eigener Band und quir-liger Weltmusik. Yemen Blues verschmelzen jemenitische, arabische, maghrebinische Musik mit afroamerikanischen Stilen. Es gibt Platten von ihnen, aber eigentlich muss man sie live erleben. (hau)
Fr, 3.5., 21.00 Kollegium St. Fidelis