Er habe aus der Tagespresse von den Sparplänen erfahren, mailt Arno Troxler. Ein lakonischer Satz, bei dem eine leise Enttäuschung mitschwingt. Der Luzerner Schlagzeuger leitet das Jazzfestival Willisau, wo seit 1975 die wichtigsten Musiker der internationalen Szene auftreten. Stets vor Ort war bislang ein SRF-Aufnahmewagen. Dass dies auch 2021 so sein wird, ist laut Troxler «völlig unklar». Mit dieser Unsicherheit ist er nicht alleine. Auch Urs Röllin vom Schaffhauser Jazzfestival und Florian Keller vom Zürcher Unerhört! Festival, wo SRF ebenfalls Konzerte aufnahm, haben noch keine Informationen über die künftige Präsenz der SRF Crew.
«Das Budget wird um 50 Prozent reduziert»
Barbara Gysi, Programmleiterin von SRF 2 Kultur, nennt Corona als Ursache dieser Informations-Unsicherheit. «Wir müssen zuerst prüfen, welche Festivals überhaupt stattfinden», sagt sie und gibt hinsichtlich des Sparprogramms Entwarnung: «Das Budget für Konzertaufnahmen im Jazzbereich wird nicht reduziert.» Eingespart werde nur bei Klassik-Aufnahmen (siehe Kasten). Eine Änderung gebe es aber bei der Ausstrahlung der Jazz-Aufnahmen. Die Sendung «Late Nigt Concert», bisher am späten Freitagabend zu hören, bekomme einen neuen Sendeplatz, so Gysi. Dieser sei «noch zu definieren», sprich: unklar.
Zu Einsparungen kommt es im Jazz-Bereich aber andernorts. «Das Budget für die CD- und Mastertape-Produktionen Jazz wird ab 2021 um 50 Prozent reduziert», sagt Gysi.
«Ein wichtiger Partner verflüchtigt sich»
Diese Halbierung sorgt in der Jazz-Szene für Unruhe. Von einer «drastischen Massnahme» spricht Keller, der nicht nur das Unerhört!-Festival mitkuratiert, sondern als Produzent beim Zürcher Label Intakt Records wirkt. «Ein wichtiger Partner verflüchtigt sich, der für die Dokumentation des Jazz in der Schweiz eine entscheidende Rolle spielt», sagt er. Tatsächlich gehört zum Konzessionsauftrag der SRG nebst der Verbreitung von Kultur auch deren Dokumentation.
«In den letzten 30 Jahren haben DRS 2 und SRF 2 Kultur gegen 1100 Co-Produktionen von Jazz-CDs realisiert», weiss SRF-Jazzchef Peter Bürli. «In erster Linie arbeiten wir mit Labels aus Deutschland und der Schweiz.» Dutzende dieser CDs sind bei Intakt Records erschienen. Florian Keller: «Das Radio ist als Produktionsstätte dank seinen Aufnahme-Studios eminent wichtig für die Jazz-Szene.» Benedikt Wieland teilt diese Einschätzung: «Mit der Produktion von CDs schafft man Zeitdokumente und leistet einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt», sagt der E-Bassist und Leiter des Fachbereichs Jazz bei Sonart, dem Verband der freischaffenden Musikerinnen und Musiker der Schweiz. «Die Auswirkungen dieser Kürzung werden in Zukunft deutlich sichtbar werden.»
Für Barbara Gysi ist klar: «Diese Einsparung ist für die Jazz-Szene ein Einschnitt, das wollen wir nicht schönreden.» Die SRF-2-Chefin betont aber, dass man künftig auf das Schweizer Musikschaffen fokussieren wolle. «Bei der Auswahl von Konzertaufnahmen und Co-Produktionen bilden junge Talente und zeitgenössische Schweizer Musik prioritäre Kriterien.»
«Nachwuchs allein ist noch keine Qualität»
Eine durchaus positive Aussage, die in der Szene aber nur bedingt ankommt. «Etwas Positives musste ja kommuniziert werden», meint Florian Keller. «Aber Nachwuchs alleine ist noch keine künstlerische Qualität, und nationale Beschränkungen wirken in der Kunstform Jazz, die vom Austausch lebt, eher spiessig.» Auch Sonart-Sprecher Benedikt Wieland relativiert: «Natürlich sind Plattformen für die jüngere Generation wichtig, aber es gilt auch, die Schweizer Jazzszene gesamthaft abzubilden – der Schweizer Jazz lebt vor allem von seiner Diversität.»
Benedikt Wieland sieht dennoch einen Hoffnungsschimmer. Man könne diskutieren, wie sinnvoll physische CD-Produktionen heute noch seien, sagt er. «Diese Diskussion sollte aber Perspektiven bieten.» Solche sieht Barbara Gysi in den neuen digitalen Kulturangeboten von SRF. Bei Sonart werde man diesen Wandel «scharf beobachten», so Wieland. «Wir erwarten, dass die Musik in den angekündigten digitalen Transformationsprozess eingebunden wird.»
Auch Florian Keller warnt vor einer weiteren Marginalisierung des Jazzschaffens. «Bezüglich Präsenz, Sicht- und Hörbarkeit unserer Musik ist die Schweizer Medienlandschaft ein Trauerspiel.» SRF sei bisher eine lobenswerte Ausnahme gewesen.
So spart SRF bei der Kultur
Es war ein Schock mit Ansage. Im Nachgang zur abgelehnten No-Billag-Initiative hatte die SRG im Sommer 2018 eine Sparrunde angekündigt. Als Grund wurden damals die rückläufigen Werbeeinnahmen angeführt. 2020 kam die strategische Neuausrichtung der «digitalen Transformation» dazu, die vermehrt Radio- und TV-Angebote zur mobilen und digitalen Nutzung anstrebt.
Die Auswirkungen dieser Massnahmen werden nun spürbar. Ende Januar hat SRF sein Sparprogramm in der Höhe von 16 Millionen Franken konkretisiert, wobei es hauptsächlich in der Abteilung Kultur zu Budgetreduktionen und sogenannten «Entwicklungsaufträgen» kommt, womit auch die digitale Transformation gemeint ist. Konkret betroffen sind folgende Sendungen von Radio SRF 2 Kultur und TV SRF 1:
«Kontext»: Budgetreduktion und Entwicklungsauftrag
«Fiori musicali»: wird gestrichen
«Nachtflug»: wird gestrichen
«Late Night Concert»: wird zeitlich verschoben
Hörspiel: Budgetreduktion
«Kulturplatz»: Budgetreduktion und Entwicklungsauftrag
«DOK»: Budgetreduktion
«Sternstunden»: Budgetreduktion
Eingespart wird um 30 Prozent auch bei Konzertaufnahmen im Bereich Klassik. Eine 50-prozentige Budgetreduktion wird es für die Jazz-Co-Produktionen im Bereich CD- und Mastertape-Produktion geben. In diesen beiden Bereichen will SRF auf den Nachwuchs und das zeitgenössische Schweizer Musikschaffen fokussieren.
Bereits im Oktober hatte SRF die Streichung der Sendungen «52 beste Bücher», «Zwischenhalt», «Morgengeschichte» und «Blickpunkt Religion» bekannt gegeben. Bei der Kultur gespart wird seit Frühling 2020 auch in der Romandie (RSR) und im Tessin (RSI). Die Sparmassnahmen der SRG werden von Kulturinstitutionen und Mediengewerkschaften teils scharf kritisiert.