kulturtipp: Frau Wille, im September haben Sie im kulturtipp-Interview gesagt: «Ich gebe gerne ein klares Bekenntnis ab für ein lineares und starkes Kulturradio.» Nun wurden einige Radio-Kultursendungen gestrichen. Was antworten Sie den enttäuschten Radiohörern, die im Internet wenig aktiv sind?
Susanne Wille: Dass das klassische Radio weiterhin sehr wichtig bleibt. Ich bin froh, wenn sich das Publikum direkt meldet, so sehe ich, welche Fragen da sind, was freut, was Sorgen bereitet. Ich kann auch nachvollziehen, dass man an lieb gewonnenen Sendungen festhalten möchte. Eine häufige Kritik ist, dass wir eine Veränderung ankündigen, ohne ein neues Angebot zu präsentieren. Diesen Vorwurf kann ich verstehen. Der Grund ist, dass wir die Entwicklung neuer Angebote bei uns intern neu organisieren. Künftig entwickeln wir in interdisziplinären Teams. Und diese Teams werden erst jetzt gebildet. Wir streichen nicht einfach, wir entwickeln Neues. Mein klares Bekenntnis für ein lineares und ein starkes Kulturradio wiederhole ich hiermit gerne.
Eine Sendung wie «52 beste Bücher» benötigt ein kleines Budget. Was war der Grund, diese Sendung zu streichen?
Ein stündiges Format mit 52 Ausgaben pro Jahr kostet Geld. Wir verzichten auf die Sendung, weil wir etwas Neues schaffen und das Literaturangebot weiterentwickeln. Es wird weiterhin ein Literaturangebot geben, auch im Radio. Es ist aber so, dass SRF aktuell einen Viertel der Deutschschweizer Bevölkerung nicht erreicht. Damit wir wieder ein Medienhaus für alle werden und den Draht zu einem grossen Teil der Bevölkerung nicht verlieren, braucht es Veränderungen. Das tun wir aber umsichtig. Und übrigens: Literatur hat bei uns viele Gesichter – im Radio, im Fernsehen und online. Wir haben weiterhin eine starke Fachredaktion, die aktuelle Beiträge, Hintergrundsendungen, Experteninterviews und vieles mehr realisiert.
Ist das klassische Radio bei SRF ein Auslaufmodell?
Nein, das lineare Radioprogramm bleibt im Kernauftrag bei SRF. Aber wir wollen künftig weniger in einzelnen Sendungen und fixen Programmstrukturen denken. Radio hat einen hohen Stellenwert als Begleitmedium. Und das wird auch künftig so sein. Wir haben viel vor mit dem Radio. Gerade weil wir an das Radio glauben, wollen wir es weiterentwickeln. Schauen Sie doch nur die neuen Formate und Projekte an, die wir aktuell zur Unterstützung der Kulturszene in der Corona-Krise auf die Beine gestellt haben. Das reicht von einem täglichen Literaturfenster über das offene Mikrofon für Kulturschaffende bis hin zu neuen Hörspielen.
In Leserbrief-Reaktionen ist die Rede von «Häppchenfutter» ohne vertiefte Auseinandersetzung. Wie stehen Sie dazu?
Vertiefende Hintergrundsendungen sind ein fester Bestandteil von Radio SRF 2 Kultur, wie auch die journalistischen Musiksendungen im Programm. Wo sonst gibt es eine «Diskothek»? Wer sonst vermittelt den Zugang zu neuer, zeitgenössischer Musik? Auch die «Sternstunden» zu Religion, Philosophie, Kunst und Musik haben einen hohen Reflexionswert. Wir gehen jeden Sonntagmorgen drei Stunden lang in die Tiefe. Der «Literaturclub» gehört mit 75 Minuten zu den längsten Literatur-Fernsehsendungen im deutschsprachigen Raum, seit 30 Jahren. Mit dem «Kulturplatz» haben wir ein wöchentliches Kulturmagazin. Ich stelle häufig fest, dass der «Häppchenvorwurf» vor allem auf das Online-Angebot abzielt. Und das wird den Macherinnen und Machern nicht gerecht. Nur weil ein Angebot kürzer ist, ist es deswegen noch lange nicht oberflächlich, das beweisen wir zum Beispiel regelmässig mit dem Wochenend-Angebot aus der Kultur auf der SRF-App.
Von der «digital first»-Strategie und der Konzentration auf ein Publikum unter 45 fühlen sich viele angestammte DRS/SRF-Radiohörer nicht mehr angesprochen. Was bietet SRF diesem Publikum noch?
Erlauben Sie mir hier, ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Es gibt keine Konzentration auf ein Publikum unter 45 Jahren, und es gibt auch keine «digital first»-Strategie, die ein älteres Publikum ausschliesst. Wir erhöhen den Anteil an Angeboten für ein Publikum unter 45 Jahren um gerade mal 10 Prozent. Das heisst: 80 Prozent unserer Budgets fliessen wie bisher ins Radio- und Fernsehprogramm. Hinzu kommt: «digital first» bedeutet nicht, dass neue digitale Angebote exklusiv jüngeren Menschen zur Verfügung stehen. Was wir digital an Audioinhalten bereitstellen für unser Publikum, wird auch künftig linear ausgestrahlt, allein schon aus ökonomischen Gründen. Ob das Publikum einen Radiosender wechselt, entscheidet sich nicht an der Frage, ob eine Wortsendung zuerst als Podcast ausgespielt wurde oder nicht. Entscheidend für den Erfolg wird immer sein, ob wir mit unseren Inhalten publizistisch überzeugen und wie wir den Geschmack beim Musikprofil der jeweiligen Radiokanäle treffen. Und da bin ich sehr zuversichtlich, auch für die Zukunft des Radios bei SRF. Unsere hohen publizistischen Ansprüche stehen in jedem Fall zu keiner Zeit zur Diskussion.
Mit «Bleisch & Bossart» ist ein erstes neues Youtube-Format im Bereich Philosophie angelaufen. Gibt es bereits weitere konkrete (Online-)Formate im Kulturbereich?
Wir freuen uns darüber, wie gut «Bleisch & Bossart» gestartet ist. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass anspruchsvolle Inhalte und vertiefende Gespräche auch über diesen Weg ein interessiertes Publikum finden. Die Beiträge werden fleissig kommentiert, und der direkte Austausch in den Kommentarspalten mit Barbara Bleisch und Yves Bossart wird sehr geschätzt. Ich habe den Dialog ja in den Kern der Kultur-Strategie festgeschrieben. Der Austausch mit dem Publikum ist uns wichtig. Wir arbeiten nun im Hintergrund intensiv an der Entwicklung der weiteren Angebote. Von der Idee über ein Konzept bis zur Umsetzung steckt viel Arbeit. Deshalb gibt es hier keine Schnellschüsse. Es wird nach dieser schwierigen Zeit ein wichtiger Moment sein für uns alle, wenn wir in den kommenden Monaten mehr vom Neuen zeigen können.
Leserbriefe zu den SRF-Sparmassnahmen
Jede Änderung stellt lieb gewonnene Gewohnheiten infrage. Das ist manchmal unbequem, doch auch gut so. Weil wir die Chance bekommen, Neues kennenzulernen. Im konkreten Fall fragt sich allerdings, was der geplante Abstrich bringen soll. Es geht um nichts weniger als den Abbau von Grundwerten unseres Kulturguts – Religion, Religiosität in allen Richtungen. Das finde ich gefährlich. Meine Antwort ist klar: Es droht eine geistige Verarmung. Dem gilt es Einhalt zu gebieten. In meinen Augen rennt SRF eher einem Phantom hinterher, nur um «in» sein zu wollen. Unter dem Strich vergrault SRF dabei eine grosse, treue Zuhörerschaft und verliert mehr, als es gewinnt.
Anita Schmid, Zürich
«Zwischenhalt», «Perspektiven», «Eco», «52 beste Bücher», «Einstein spezial», «Netz Natur». Schnell ist die Aufzählung der gestrichenen Sendungen gelesen. Um die Folgen zu ermessen, dafür brauchts länger. Vom Verdauen ganz zu schweigen. Es sind durchs Band Sendegefässe von hohem Reflexionswert aus den Bereichen Natur, Kultur, Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Für die breit- und tiefgefächerte substanzielle Auseinandersetzung und die Wissensvermittlung ist es Zeit für den Abspann. Was besonders schmerzt: das Vertrösten mit der Aussicht auf «Transformation». Strategie: Das kann erst mal alles weg, dann transformieren wir. Wo nichts ist, kann auch nichts mehr transformiert werden! Ich bin entschieden für einen «Boxenstopp», der es zulässt, die Strategie nochmals sehr sorgfältig zu hinterfragen.
Marianne Candreia, Turgi AG
Amüsantes und Nachdenkliches am Morgen: Das sind für mich die «Morgengeschichten» auf SRF 1 – sie bringen etwas ohne lange Beschreibung und Erklärung auf den Punkt und sind immer auf Menschen bezogen. Man kann sich etwas dazu denken oder nicht, und am Schluss gibt es eine Pointe, die einem meist ein Schmunzeln entlockt. Ein schöner Start in den Tag – und der soll entfallen? Bitte nicht!
Ruedi Elsenbruch, Elgg ZH
Der Artikel von Guy Krneta im kulturtipp spricht mir aus dem Herzen: Meine Kinder liebten die «Zambo»-Sendung. Ich bin überzeugt: Kann man Kinder für Radio begeistern, werden sie weniger Hemmungen haben, später aufs Radio zurückzukommen. Das Radio ist ein eigenständiges Medium, das auch eigenständig gefördert werden sollte. Auch die Streichung der Sendung «52 beste Bücher» ist zu bedauern, waren diese Buchtipps doch immer sehr fundiert und lehrreich. Ich bin der Meinung, dass SRF sich nicht ganz im Klaren über ihre Hörer und ihren Auftrag ist.
Brigitte Koller, Basel
Guy Krneta hat mir aus der Seele geschrieben mit seiner Carte blanche! Ich kann jedes einzelne Wort unterschreiben. Was zu meinen wertvollsten Sendungen gehörte, soll hemmungslos gestrichen werden. Angefangen bei «Zambo», von dem ich als 79-Jährige den Schluss «Wunsch in die Nacht» so gerne hörte, bis zu «52 beste Bücher». Ebenso bedauere ich, dass die Stunde «Religion» vom Sonntag wegfällt sowie die «Morgengeschichten», die für mich ein wahres Morgenritual sind. Ob die Möglichkeit besteht, dass sich die Direktion das Ganze nochmals durch den Kopf gehen lässt?
Sylvia Birnbaum, Hochdorf LU