Bern, Zytglogge. Eine Touristengruppe steht im Halbkreis, wie fast immer zur vollen Stunde, wenn das Figurenspiel am Kirchturm beginnt – mit dem Hahn, dem Bären und dem absichtlich stets zu früh läutenden Narren. Aber wo bleibt Marc Dietrich? «I bi dr Cuco», sagt ein älterer Mann in schwarzer Kleidung, die grauen Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Cuco, wie man ihn seit der Militärzeit ruft, war von 1968 bis 1981 Mitglied des Schweizer Erfolgstrios Peter, Sue & Marc.
Jetzt, mit 75 Jahren, steht auf seiner Visitenkarte «eidg. dipl. Pensionär», und als solcher nimmt er Touristen und auch Einheimische gerne mit auf einen Unesco-Altstadtbummel durch seine Herzensstadt Bern. Ungefähr zweimal im Monat mache er das, öfter nicht, sagt Dietrich, denn er wolle nicht etwas «abeliire», sondern sich auf die Führungen freuen. Auf dem Rundgang mit Cuco gibt es einiges zu entdecken.
Zum Beispiel den von einem weiteren Narren «getragenen» mehrstöckigen Erker am Bartholomäus-May-Haus, benannt nach jenem reichen Kaufmann, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts den ersten Bären von Verona nach Bern brachte. Der erste Bärengraben sei einer von zwei natürlichen Gräben gewesen, welche Berns Altstadt durchzogen hätten, bevor diese aufgeschüttet wurden, sagt der passionierte Guide. «Daher heisst der Bärenplatz Bärenplatz.»
Der Mann ist eine Marke, ein Original
Cuco kennt seine Stadt und ihre Geschichte(n). Er weiss, wie man die zahlreichen Barockvon den wenigen Renaissance-Häusern unterscheidet, und er kennt den Ausdruck «rohren», wie man früher umgangssprachlich eine Shoppingtour durch die Gerechtigkeitsgasse nannte. Als ehrliche Haut, die er ist – «umeneiere mani nid» – erwähnt er auch einige Bausünden.
Zum Beispiel den 1865 nur mit hauchdünner Ratsmehrheit beschlossenen Abbruch des beim Bahnhof gelegenen Christoffelturms. «Eine solche Dummheit ist heute nicht mehr nachvollziehbar!», schreibt er in seiner Biografie «Mein Bern. Mein Leben», die anlässlich seines 75. Geburtstags erschien. «Tschou.» – «Salü!» Es grüsst von links und rechts. «Wie geits, Cuco?» Man kennt und schätzt ihn in Bern, der Mann ist eine Marke, ein Original.
Nur die Stimme klingt inzwischen ungleich heiserer, als man sie von Peter, Sue & Marc-Hits wie «Io senza te» oder «Cindy» in Erinnerung hat. 2019 sei es gewesen, als er den Chachelihannes im gleichnamigen Gotthelf-Stück an den Freilichtspielen Moosegg spielte. «Da war meine Stimme nach der Premiere einfach weg.» Er habe sich in den Jahren zuvor allerdings auch nicht sonderlich geschont.
Viele Zigaretten, viel Alkohol. Nach einem Schlenker via Bundeshaus und über die Münsterplattform – «dort unten hört das Unesco-Welterbe auf, mitten in der Aare» – steigen wir hinunter. Nicht ins Mattequartier, sondern in den Gewölbekeller «Zunft zur füfte Jahreszyt», den der eingefleischte Fasnächtler Marc Dietrich zusammen mit Hanspeter Meier seit fast 20 Jahren betreibt. Fasnacht: Cucos weitere grosse Leidenschaft neben der Musik. In so einem rauchgeschwängerten Keller sei es in den 60ern mit Peter, Sue & Marc losgegangen, erinnert er sich.
«Peter spielte Klavier, ich sass am Schlagzeug, und als ich Sue traf, war klar, dass unsere Stimmen perfekt harmonieren.» Was folgte, war eine beispiellose Karriere, die mit dem Gewinn des «Grande Chance»-Wettbewerbs 1970 in der Westschweiz begann und in vier Eurovision-Song-ContestTeilnahmen mündete. «Weltrekord», sagt Cuco.
«Wobei wir jedes Mal in einer anderen Sprache sangen: Französisch, Englisch, Deutsch, Italienisch.» Seltsam höchstens, dass das Berner Trio nur einen einzigen berndeutschen Song («D Wält wär voll Blueme») im Repertoire hatte, der exklusiv auf der LP zur Ausstellung «Grün 80» erschien.
Start zur zweiten Bühnenkarriere
Nach sechs intensiven Profijahren zog das Trio 1981 einen Schlussstrich. Warum? «Wir waren nur noch mit der Musikproduktion, mit Konzerten, TVund Radioauftritten beschäftigt. Aber Peter Reber wollte segelnd die Welt erkunden. Sue verfolgte ihre Solokarriere. Und ich hatte das Bedürfnis, eine Weinhandlung aufzumachen.» Das Problem sei bloss gewesen, dass er zu jener Zeit selbst zu seinem besten Kunden geworden sei.
Heute kann Cuco darüber lachen. Aber damals war es keine einfache Zeit für einen wie ihn, der auch in den Folgejahren unten durch musste. Scheidung, Herzinfarkt, Burn-out, Rückenoperationen. Zwischenzeitlich wohnte er in einem Knechtenzimmer bei einer Bauernfamilie und wischte als «Fötzeler» die Gassen von Bern sauber, weil es ihn dermassen aufregte, dass die Leute ihre Sachen einfach «furtschiesse». Mithilfe seiner Frau Trixli, dank guten Freunden und professioneller Unterstützung kam er wieder auf die Beine.
Mehr noch: Trotz beeinträchtigter Stimme konnte Cuco eine zweite Bühnenkarriere starten – 2012 als Trunkenbold Heiri im Musical «Alperose» oder zuletzt Ende 2023 in der Komödie «Holzers Peepshow» im Theater am Käfigturm. «Eine perfekte Rolle, da ich keinen Text hatte», sagt er schmunzelnd. Aber er sei nun mal eine Rampensau, immer gewesen.
Deshalb mache er auch die Stadtführungen so gerne. «Dafür muss man nicht unbedingt eine Rampensau sein. Aber der Begriff beinhaltet, dass man gerne mit Menschen zusammen ist und gerne auf sie zugeht.» Und das tut Cuco mit Leib und Seele.
Führung
Unesco-Altstadtbummel Bern
www.bern.com/de/detail/ unesco-altstadtbummel
Buch
Nicole Amrein
Mein Bern. Mein Leben – «Cuco» Marc Dietrich und die Altstadt entdecken 144 Seiten (Helvetia 2023)
Die etwas anderen Führungen
Bern der Nase nach
Sandstein, Lakritze, Kakao: Wie riecht Bern eigentlich? Wer sich auf diese olfaktorische Tour begibt, erlebt die Bundesstadt aus einer ganz anderen Perspektive. Täglich, ganzjährig.
www.bern.com
Freddie Tours, Montreux VD
In Montreux steht nicht nur die Freddie-Mercury-Statue, man kann auch Führungen buchen, bei denen man erfährt, weshalb der Queen-Sänger der Stadt am Genfersee so stark verbunden war.
www.freddie-tours.com
Staumauer Grande Dixence VS
Wer den Westschweizer Spielfilm «Laissez-moi» gesehen hat, fragt sich vielleicht, ob man das Innere der Grande-Dixence-Staumauer erkunden kann. Ja, man kann. Führungen werden von Juni bis Mitte Oktober angeboten.
www.visit-grande-dixence.ch
Stadtführung mit Nachtwächter, Zürich
Jeden ersten und letzten Dienstag im Monat lädt Zürichs Nachtwächter zur Reise ins Mittelalter. Nach Einbruch der Dunkelheit erzählt er allerlei «schröckliche» Geschichten, die auch zum Schmunzeln anregen.
www.zuerich.com
Magische Zahl 11, Solothurn
Es gibt 11 Museen, 11 Kapellen, eine Uhr, die nur 11 Stunden anzeigt, und natürlich das «Öufi-Bier» in Solothurn. Eine Themenführung rund um diese geheimnisvolle Zahl.
www.solothurn-city.ch
Essbare Kräuter, Cavigliano TI
Mit Wildkräutern kennt sich Kochbuchautorin Erica Bänziger aus. Jeden Dienstag kann man mit ihr durchs Centovalli streifen auf der Suche nach Kräutern. Inklusiv Imbiss (bis Ende Oktober).
www.ascona-locarno.com