Zürich-West, gleich neben dem Schiffbau: Eine Menschentraube versammelt sich um sechs freie Parkplätze. Der Unterschied zu herkömmlichen Abstellmöglichkeiten: Sie wurden auf Initiative der Hamasil-Stiftung, welche die dortigen Kulturpark-Liegenschaften verwaltet, entsiegelt, der Asphalt durch Strassenkies ersetzt. An den Rändern blühen jetzt Wildblumen, da und dort liegt totes Holz, auf einer Restfläche thront ein aufgeschichteter Steinhaufen.
Naturnahe Flächen schaffen
Es ist eine von vielen Aktionen der «Asphaltknackerinnen», einem kleinen Team um die ehemaligen SRF-Journalistinnen Bettina Walch und Isabella Sedivy, die sich für unversiegelte Flächen und mehr Biodiversität in der Stadt Zürich einsetzen.
Warum? «Aufgrund des Klimawandels mit seinen längeren Hitzewellen, Trockenperioden und dann wieder heftigem Regen ist es sinnvoll, möglichst viele naturnahe Flächen zu schaffen, um diese negativen Folgen etwas zu dämpfen», sagt Walch auf dem Rundgang durchs Quartier. Die hohen Temperaturen im Sommer seien vor allem für vulnerable Personen gefährlich. Dazu kämen Wasserschäden aufgrund von Starkregen. «Allein im Juni und im Juli 2021 verursachten Überschwemmungen in der Schweiz Kosten von fast 450 Millionen Franken.»
Entsprechend oft fällt in diesen Tagen der Begriff «Schwammstadt». Gemeint ist damit die städteplanerische Idee, anfallen- des Regenwasser nicht mehr schnellstmöglich der Kanalisation zuzuführen, sondern in freigelegten Böden zu speichern. So sollen Überschwemmungen vermieden und urbane Hitzeinseln gekühlt werden. Dafür braucht es allerdings einen möglichst durchlässigen und lebendigen Untergrund.
«Hier kommt für einmal die Vegetation zuerst»
Wie das aussehen könnte, zeigt sich beispielhaft auf dem einstigen Industrieareal Lysbüchel Süd in Basel. Dort wurde nicht nur ein ehemaliges Weinlager zum fassadenbegrünten Wohnhaus umgebaut. Zwischen den Häusern verläuft zudem ein 40 Zentimeter über dem Boden befestigtes Metall-Trottoir, das seitlich und unten von Grünpflanzen gesäumt wird.
«Hier kommt für einmal die Vegetation zuerst», sagt Caspar Schärer, Generalsekretär des Bunds Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA), zum kürzlich fertiggestellten Vorzeigeprojekt. Schärer kennt sich aus mit städtischen Problemzonen im Zeichen der Klimakrise. Dass im Wissen darum bis vor etwa zehn Jahren in städtebaulicher Hinsicht trotzdem so wenig passierte, mag erstaunen.
«Es brauchte zunächst den Nachweis einer Gesundheitsge- fährdung mittels Messungen und Datenerhebungen», sagt Schärer. «Das dauerte seine Zeit. Zudem sind nach aktueller Rechtslage Massnahmen, die hilfreich wären, paradoxerweise oft nicht erlaubt.» Erst vor Monatsfrist sei im Zürcher Kantonsrat das revidierte Pla- nungs- und Baugesetz ange- nommen worden, das es Ge- meinden künftig ermögliche, griffige Vorschriften für eine klimafreundlichere Siedlungsentwicklung zu erlassen. Darin enthalten sei neu eine maximale Unterbauungsziffer. «Grossflächige Tiefgaragen verhindern oft mehr Bäume», erklärt Schärer. Wobei es in Innenstädten tendenziell schwieriger sei, Strassenflächen zu entsiegeln.
Etwa in der Freie Strasse in Basel. In dieser baumlosen Einkaufsmeile wurden kürzlich fünf schattenspendende Topfpflanzen aufgestellt – was in der Bevölkerung zunächst für Spott sorgte. Schärer gibt indes zu bedenken: «Man macht sich keine Vorstellung davon, wie viele Leitungen an solchen Orten im Boden verlaufen. Damit das Internet oder die Fernwärme funktionieren, sind solche Installationen notwendig.»
Einfacher seien klimafreundliche Massnahmen in sogenannten Transformationsgebieten an der Grenze zur Agglomeration umzusetzen. Zum Beispiel im Erlenmatt-Areal in Kleinbasel. Früher erstreckte sich hier das Gleisfeld des Güterbahnhofs der Deutschen Bahn. Jetzt ist die Fläche mit Wohnungen für rund 3000 Personen und zahlreichen Grünflächen bestückt. Nur zehn Jahre nach Fertigstellung des Areals musste nachgebessert werden. So wurde auf der zentralen Grünanlage «Im Triangel» ein Asphalt- streifen entfernt und durch einen Kiesbelag ersetzt, auf dem nun 18 Bäume Schatten spenden.
1000 Quadratmeter Asphalt entsiegelt
Dass raumplanerische Umgestaltungen nicht immer auf Anhieb gelingen, findet Schärer nicht schlimm. Im Gegenteil: «Das Gemeinwesen sollte öfter den Mut haben, etwas auszuprobieren, statt erst alles fertigzudenken.» Solche Try-and-Error-Methoden, die unter dem Begriff «taktischer Urbanismus» bekannt sind, seien in etlichen europäischen Städten verbreitet. Schärer erwähnt etwa die «Piazze Aperte»-Initiative in Mailand, welche die Bevölkerung seit 2018 mit Begrünungen, Verweil- und Spielmöglichkeiten zurück auf die Strasse holt.
Es brauche aber auch private Initiativen wie die «Asphaltknackerinnen» in Zürich, die freier und schneller handeln können als staatliche Organisationen – und die dann interessierten Privatpersonen nicht nur ihr Know-how zur Verfügung stellen, sondern auch die nötigen Handwerker, Gärtner und Umweltingenieure aufbieten.
«Wir wollen niemandem das Auto wegnehmen», betont Bettina Walch auf der Kreis-5-Exkursion. «Aber wir müssen dem Boden mehr Aufmerksamkeit schenken.» Schliesslich seien zwei Drittel aller bekannten Lebewesen im Erdreich zu Hause. Seit 2022 haben die «Asphalt- knackerinnen» in Zürich rund 1000 Quadratmeter Asphalt entsiegelt. Das mag nach einer kleinen Fläche klingen, zentral sei jedoch laut Walch noch etwas anderes: «Es ist wichtig, dass man über das Thema spricht und die Menschen für das Wesen urbaner Böden sensibilisiert.»
Mit den Asphaltknackerinnen auf Achse
Mi, 21.8., 18.00
Schiffbaustrasse 7, Zürich
Zu den Personen
Caspar Schärer, 1973 in Liestal geboren, ist Architekt ETH SIA, Raumplaner und Publizist. Seit 2017 ist er Generalsekretär des Bunds Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA). Er lebt in Zürich und arbeitet in Basel und Zürich.
Bettina Walch, 1970 in Bern geboren, war in den 90ern für die SRF-Sendung «Meteo» tätig und leitete als Kaderfrau unterschiedliche TV-Grossprojekte. Heute ist sie Geschäftsführerin und Co-Inhaberin der Umweltkommunikationsfirma Plan Biodivers in Zürich.
Zu den Personen
Caspar Schärer, 1973 in Liestal geboren, ist Architekt ETH SIA, Raumplaner und Publizist. Seit 2017 ist er Generalsekretär des Bunds Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA). Er lebt in Zürich und arbeitet in Basel und Zürich. Bettina Walch, 1970 in Bern geboren, war in den 90ern für die SRF Sendung «Meteo» tätig und leitete als Kaderfrau unter schiedliche TV Grossprojekte. Heute ist sie Geschäftsführerin und Co Inhaberin der Umweltkommunikationsfirma Plan Biodivers in Zürich.